Solothurner Zeitung, 01. Juni 2001

Kämpferische Bähnler

SBB-Spitzenmanager werden künftig mehr verdienen als Bundesräte - Eisenbahnergewerkschaft läuft Sturm.

Deutliche Worte zu den Spitzenlöhnen des SBB-Topkaders prägten gestern den ersten Kongresstag der Eisenbahnergewerkschaft SEV in Bern. Für die SBB-Rentner gabs dafür einen lange ersehnten Erfolg zu vermelden: Sie erhalten rückwirkend den seit 1997 ausstehenden Teuerungsausgleich.

Giovanni Leardini, Bern

Verkehrsminister Moritz Leuenberger hat gestern wieder einmal sein taktisches Geschick unter Beweis gestellt. Er überraschte die rund 500 Delegierten des Schweizerischen Eisenbahner- und Verkehrspersonal-Verbandes (SEV) im Berner Kursaal mit einer frohen Botschaft, die er eigentlich schon nach der Bundesratssitzung vom Mittwoch hätte verkünden können: «Wir haben im Bundesrat beschlossen, dass die pensionierten Angestellten der ehemaligen Regiebetriebe auf ihren Renten den seit 1997 ausstehenden Teuerungsausgleich erhalten. Die Kosten dafür trägt der Bund.»

Den zweiten Applaus erntete Leuenberger mit seiner Aussage zu den umstrittenen Spitzengehältern der SBB-Topmanager: «Meine Vision war immer, dass alle Menschen, die das ihnen Mögliche leisten, gleich viel verdienen sollten.» Er wisse natürlich, dass diese Vision ins Reich der Träume gehöre. «Aber ich bleibe dabei: Zu grosse Lohnunterschiede sind für den Zusammenhalt einer Gesellschaft eine Gefahr, und sie sind auch für die Wirtschaft schändlich.» Deshalb habe man vom SBB-Verwaltungsrat verlangt, dass die tiefen Löhne über dem Marktniveau liegen, was auch erfüllt worden sei. Ein Fehler sei es dagegen gewesen, Richtlinien für die höchsten Löhne festzulegen.

Das werde nun aber geändert: «Der Bundesrat hat beschlossen, dass er künftig den Betrieben in den Leistungsvereinbarungen qualitative Vorgaben machen wird, und dass bei den Topkader-Löhnen ab sofort Transparenz gilt.» Der Bundesrat sei gerne bereit, aus der Kritik zu lernen. Doch nicht jede Kritik sei gerechtfertigt. «Warum sagte niemand etwas, als der dänische und dann der norwegische Güterverkehrschef der SBB einen höheren Lohn bezogen als ihr heutiger Nachfolger? Und dürfen wir in Kauf nehmen, dass die SBB möglicherweise ihre besten Leute verliert und auf dem Arbeitsmarkt ein Handicap erleidet?», fragte Moritz Leuenberger die Delegierten. Man habe die SBB in den Markt entlassen, und den Regeln des Marktes seien halt auch die Löhne ausgesetzt.

«Angriff auf die tiefen Löhne»

Mit dieser Argumentation zeigte sich sein Namensvetter, SEV-Präsident und Ständerat Ernst Leuenberger (SP/SO) absolut nicht einverstanden: «Bisher hatten die SBB, die Post, die Bundesverwaltung, ja der ganze Service public eine zusammengestauchte Lohnskala: Zuoberst verdiente man im Vergleich zu den Marktlöhnen etwas weniger, bei den unteren Löhnen dafür etwas mehr als in vergleichbaren Berufen in der Privatwirtschaft.» Genau dieses System solle nun mit dem Ruf nach Marktlöhnen aus den Angeln gehoben werden. Ernst Leuenberger begründete seinen Ärger über die Top-Kaderlöhne mit einer Vermutung: «Man hat die kleinen Löhne ins Visier genommen.» Im übrigen stimmten die kürzlich im «SonntagsBlick» veröffentlichten SBB-Durchschnittslöhne nicht. Die Zeitung hatte von jährlich 100 000 Fr. gesprochen. In Wirklichkeit betrage der durchschnittliche Grundlohn bei den SBB knapp 78 000 Franken.

Der Präsident, der von den SEV-Delegierten später für weitere vier Jahr im Amt bestätigt wurde, brachte dann ein «ernsthaftes Anliegen» vor: «Wir wünschten uns einen SBB-Verwaltungsrat, der etwas mehr Sozialkompetenz und politischen Sachverstand hat», sagte er, offensichtlich auf den bei den Eisenbahnern in Ungnade gefallenen SBB-Verwaltungsrats-Präsidenten Thierry Lalive d'Epinay anspielend. «Die Bundesbahnen gehören nicht dem Verwaltungsrat, nicht dem uns so teuren SBB-Management, nicht einmal dem Bundesrat, auch nicht dem Parlament. Die Schweizer Bahnen gehören dem Schweizer Volk und niemandem sonst», rief Ernst Leuenberger in den Saal. Die Bähnler tobten.

Wettbewerb ja, aber...

Der Wettbewerb unter den Bahnen führe aus ökonomischer Sicht notwendigerweise zur Bündelung der Kräfte. Als Beispiele nannte Leuenberger die Zusammenarbeit der SBB mit der BLS und mit der Mittel-Thurgau-Bahn oder die geplante Fusion der Südostbahn mit der Bodensee-Toggenburg-Bahn. Der Wettbewerb dürfe aber nicht auf dem Buckel des Personals ausgetragen werden, indem die Personalaufwendungen gesenkt werden. «Deshalb brauchen wir im ganzen Bereich der Normalspur-Bahn möglichst harmonisierte Anstellungs- und Arbeitsbedingungen.» Der SEV-Präsident forderte alle Beteiligten auf, «sich an einen Tisch zu setzen und über einen Gesamtarbeitsvertrag Normalspurbahnen nachzudenken und zu sprechen».

 

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