Neue Mittellandzeitung, 19. November 2001

An die Limiten der Demokratie

Streitgespräch Maximilian Reimann und Ernst Leuenberger zur Sondersession Swissair

Für Ernst Leuenberger war die Sondersession ein wichtiges Signal, für Maximilian Reimann ging sie an die Limiten der Demokratie. Reimann fürchtet durch die Beschlüsse gefährliche Präjudizien. Er fordert eine PUK. Leuenberger will erst die Ergebnisse der Sonderprüfung sehen.

Martin Furrer

Herr Leuenberger, fühlen Sie sich noch ernst genommen als Parlamentarier, da Sie bloss Ja und Amen sagen konnten zu einer Vorlage, die Bundesrat und Wirtschaft vorgängig eingefädelt und beschlossen haben?

Ernst Leuenberger: Die Finanzdelegation als gesetzlich legitimiertes Gremium hat stellvertretend für das Parlament Stellung genommen zu dieser Vorlage. Und in der Finanzkommission sind wir ebenfalls konsultiert worden.

Sehen Sie das auch so positiv, Herr Reimann?

Maximilian Reimann: Nein, wir konnten nur noch mit dem Kopf nicken. Diese Sondersession war nicht nötig. Ich bin mit Unmut nach Bern gereist. Was hier veranstaltet wurde, war eine reine Absegnungsübung. Das Prozedere ging an die Limiten der Demokratie. Das Instrument der Sondersession wurde für eine populistischen Anlass missbraucht.

Leuenberger: Es ging darum, den Investoren, aber auch den Tausenden von Swissair-Angestellten zu signalisieren, dass der Bund hinter der Finanzierungsübung steht.

Herr Reimann, können Sie als Anlageberater die Aktion der neuen Swissair dereinst zum Kauf empfehlen?

Reimann: Nur einem wagemutigen, risikofähigen Anleger könnte ich sie empfehlen. Aber da bloss fünf bis zehn Prozent der Anleger und Vorsorgesparer unter diese Kategorie fallen, müsste ich einem gewöhnlichem Anleger davon abraten. Ich würde ihm empfehlen, zwei bis drei Jahre abzuwarten, bis sich zeigt, ob sich die neue Gesellschaft auf dem Weltmarkt behaupten kann.

Herr Leuenberger, Sie haben Ja gestimmt zum Milliardenengagement für die neue Swissair. Würden Sie als Privatmann solche Aktien kaufen?

Leuenberger: Ich bin kein Anleger, ich besitze nur eine einzige Inhaberaktie, eine der Bern-Solothurn-Bahn RBS. Das soll auch so bleiben. Wenn es so wäre, dass das Publikum nur gewartet hätte, bis Aktien der neuen Fluggesellschaft angeboten werden, hätten wir die ganze Übung nicht abhalten müssen und der Bundesrat hätte auch nicht auf Betteltour bei der Wirtschaft gehen müssen.

Hatten Sie, Herr Leuenberger, nie Skrupel, Milliarden von Steuergeldern für eine private Fluggesellschaft zu sprechen?

Leuenberger: Bis zum 2. Oktober als ich um zehn Uhr vormittags vom Grounding der Swissair erfahren habe, war ich der Meinung, es mache keinen Sinn, in die alte, marode Swissair auch nur einen Fünfer aus der Bundeskasse zu investieren. Ich war der Ansicht, dass diejenigen zur Kasse gebeten werden sollten, die das Schlamassel angerichtet haben. Aber am 2. Oktober habe ich einen Schock erlitten und meine Meinung geändert.

Reimann: Das Grounding war tatsächlich das Schlimmste, was der Swissair passieren konnte. Da müssen irgendwo Schuldige sein. Auch ich erwarte aufgrund der laufenden Sonderprüfung, dass uns bald klarer Wein eingeschenkt wird, wer für das Debakel verantwortlich ist.

Herr Leuenberger, Sie verurteilten jede "Miesmacherei" gegen das Bundes-Engagement. Ist es Ihnen als Sozialdemokrat wohl dabei, dass die Wirtschaft, die sich unterm Jahr gegen jede Intervention des Staats wehrt, angesichts des Desasters plötzlich den patriotischen Schulterschluss mit der Politik predigt?

Leuenberger: Man hätte im Sinne der Verelendungstheorie argumentieren können, wir lassen die Swissair zu Boden gehen, damit wir dann die bösen Bürgerliche verurteilen können, damit wäre aber niemandem geholfen gewesen, dies ist nicht die Stunde der Häme.

Herr Reimann, Sie haben nicht gegen den Bundesbeschluss gestimmt, sondern sich nur der Stimme enthalten. Warum?

Reimann: Man hat uns gesagt, Nein könne der Ständerat nicht sagen, weil dann die ganze Sache noch schlimmer würde. Ein Nein hätte nichts gebracht. Weil die Verträge mit den Investoren schon unterschrieben sind, wäre der Bund mit Prozessen eingedeckt worden. Aus ordnungspolitischer Überzeugung und als Finanzpolitiker, der in der Vergangenheit gelegentlich auch einem Bundesbudget nicht zugestimmt hat, habe ich aber trotzdem grösste Mühe mit der Bewilligung der zwei Milliarden Franken.

Leuenberger: Herr Reimann, die Hälfte der Wertschöpfung des Flughafens Zürich-Kloten geht in andere Kantone, zum Beispiel in den Kanton Aargau. Ich würde von Ihnen als aargauischer Standesvertreter gerne wissen, mit welchem Alternativkonzept man Sie hätte überzeugen können, einem Bundesengagement zuzustimmen.

Reimann: Ich kann nicht beurteilen, wie ernst die Alternativen, etwa das Modell einer Umschuldung mit Bundesgarantien der Firma Merrill Lynch, zu nehmen gewesen wären. Sicher ist, dass die Schweiz auch ohne nationale Airline mit der Welt verbunden geblieben wäre, nur eben durch ausländische Gesellschaften. Natürlich wäre ein Dauergrounding der Swissair für das im Aargau wohnende Personal der flugnahen Betriebe eine Katastrophe gewesen. Ich habe ein lachendes und weinendes Auge. Aber mit den zwei Milliarden wurde die Verhältnismässigkeit eindeutig überspannt.

Sie mussten sich bei Ihren Entscheiden auf Flug- und Finanzexperten stützen. Waren Sie als Milizpolitiker bei diesem Geschäft überfordert?

Reimann: Ich für meinen Teil habe mich nicht überfordert gefühlt. Es gibt schwierigere Dossiers, die Gentechnologie zum Beispiel. Da fühle ich mich eher überfordert.

Leuenberger: Selbstverständlich werde ich nie Fachmann in Sachen Fliegerei werden. Aber wir haben gute Informationen erhalten, aufgrund deren ich mir ein Bild von der Problematik machen konnte, etwa vom Direktor der Finanzverwaltung, Peter Siegenthaler, einem topseriösen Finanzfachmann. Auch Crossair-Chef André Dosé hat mich fachlich überzeugt.

Sind nun Präjudizien geschaffen worden für ähnliche Finanzierungsaktionen? Maxime Zuber, der Stadtpräsident von Moutier, ruft bereits nach Bundeshilfe für serbelnde Unternehmen im Jura.

Reimann: Ja , es ist zu befürchten, dass Kreise, die Produkte oder Dienstleistungen anbieten, welche im weitesten Sinne von nationaler Bedeutung sind, unsere Beschlüsse als Präjudiz nehmen werden.

Leuenberger: Natürlich darf es nicht so weit kommen wie in Belgien, wo der Staat die Stahlindustrie so lange subventionierte, bis er fast daran zugrunde ging. Wir sollten aber nicht so tun, als sei der Fall Swissair der erste Fall, bei dem der Bund viel Geld fliessen lässt. Ich möchte daran erinnern, dass einst geplant war, in der Nähe von Kollega Reimanns Heimat, in Kaiseraugst, ein Atomkraftwerk zu bauen. Es stellte sich heraus, dass das aus politischen Gründen nicht möglich war. Das Projekt wurde damals mit einer Motion aus dem Nationalrat gestoppt. Damit wurde der Staat entschädigungspflichtig. Von der Grössenordnung her ist der Fall Kaiseraugst mit dem Fall Swissair nur bedingt vergleichbar, aber immerhin hat Kaiseraugst die Bundeskasse auch ein paar hundert Millionen Franken gekostet. Für nichts, nur für den Erhalt des Landfriedens!

Reimann: Kaiseraugst und die Swissair kann man nicht vergleichen. In Kaiseraugst hat eine Unternehmung aufgrund von Bewilligungen Projekte erstellt und Land gekauft. Später ist es dem Staat nicht gelungen, die Realisierung zu sichern, darum musste man einen Schlussstrich ziehen. Im Fall Swissair hingegen haben Verwaltungsräte wegen ihres schlechten Managements die Grundlage für die Krise gelegt.

Die CVP fordert eine parlamentarische Untersuchungskommission (PUK). Was halten sie davon?

Leuenberger: Entscheiden ist, dass untersucht wird, was an diesem 2. Oktober tatsächlich passiert ist, die Banken weisen alle Schuld von sich, die Swissair beschuldigt die Banken. Das können wir auf die Dauer nicht so stehen lassen. Wir sollten zuerst die Ergebnisse der Sonderprüfung abwarten. Wenn dann noch Fragen offen sind, müssen wir uns den Einsatz anderer Untersuchungsinstrumente überlegen.

Reimann: Die SVP-Fraktion hat mit klarer Mehrheit beschlossen, die Einsetzung einer PUK Swissair zu verlangen. Auch wir wollen Klarheit schaffen.

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