Solidarität und Zukunftsglaube.
Für Demokratie und Weltoffenheit

Bundesfeieransprache 1. August 2007
in Kappel/SO

Von Ernst Leuenberger, Ständerat, Solothurn

Die Schweiz feiert Geburtstag. An einer Geburtstagsfeier werden Glückwunschbotschaften überbracht, manchmal gibt es auch Geschenke. Am Bundesfeiertag besteht unsere Glückwunschbotschaft, besteht unser Geschenk darin, dass wir für einen Augenblick über unsere Schweiz nachdenken, unseren Schweizer Stolz aussprechen, unserer Freude über das Land Raum geben, aber auch einige kritische Bemerkungen anbringen. Ein wenig tun wir uns schwer damit, uns selber zu feiern oder gar zu loben. Das ist gut so; es entspricht republikanischen Tugenden.

Die Schweiz war und ist eine friedlich zusammenlebende Solidargemeinschaft von Menschen verschiedener Sprachen, unterschiedlicher Religionen, verschiedener politischer Ansichten; von Menschen unterschiedlicher Herkunft (nicht alle unsere Vorfahren waren 1291 dabei); von Berglern, Landschäftlern und Städtern, von Reichen und Armen, von Starken und Schwachen. Das ist unser väterländischer, unser mutterländischer Stolz. Tragen wir Sorge zu.dieser Schweiz.

Stolz sein auf die Schweiz heisst dankbar sein all jenen gegenüber, die diese Schweiz aufgebaut haben.

Stolz sein auf die Schweiz heisst, die positiven Eigenschaften pflegen und stärken, auch modernisieren, schlechte Verhaltensweisen kritisieren und korrigieren. Kurz an der Schweiz, an uns arbeiten.

Was sind wichtige Werte unserer Schweiz?

Ich nenne drei davon: (ich lasse mal andere Tugenden wie Fleiss und Sparsamkeit, Zuverlässigkeit usw. beiseite).

  1. Solidarität: Das ist Gerechtigkeit und Toleranz
  2. Zukunftsglaube: Das ist das Gegenteil von Angstmacherei
  3. Für Demokratie und Weltoffenheit

1. Solidarität: Das ist Gerechtigkeit und Toleranz

Werte oder Tugenden müssen immer wieder neu gestaltet, erarbeitet, verteidigt und weiterentwickelt werden.
So ist etwa Gerechtigkeit heute bedroht:

  • Durch neureiche Abzocker. Dabei haben sich Schweizer Reiche immer durch eine gewisse Diskretion ausgezeichnet. "Mehr sein als scheinen", lautete die Devise.

  • Gerechtigkeit beinhaltet auch Steuergerechtigkeit. Jeder soll nach seinen Möglichkeiten an den öffentlichen Haushalt, an die Lösung öffentlicher Aufgaben beitragen. Steuerhinterzieher zerstören dieses Gleichgewicht. Eine Vorlage, welche die Dividenden nur noch teilweise steuerbar erklärt, während etwa die Renten voll versteuert werden müssen, zerstört dieses labile Gleichgewicht und damit die Steuermoral.

  • Gerechtigkeit beinhaltet namentlich auch den Ausgleich, d.h. Sozialpolitik.
    Wir tragen Sorge zu den Menschen, wir üben Menschlichkeit. Die Schwachen, Kranken, die Gestrauchelten, ja auch die Ausgegrenzten nehmen wir in die Mitte. Mit andern Worten: sozialer Ausgleich, eine gute Sozialpolitik entspringt guter Schweizer Art.

  • Und noch dieses:
    Wer dieses System missbraucht, gehört bestraft. Aber Achtung: das Sozialsystem ist
    schlecht, weil es von einigen unsolidarischen Schlaumeiern missbraucht wird.
    Probleme sind zu lösen, ohne das Kind mit dem Bade auszuschütten.

So ist etwa der Grundwert der Toleranz heute bedroht:

  • Durch fremdenfeindliche Ausgrenzer und Ausschaffer. Natürlich haben wir alle schon insgeheim einige ärgerliche Zeitgenossen "ins Pfefferland gewünscht" oder auf den "Mond verpflanzt". Das heutige Strafrecht genügt absolut. Wer mehr verlangt, betreibt Fremdenhetze.
    Solidarität und Toleranz ertragen keine Ausgrenzungen aufgrund von Nation, Geschlecht, Rasse ode Religion.
    Fremdenfeindlichkeit ist zwar kurzfristig ein politsches Erfolgsrezept wie figura zeigt, aber sie zerstört die Grundlagen der Willensnation und Solidargemeinschaft Schweiz und ist daher zu überwinden. Und noch etwas: Das Gegenteil von Ausgrenzung heisst Integration. Gewiss etwas schwieriger als "auf den Mond schiessen", einsperren oder zum Teufel jagen, aber sinnvoller, menschlicher und schweizerischer.

  • Durch moderne Kreuzfahrer gegen den Islam und die Angehörigen dieser Glaubensrichtung. Dabei haben wir bis vor kurzem geglaubt, die Schweiz habe diese Phase überwunden. Denn bis ins 19. Jahrhundert gehörten konfessionelle Auseinandersetzungen, ja Kriege zum eidg. Alltag. Ich denke an den harten Solothurner Kulturkampf zwischen Liberalen und Katholisch-Konservativen. Was heute Minarettverbote wollen, sollten damals Klosterschliessungen, Klosterverbote, Jesuitenverbot etc. bringen. Hüten wir uns vor Rückfällen. Ueberlassen wir das Diskussionsfeld hüben und drüben nicht den Fundis, sondern den Vernünftigen. Das ist gute Schweizerart.

  • Zum Thema religiöse Toleranz wollen wir nicht vergessen, dass die Schweizer Geschichte uns lehrt, wie schwer wir uns mit den Juden getan haben. An einem Beispiel: Die liberale Bundesverfassung von 1848 beschränkte die zentrale und sehr wichtige Niederlassungsfreiheit auf Schweizer christlicher Konfession. Die Schweizer Juden erhielten die Niederlassungsfreiheit erst 1874.


2. Zukunftsglaube: Das ist genau das Gegenteil
von Angstmacherei.

Wir sind Zukunftsgläubige, Zukunftswillige und Zukunftsfähige.
Was heisst das konkret:

  • Wir wenden uns gegen Angstmacher. Angst frisst die Seele, Angst tötet jegliche freiheitliche Regung.

  • Wir tragen Sorge zu den Kindern und ihrer Welt.
    Das heisst Sorge tragen zur Umwelt, Luft, Boden, Wasser, Natur; nicht alles aus wirtschaftlichem Profitdenken jetzt verbrauchen, sondern den Nachfahren, unseren Kindern und Enkeln/innen eine intakte Umelt als Erbe hinterlassen.

  • Zukunftsglaube heisst aber auch, dass jede Generation der nachfolgenden Chancen einräumt.
    Oder deutlicher gesagt: jeder macht mal einen Blödsinn ohne dass er deswegen gerade eingesperrt werden muss. Ich halte nicht viel davon, die Jungen und wären es momentane Uebeltäter einzusperren oder zum Teufel zu jagen. Das ist mir zu billig.


3. Für Demokratie und Weltoffenheit

Unser Stolz aufs Schweizer Vaterland, aufs Schweizer Mutterland, ist Stolz auf die Vergangenheit, Stolz auf das Erreichte, verbunden mit der Zuversicht, dass wir auch die nicht wenigen Zukunftsprobleme friedlich angehen und lösen werden.

Unser patriotischer Stolz macht uns auch stark in der Auseinandersetzung mit Fundamentalismus aller Art, sei dies nun religös, politisch oder sonstwie ideologisch abgestützt. Wir treten Isolationisten, Predigern der Ueberheblichkeit und des Hasses, Miesmachern aller Art klar entgegen, scheuen die Auseinandersetzung nicht.

Zum Thema Weltoffenheit gehört für mich auch, dass wir Schweizerinnen und Schweizer nicht nur Spitzensportler und Superreiche einbürgern, sondern auch sog. "gewöhnliche" Menschen.
Ich habe einen Verdacht: manch einer, der mit der Schweizerfahne in der Hand der Fussballnationalmannschaft zujubelt, am Sonntag darauf gegen erleichterte Einbürgerungen stimmt oder eine konkrete Einbürgerung an der Gemeindeversammlung ablehnt.

Wir sind für offenes Aufeinander-zu-Gehen, für die Auseinandersetzung im Dialog.
Demokratie meint nämlich Dialog, meint auch konfliktreiches Suchen nach der besten Lösung; meint auch das Recht der Kleinen und Schwachen, sich zu Wort zu melden. Und noch eines: Demokratie heisst Volksherrschaft. Aber wie alle Herrschaft ist auch Volksherrschaft an Grundregeln gebunden. Rechtsstaatlichkeit heisst eine davon.
Respektierung von Menschenrechten eine andere.


Patriotismus nicht den Isolationisten überlassen, wir alle sind Patriotinnen und Patrioten
Ich will es am Bundesfeiertag klar aussprechen: Was mich am meisten stört, dass just diese Isolationisten so tun als ob sie die einzigen echten Patrioten wären. Für mich sind all jene Patriotinnen und Patrioten:

  • die in diesem Land leben
  • die Schweiz weiterentwickeln zu wollen;
  • endlich merken, dass die Schweiz zwar ein souveränes, schönes Land ist, aber beileibe keine Insel , sondern mitten in Europa, in der Welt liegt,

das ist unser Patriotismus. Und ich bitte alle, die guten Willens sind, diesen Patriotismus zu feiern und den Patriotismus nicht kampflos den kurzsichtigen Isolationisten zu überlassen.

Wir bekämpfen das Leitmotiv der Egoisten und Isolationisten: " wenn jeder für sich schaut, ist für alle gesorgt"..


Sondern entsprechend der eidgenössischen Losung: "Alle für einen, einer für alle." wollen wir solidarisch sein mit den Schwächeren im Lande und ausserhalb des Landes in der weiten Welt. Wir wenden uns frohgemut und kämpferisch gegen die Egoisten, Abzocker, Profiteure, Gytsgnäpper, Batzenklemmer.


Es bleibt mir zu danken, Ihnen allen, die Sie - jede und jeder an seinem Ort - weiterhin für eine solidarische, offene und zukunftsorientierte Schweiz eintreten wollen. Ich ermuntere die Jungbürgerinnen und Jungbürger sich zu engagieren, um ihre Zukunft und die ihrer Nachfahren gestalten zu helfen. Wir wünschen unserem Land, allen Einwohnerinnen und Einwohnern Wohlergehen, etwas Glück und einfach alles Gute zum Geburtstag der Schweiz und freuen uns auf eine gute Zukunft. Mir wei Sorg ha zu dr Schwiiz, zu Land und Lüt.

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