Solothurner Zeitung,
29. Mai 2001
Keine Zustände
wie in England
Bahnreform II: Forderungen
der Eisenbahner-Gewerkschaft
Der Schweizerische
Eisenbahn- und Verkehrspersonal-Verband (SEV) wehrt sich gegen eine
rechtliche Trennung der Bereiche Bahnbetrieb und Bahninfrastruktur.
Am Beispiel England zeigte die SEV-Spitze gestern Montag in Bern die
negativen Folgen einer solchen Massnahme auf.
Giovanni
Leardini, Bern
Er sei
nicht gekommen, um eine politische Aussage darüber zu machen, ob die
Schweizer Bahnen privatisiert werden müssten oder nicht, sagte Christopher
Irwin gestern Montag an der Pressekonferenz des Schweizerischen Eisenbahn-
und Verkehrspersonal-Verbandes (SEV). Vielmehr war der Brite, Vorsitzender
einer Bahnkunden-Interessengruppe, vom SEV nach Bern geladen worden,
um am Beispiel England die negativen Folgen einer rechtlichen Trennung
der Bereiche Bahnbetrieb und Bahninfrastruktur aufzuzeigen.
Irwin
rief noch einmal die Bilder des verheerenden Bahnunfalls in Hatfield
vom letzten Oktober in Erinnerung, der vier Menschen das Leben kostete.
Ursache des Unfalls war ein Schienenbruch wegen mangelnder Wartung.
«Die Problemstelle war schon lange bekannt, die Behebung des Schadens
war aber wegen Kommunikationsproblemen zwischen den verschiedenen Betreibern
immer wieder verzögert worden», so Irwin. Die Trennung von Betrieb und
Infrastruktur habe in England aber noch weitere Nachteile gebracht:
Servicemängel, Verspätung und die fehlende Koordination der Fahrpläne.
Den «neoliberal
angehauchten» Bahnspezialisten, die eine solche Trennung der Bereiche
auch in der Schweiz anstreben, empfahl SEV-Präsident und Ständerat Ernst
Leuenberger (SP/SO) deshalb «ein Praktikum in England». Offenbar gebe
es der Wirtschaft nahestehende Kreise, die - durch «kecke Leute im Bundesamt
für Verkehr» inspiriert - im Rahmen der anstehenden Bahnreform II von
einem neu zu schaffenden Bundesamt für Bahninfrastruktur träumten. «Doch
der Service public Eisenbahn kann nur über eine integriert geführte
Bahn erbracht werden», trat Leuenberger diesen Plänen entgegen. Sonst
drohten «Sicherheitsdumping und Zustände wie in England».
Kein
«England-Abenteuer»
Um so unverständlicher
ist für den SEV das Vorhaben der SBB-Spitze, sich für den Betrieb von
zwei Regional-Bahnnetzen in England zu bewerben. Neuerdings sei bekannt
geworden, dass für einen Zuschlag auch Investitionen in die dortige
Infrastruktur verlangt würden, erklärte Leuenberger. Damit sei das «England-Abenteuer»
vermutlich gestorben, denn Bund und Parlament könnten es sich kaum leisten,
«auch nur einen Schweizer Franken für eine Bahninfrastruktur im Ausland
auszugeben», so der SEV-Präsident. Die dafür vorgesehenen Mittel und
Energien sollten gescheiter in den heimischen Markt und in die Stärkung
des Bahn-Güterverkehrs investiert werden.
Fünf
Prozent mehr Lohn
Im Hinblick
auf den SEV-Kongress vom kommenden Donnerstag und Freitag bekräftigte
der Verband gestern auch seine Lohnforderungen für das Personal des
öffentlichen Verkehrs und der konzessionierten Transportunternehmungen.
«Wir verlangen den vollen Ausgleich der seit 1997 aufgelaufenen Teuerung
plus drei Prozent Reallohnerhöhung», sagte Leuenberger. Insgesamt macht
das fünf Prozent mehr Lohn. Der SEV-Präsident machte zudem darauf aufmerksam,
dass immer noch 30 000 SBB-Rentner auf ihren rechtlich anerkannten Teuerungsausgleich
warten.
Sorgen
macht dem Verband weiter die Situation im Tessin. Das neue SBB-Cargo-Konzept
sieht für die nächsten vier bis fünf Jahre die Verlagerung der Rangieraufgaben
nach Basel vor, wie SEV-Gewerkschaftssekretär Martin Allemann erklärte.
«Dadurch sind im Rangierbahnhof Chiasso alleine aus dem Bereich Infrastruktur
rund 220 Stellen vom Verschwinden bedroht», so Allemann. Im Tessin hat
die SBB in den letzten neun Jahren bereits knapp 1000 Stellen gestrichen.
Für Allemann gibt es nur eine Strategie, um die Jobs im Tessin zu retten:
«Chiasso grenzt an die hochindustrialisierte Region Norditalien, wo
grosser Transportbedarf besteht. SBB-Cargo muss von diesem Transportvolumen
einen grösseren Teil übernehmen. Personal und eine gute Infrastruktur
sind vorhanden.»
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