100 Jahre VPT
(SEV-Unterverband des Personals privater Transportunternehmungen)

Rede von Ständerat Ernst Leuenberger, Präsident SEV, an der Jubiläumsfeier vom 5 April 2003 in Solothurn

Ich gratuliere namens des SEV dem Unterverband VPT zu seinem 100 jährigen Bestehen.
Es wäre nach der hervorragenden Festschrift, die Walter Oberli leitend gestaltet hat, Wasser in den Bach getragen, die Geschichte des VPT hier vortragen zu wollen. Ich freue mich über die grosse Präsenz von Kolleginnen und Kollegen aus dem VPT. Besonders freut mich die bedeutende Präsenz von Vertretern der Unternehmungen, der Behörden und Aemter.

Ein Wort zum VPT (Verband Personal privater Transportunternehmen)

Der VPT ist zwar unverzichtbarer Teil des SEV; er ist aber selber eine Art Dachorganisation. Das bedeutet: Der VPT umfasst Personal von KTU- Bahnen, der Schifffahrt, der KTU-Bus-Unternehmen des ö.V., Personal von Seilbahnen, das Personal der Bahnverpflegung, und das in der Schweiz tätige Personal Deutschen Bahn. Dabei geniessen die VPT-Sektionen das Privileg, je einen direkten Ansprechpartner im Sekretariat SEV zu haben.
Dass man sich innerhalb des VPT stets wieder Gedanken über eine weitere Spezialisierung, d.h. Aufteilung, Neugruppierung der Sektionen, gehört zum Tagesgeschäft. Ich kann nicht leugnen, dass die Angestellten von Bus-Unternehmen spezielle Probleme kennen, die sie auch gerne unter sich diskutieren möchten.

Nicht nur die KTU-Welt Schweiz zeichnet sich durch eine bunte Vielfalt aus. Das gilt auch für die Gewerkschaftswelt in diesem Bereich. Entsprechend arbeiten SEV und sein Unterverband VPT eng zusammen mit dem VPOD, der schwergewichtig Nahverkehrspersonal in der Deutschschweiz organisiert. Zusammenarbeit gibt es auch mit der Gewerkschaft Kommunikation, welche die Postautochauffeure organisiert.

Der Vollständigkeit halber will ich auch die dem Schweiz. Gewerkschaftsbund nicht angehörenden Personalorganisationen transfair, KvöV und VSLF. Auch mit ihnen pflegen wird courant normal Beziehungen und enge Zusammenarbeit in Verhandlungsgemeinschaften.

Partnerschaft

Wer sind die Sozialpartner? Ich rede zwar lieber von Vertragspartnerschaft.

- Es sind die KTU-Unternehmen, mit deren Leitungen sich die SEV/VPT-Leute mehrmals jährlich je unternehmensweise treffen. Nach der festgeschriebenen SEV-Devise werden die Probleme am Verhandlungstisch besprochen und meist auch gelöst. Selbstverständlich behält sich der SEV wie jede Gewerkschaft Kampfmassnahmen als ultima ratio stets vor; vertragliche Vereinbarungen selbstverständlich respektierend.
Es ist der VöV, der als Interessevertretung des Unternehmen des öffentlichen Verkehrs tätig ist. Natürlich wünschen wir uns den VöV auch als Partner in der Arbeitgeberfunktion, weil wir uns ja bekanntlich flächendeckende Gesamtarbeitsverträge im ö.V. vorstellen mit der Möglichkeit der Allgemein-Verbindlich-Erklärung. Offenbar ist der VöV noch nicht so weit.

- Es sind kant. Untergliederungen des VöV wie bspw. die Vereinigung der Unternehmen des öffentlichen Busverkehrs im Kanton Bern, mit der wir intensiven Austausch pflegen.

- Partnerschaftlich verkehren wir auch mit den Behörden in Bund und Kantonen. Das BAV ist für den SEV ein interlocuteur valable. Das gilt auch für die meisten Aemter und Fachstellen für öffentlichen Verkehr in den Kantonen. Gerade die kantonalen ö.Verkehrsämter werden eine zentrale Rolle spielen im Aufzeigen der Folgen von Bundes- und Kantonssparmassnahmen im ö.V.

Diese Partnerschaft verstehen wir natürlich primär als Zusammenarbeit im Bestreben um Verbesserung der Anstellungsbedingungen des Personals im öffentlichen Verkehr. Wir sind aber auch immer wieder bereit, mit den Unternehmen und ihren Dachorganisation eng zusammenzuarbeiten, wenn es um die Ausgestaltung der Rahmenbedingungen für den öffentlichen Verkehr geht. Der Einsatz des SEV für die LSVA und Finöv 1998 sollte selbst den grössten Gewerkschaftsskeptikern auf Unternehmensseite nicht entgangen sein. Ebenso der Einsatz des SEV für die Metro Lausanne und für die Zürcher Glattalbahn. Dass der SEV und mit ihm der VPT auch parlamentarisch stets zur Stelle sind, wenn es um ö.V.Fragen geht, wurde und wird im allgemeinen geschätzt und ist für den SEV auch nicht ganz billig. Welche Gewerkschaft zählt in ihrem Mitarbeiterstab 3 eidgenössische Parlamentarier?

Aktuelle Probleme:

Agglomerationsverkehr
Es ist gut, dass der Bund den Agglomerationsverkehr als förderungswürdige Verkehrssparte entdeckt hat. Die Städte - kleinere und grössere - ersticken buchstäblich im Verkehr. Nur ein Top-Angebot an ö.V. kann die Autofahrer überzeugen, ihre Fahrzeuge nicht auch noch in die Städte zu führen. Schade bloss, dass die Idee des Agglo-Benzin-Fünfers relativ schnell wieder aus der politischen Diskussion verschwunden ist.

Tourismusförderung als wichtige Bundesaufgabe
Unbestritten ist Tourismusförderung ein wichtiges wirtschaftspolitsches Anliegen. Es ist immer wieder nötig darauf hinzuweisen, dass gerade die Schifffahrt auf den Schweizer Seen; dass gerade die Berg- und Seilbahnen eine wichtige Funktion haben bei der Steigerung der touristischen Attraktion der Schweiz, vor allem ihrer Ferien- und Ausfluggebiete. Selbstverständlich gilt das auch generell für ganzen öffentlichen Verkehr. Daran müssen wir die Bundes-Tourismusförderer immer wieder erinnern.

Bahnreform II
Es muss heute ausgesprochen werden: die Bahnreform II ist von den Behörden stets als KTU-Reform angekündigt und versprochen worden. Das heisst Leistungsvereinbarungen Bund-KTU für Erhalt und Weiterentwicklung der Infrastruktur. Das heisst Abtragen von Uraltschulden bei den KTU. Das heisst Hilfe bei der Sanierung von Pensionskassen bei KTU.
Dass der Bund sich noch engere Zusammenarbeit unter den KTU wünscht, auch noch engere Zusammenarbeit KTU-SBB wünscht zur Stärkung des schweizerischen Bahnsystem, des schweizerischen ö.V.-System, findet auch gewerkschaftlichen Beifall.
In der Bahnreform II sind minimale Realersatz-Elemente der abgeschafften Lohnsystematisierung einzuführen und wäre das auch nur über die Aufnahme einer Konzessionsbestimmung, welche bei Ausschreibungen die Einhaltung der branchenüblichen Arbeitsbedingungen verlangt. Und dann deren Erfüllung auch kontrolliert und durchsetzt. Mit gewerkschaftlicher Unterstützung im Bedarfsfall.

Ausschreibungen
Ausschreibungen im Regionalverkehr sind von Gesetzes wegen auch in der Schweiz Tatsache seit 1996. Ausschreibung erfordert klare Regeln. Wir wollen anerkennen, dass das BAV Anstrengungen unternimmt mit dem Erlass eines „Leitfadens für Ausschreibungen „ zum Beispiel. Der SEV hält fest: Wichtige Bestandteile dieser Leitfadens gehören auf Gesetzesebene mit verpflichtendem Charakter und nicht in einen an sich wenig verbindlichen Leitfaden.

Wettbewerb als Kannibalismus
Ich weiss es, Wettbewerb gilt als Wundermittel. Die EU- Kommission meint, damit seien die Bahnprobleme zu lösen. Das heisst, es könne durch Wettbewerb im ö.V. wesentlich Geld gespart werden. Sinnigerweise teilen in der Schweiz eher EU-Gegner als EU-Befürworter diesen Standpunkt.
Der SEV betont stets und wird nicht müde werden, es immer wieder zu betonen. Weil das System ö.V. nur extrem vernetzt funktionieren kann, ist Zusammenarbeit unter den Playern angesagt.

Kleinlicher Wettbewerb - der Güterverkehr zeigt es - führt eher zu Kannibalismus unter den ö.V.-Unternehmen als zu einer Verlagerung von der Strasse auf die Schiene. Der SEV hält es in dieser Sache mit jenem klugen KTU-Mann Peter Scheidegger, der stets sagt, im ö.V. habe der Wettbewerb ein ideeller, virtueller zu sein.

Was lehrt uns der Fall der MThB? Das missglückte Expermiment MThB lehrt uns verschiedenes: Im Kampf zuerst gegen die SBB, heute mit SBB, ist es gelungen, in einer Randregion den regionalen Personenverkehr wesentlich zu verbessern. Mehr Züge, bessere Fahrpläne. Das ist und bleibt eine Pioniertat, die Respekt abnötigt.
MThB lehrt uns aber auch, dass der naive Wettbewerbsglaube zu einem Geschäftsgebaren führen kann, das nicht mehr finanzierbar und nicht mehr tragbar ist. Endlich muss festgehalten werden, dass das MThB-Personal - zwar nicht ganz klaglos - das Experiment mitgetragen hat. Allerdings mit einigen Opfern.
Nicht zu verschweigen ist, dass die Tätigkeit der MThB im Bereich Güterverkehr für uns eher unter der Rubrik „Kannibalismus“ denn unter der Rubrik „Verlagerung“ wahrgenommen worden ist.

Sparübungen
Vermutlich sind auch an dieser Tagung Finanzprobleme zentrales Thema der Pausengespräche. Eine Vorbemerkung als Mahnung an Kantone, VöV, KTU und SBB:
Ihr Verhalten in der Sparübung 1998 ist uns Gewerkschaftern bös eingefahren. Sie haben am runden Tisch recht frivol erklären lassen, dass die Senkung der durchschnittlichen Subventionierung des Regionalverkehrs von ca. 75 % auf 68% problemlos verkraftbar wäre. Ihr Personal hat den Löwenanteil dieser Sparübung bezahlt. Vo r einer Wiederholung dieser Uebung im aktuellen Umfeld raten wir Ihnen auch in dieser harmonischen Feierstunde dringend ab.

Dass Finanzpolitik - auch eidgenössische - einen ständigen Verteilkampf um knappe Mittel darstellt, ist eine Binsenwahrheit. Ebenso wahr ist, dass in der aktuellen Bundessparübung der ö.V. wird bluten müssen. Ich sage es hier offen: Ich halte alle bisher genannten Sparübungen im öV. für äusserst problematisch: Verlagerungsmittel kürzen, heisst doch letztlich Infragestellung des Verlagerungsziels. FinöV-Mittel in die Bundeskasse umleiten heisst doch letztlich Verzögerungen beim NEAT-Bau in Kauf nehmen.

Mittel für die Infrastruktur kürzen heisst doch letztlich Gefährdung des Substanzerhaltes und Gefährdung der Weiterentwicklung der Infrastruktur.

Alarmierend wird die Sache ganz sicher dann, wenn erneut Mittel an den regionalen Personenverkehr weggestrichen werden. Das gilt es vehement zu bekämpfen, zu verhindern. Regionalverkehrsmittel sind nämlich extrem Fahrplan-relevant. Das heisst ohne Ausdünnung der Fahrpläne ist so etwas nicht zu bewerkstelligen. Dass das auch personalrelevant ist, haben Sie längst bemerkt.
Es sei uns allen in Erinnerung gerufen, dass das Konzept Bahn und Bus 2000 - so heisst es wirklich - beschlossen und versprochen ist. Die Umsetzung hat so zu erfolgen, dass nicht nur die grossen Zentren bedient werden, sondern auch periphere Regionen.

Sie wissen es, in Bundesbern werden Sparszenarien entwickelt:

A) Das Zwei-Milliarden-Paket
komme ohne Kürzungen der Regioverkehrsgelder aus, sagt man mir. Immerhin.

B) Bei der Variante 3.5 Milliarden müssten auch Mittel für den Regionalverkehr gestrichen werden.

C) von der 5 Milliarden -Variante rede ich nicht, um uns die Festfreude nicht zu verderben.

Substanzerhalt KTU
Wenn ich genau hinhöre, gibt es KTU, die Mühe haben, ihre Infrastruktur-Substanz zu erhalten; geschweige denn weiterentwickeln können. Eisenbahner wissen: Infrastruktur-Unterhalt kann während einer begrenzten Zeit vernachlässigt werden mit der Konsequenz, dass eines Tages die Wiederinstandstellung so teuer wird, dass sie niemand bezahlen kann und will. Daher messen wir dem Infrastruktur-Substanzerhalten grösste Bedeutung zu.

Vertragspolitik (Realersatz für Lohnsystematisierung)
Mit dem Fall des Beamtenstatuts für die SBB-Angestellten sind auch die an dieses Statut angelehnten Dienst-und Besoldungsordnungen auf den Prüfstand gekommen.
Der SEV hat im sofort flächendeckende Gesamtarbeitsverträge für das KTU-Personal gefordert. Auch um einen Realersatz für die 1996 ersatzlos gestrichene Lohnsystematisierung zu erlangen - notabene auch im Interesse der KTU.
Faktisch ist dieser Bereich erst am Anfang einer Entwicklung. Es gibt inzwischen Firmen-GAV bei einigen KTU, bei andern wird verhandelt. Ziel des SEV ist und bleibt es aber, flächendeckende GAV im ö.V. zu erreichen. Der Rahmen GAV Bus im Kanton Bern ist ein positives Beispiel. Warum? Nur flächendeckende GAV bieten Gewähr dafür, dass vertragstreue Unternehmungen und Gewerkschaft gemeinsam bei den Ausschreibungsbehörden erwirken können, dass nur einen Auftrag erhält, wer sich im Rahmen dieser flächendeckenden GAV bewegt.
Was im öffentlichen Beschaffungswesen vorgeschrieben ist; was in kantonalen und kommunalen Submissionsordnungen Niederschlag gefunden hat, müsste doch auch im Bereich öffentlicher Verkehr möglich sein.

Sicherheit der Reisenden und des ö.V. Personals in Fahrzeugen, auf Stationen
Auch im KTU-Bereich zeigen sich als Folge neuer gesellschaftlicher Entwicklungen Probleme mit dem Sicherheitsgefühl der Passagiere. Regionalzüge ohne Zugpersonal sind zwar etwas billiger, aber vermitteln den Passagieren weniger Sicherheitsgefühl.
Unbediente Stationen sparen Kosten, können aber zum Ort von Unsicherheit verkommen.
Und noch eines: wenn das ö.V. Personal in Bahn und Bus sich unsicher fühlen muss; wenn Attacken auf Uniformierte einfach so vorkommen können, färbt das nicht nur auf die Motivation des Personals ab, sondern beeinflusst ganz massiv das Sicherheitsempfinden der Passagiere. Und: mehr Polizei löst das Problem auch nicht, so wenig wie Videoüberwachung. Fassung und Bestrafung von Fehlbaren ist wichtig. Die Motion Jutzet zeigt einen Weg auf. Mögen die Behörden sich schnell an die Umsetzung machen.
Entscheidend ist und bleibt die Präsenz von freundlichem, ruhig und sicher wirkendem ö.V. Personal im Zug, im Bus, auf der Station.

Kampf gegen Avanti.
Wer für den ö.V. einsteht - sei das auf Arbeitgeber- oder auf Arbeitnehmerseite, sei das auf Behördenseiten oder auf der Seite der Passagiere - macht mit beim Kampf gegen die Autobahnbauwut wie sie in der Initiative „Avanti“ zum Ausdruck kommt. Sie haben es bemerkt, es gibt Bestrebungen einen Gegenvorschlag zu „Avanti“ zu entwickeln und dort noch gleich einen Strassenbaufonds ausserhalb der Schuldenbremse und sozussagen als Zückerchen für uns ö.V.-Verfechter eine Finanzierungsgrundlage für den Agglomerationsverkehr einzubauen. Wir verfolgen die Arbeiten des Parlaments in dieser Sache mit grösster Aufmerksamkeit und werden vor der Volksabstimmung deutlich sagen, was wir meinen.

Dank an Pioniere und heutige Aktive

Ich möchte danken. Respektvoll denke ich an alle jene, die während 100 Jahren an der Verbesserung der Arbeitsbedingungen des Verkehrspersonals gearbeitet haben. Danken will ich jenen, die das weiterhin tun wollen und auch tun werden.

Sie alle wussten und wissen, wie wichtig gute Rahmenbedingungen für den ö.V. sind. Auch dafür kämpften und kämpfen sie gemeinsam: Das heisst Finanzierung des ö.V., Kampf um gute und bessere Fahrpläne, um mehr ö.V., Kampf um Substanzerhalt. Das haben sie getan, das werden wir auch wir weiterhin tun.

05.04.03

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