700 Jahre Aedermannsdorf

Ansprache von Ständerat Ernst Leuenberger, Solothurn. Sonntag, 31. August 2008 in Aedermannsdorf

1. Einleitung

Ich danke für die Ehre, an diesem feierlichen und besinnlichen Anlass sprechen zu dürfen.
Der Anlass "700 Jahre Aedermannsdorf" ist nicht bloss eine heitere Geburtstagsfeier, auch nicht nur ein fröhliches Dorffest.
Es ist mehr: ein besinnlicher Gedenkanlass mit Frohmut und Freude gefeiert. Dazu gehören:

Viel Freude am Erreichten,

Der Willen, kommende Probleme zu meistern;

Etwas über den Gartenzaun zu schauen, nämlich visionär zu sehen versuchen, was auch noch sein könnte.

Menschliche Sehnsüchte nach Utopia; nach kindlich-zauberhafte Märchenwelten gehören auch zum Jubiläum.

Ich bin beeindruckt, mit welcher Ernsthaftigkeit, mit welchem Einsatz Ihr OK diesen Anlass vorbereitet hat.

2. Chronik

Allein die Chronik, verfasst durch den Historiker Dr. Albert Vogt wäre ein ganze Würdigungs-Rede wert. Sie ist eine wahre Fundgrube für Intressierte. Sie gibt uns beides: Information und Anstoss zum Nachdenken über das Woher und Wohin.
Wir wissen es: Aus der Geschichte nichts lernen wollen, ist falsch , kurzsichtig und überheblich.
Aber aus der Geschichte lernen ist schwierig. Während die einen sagen, wir wollen es genau so machen wie damals; sagen die andere, es sei wichtig, genau das Gegenteil von damals zu machen. Vielleicht seufze ich bei solchen Diskussionen jeweils, seien doch auch politische und gesellschaftliche Auseinandersetzung bloss die Suche von Mass und Mitte…
Die Chronik zeigt auch Veränderungen auf. Wir werden Zeugen von radikalem Bedeutungswandel, z.T. Bedeutungsverlust.
Was über Jahrhunderte Aedermannsdorf prägte, hat sich verändert:

Die Landwirtschaft ist ein sehr kleiner Wirtschaftszweig geworden

Und auch die Industrie ist teilweise sogar verschwunden (von Roll Klus, Keramikindustrie).

Der Kulturkampf gehört glücklicherweise der Vergangenheit an.

Religion und Kirche haben an Einfluss auf das Leben der Menschen verloren

3. Das Festspiel

Festspiel "Zmitts inne im Jura" von Bruno Born, die geraffte szenische Darstellung dieser 700 Jahre, ungeschminkt die Fakten. Der Versuch ist gelungen, Geschichte darzustellen und zwar nicht als Klamauk, auch nicht als gute alte Zeit, sondern auch als Lehrstück wie es damals war, wohl auch verbunden mit dem Gedanken, manches sei glücklicherweise besser geworden.
Die auf der Schattseite standen; ich meine etwa Arme, Ausgegrenzte, Verdingkinder, Heimatlose erfahren durch die Darstellung ihres Schicksals ein Stück Gerechtigkeit.
Für sie gilt ganz besonders: " den Alten zur Ehr, den Jungen zur Lehr."
Solch eindrückliche Darstellung ruft nach einem kleinen Marschhalt, um über die Frage zu sinnieren: woher kommen wir, wo stehen wir heute, wohin wollen wir gehen?

4. Heimat

Zmitts inne im Jura
"Wenn Du im Thal aufgewachsen bist, so lässt dich diese Gegend dein ganzes Leben nicht mehr los" Dieses Kompliment an das Thal lasen wir 1981 bei Wolfgang Hafner, aus Balsthal.
2005 publiziert er in "Dort oben die Freiheit" eine kritische Liebeserklärung an den Solothurner Jura und macht gleichzeitig aus der Solothurner Juraschutzzone von 1942 einen Leuchtturm an weiser Voraussicht in Sachen Umweltschonung.

Es gelte, dem Berg seine Eigenheit zu lassen und nicht alles zu überbauen.

Oder eben " die Freiheit oben auf den Bergen, weit weg vom Stress" zu bewahren.

"Die Solothurner/innen waren und sind hoffentlich auch in Zukunft bereit, ihren Beitrag zur Erhaltung der Freiheit auf dem Berg zu leisten."


5. Heimat Gemeinschaft Fernweh und Ausgrenzung

Alle Liebeserklärungen an die Heimat werfen die Frage auf, was denn eigentlich Heimat und Gemeinschaft ausmachen. Es ist sicher die Vertrautheit mit den Verhältnissen und den Menschen, es ist sicher die Gewissheit dass die Gemeinschaft auch eine Solidargemeinschaft sein will; es ist die Gewissheit, das keiner verloren gehen kann.
Gemeinschaft entsteht nicht aus dem Nichts. Täglich ist daran zu arbeiten. Und Solidargemeinschaft heisst denn auch Teilen. Und bekanntlich gehört Teilen zum Schwierigen im menschlichen Leben. Gemeinschaft gibt ein Wir-Gefühl, schafft Identität.
Und wir haben es in Schillers Tell gelesen: " Verbunden werden auch die Schwachen mächtig."
Das Wir-Gefühl kann aber auch zu Ausgrenzung führen. "Du bist ein Fremder; Du gehörst nicht zu uns; mit Dir wollen wir nicht teilen."
Wir haben zwar alle den wunderbaren Text von Matthias Claudius im Ohr und singen ihn mit Inbrunst und sind einverstanden damit: "Verschon uns Gott mit Strafen und lass und ruhig schlafen und unseren Kranken Nachbarn auch."

Allerdings sagen wir damit nichts darüber aus, was wir tun, wenn uns dieser Nachbar nicht sympathisch ist, ja wenn er uns stört und auf den Wecker geht.
Da ist dann die Solidargemeinschaft auf die Probe gestellt und es wir schwierig. Und wir haben tätig zu werden ob aus "Solidarität" oder aus Caritas nach dem Motto "Einer trage des andern Last" ist dann nicht mehr so wichtig.

Mir ist wichtig, dass wir uns immer wieder vor Augen führen, dass das Leitmotiv der Egoisten keine Gemeinschaft begründet, unsolidarisch ist und bleibt.
Dieses Leitmotiv heisst etwa:
"Wenn jeder für sich schaut, ist für alle geschaut."

Zu den schwierigen Fremden fällt mir immer wieder ein, dass alle Menschen Phasen von Fernweh, Reise- und Abenteuerlust erleben. Phasen mit dem Wunsch auszubrechen aus unseren kleinen Welt, in die wir dann so gerne wieder zurück kehren.
Wenn wir schon zu Gast sein wollen in allen Erdteilen, in allen Ländern, dürfen wir manchmal auch etwas gastfreundlicher sein zu Menschen, die als Flüchtige, als Vertriebene oder auch als Arbeitende zu uns kommen.

6. Wandel

Eine Jubiläumsfeier könnte den Irrtum hervorrufen, die Menschen meinten nun, es bleibe alles wie es jetzt gerade sei. Oder das Ende der Geschichte sei gekommen.
Der Wandel, die Entwicklung geht weiter, schreitet unaufhaltsam voran. Ich meine technischen Wandel, wissenschaftlichen Wandel; wirtschaftlichen Wandel, gesellschaftlichen Wandel.
Ich komme konkret zurück zu dieser Region: im Jahr 2000 fand im Kunstmuseum Solothurn die Fotoausstellung "Leute im Thal Sommer 1940" statt. Albert Vogt hat damals Fotos seines Vaters Georg Vogt gezeigt. Diese Bilder von 1940 zeigen deutlich den Wandel in den verflossenen Jahrzehnten. Die Menschen, ihre Kleidung, die Hintergründe, die teilweise scheuen Blicke in die Kamera zeugen von einer versunkenen Zeit und lassen einiges ahnen, was im Mai/ Juni 1940 die Menschen hier bedrückt hat; der um die Schweiz herum tobende 2. Weltkrieg und die Ungewissheit, ob die Schweiz verschont bleiben wird.
Wandel ist unausweichlich und unvermeidbar. Das einzig Beständige ist der Wandel. Wir haben dafür zu sorgen, dass dieser Wandel die menschlichen Grundwerte und die natürlichen Lebensgrundlagen bewahrt.


 


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