Arbeit & Verkehr SEV, 08. Oktober 2002

Von der MThB zu Thurbo

Eine verunglückte Privatisierungsübung


Von Ständerat Ernst Leuenberger, Präsident SEV, Solothurn

Schweizer Privatbahnen, besser KTU (konzessionierte Transportunternehmungen), sind nicht eigentlich privat, sie gehören nämlich den Kantonen, den Gemeinden und auch dem Bund. Sie sind ganz einfach nicht den SBB zugehörig, und daher werden sie als privat bezeichnet.
Die Mittelthurgau-Bahn (MThB) war eine solche stolze KTU im Besitz des Kantons Thurgau und des Bundes mit Beteiligung von Gemeinden (bis hin zu Konstanz) und des Kantons SG.

In der David-Pose ist die Leitung dieser Bahn vor Jahren ausgezogen, den Goliath SBB und das BAV (Bundesamt für Verkehr) das Fürchten zu lehren. MThB schnappte mit starkem Druck der Thurgauer Regierung den SBB die so genannte Seelinie weg, um zu zeigen, wie man wirklich Eisenbahn macht. Die SBB waren genau genommen selber schuld an ihrem Verlust. Sie hatten jahrelang diese Seelinie richtig randständig behandelt. Unter der neuen Leitung wuchs das Verkehrsaufkommen gewaltig; die MThB-Eisenbahner/-innen arbeiteten, was das Zeug hielt. Die Expansion nach Deutschland darf als Pionierleistung anerkannt werden.

Resultat 1
Verkehrsmässig ein beachtenswerter Erfolg für den öffentlichen Verkehr.

Resultat 2
Die Finanzen stimmen hinten und vorne nicht. Der tapfere David hinterlässt einen Schuldenberg, der nun mehr oder weniger "verstaatlicht" werden muss.
Die Moral von der Geschichte: Hätten die Behörden von Bund und Kanton TG den SBB so viel Geld gegeben, hätten selbst die SBB die Seelinie ebenfalls gehörig auf Vordermann bringen können.

Nebenbei
Ich kenne Leute, die behaupten: MThB habe dem Goliath SBB Güterverkehr in Form z. B. von Ölzügen weggeschnappt - mit tieferen Preisen.
Wenn die Behauptung stimmt, kann ich dazu nur sagen:
In einem Bereich, in dem die Bahn praktisch ein Monopol hat, wäre eine solche Preisunterbietung fatal bezüglich Verlagerungspolitik.Item, ich kenne die Wahrheit nicht.

Als der MThB finanziell das Wasser an den Schultern stand, hat sie eingewilligt, den Regionalverkehr an eine neu zu gründende Gesellschaft Thurbo abzutreten. Erstmals durften die SBB als Bundesunternehmen dem bedrängten David zu Hilfe eilen. SEV als Personalvertreter/-in hat gemeinsam mit andern Personalorganisationen mit der Firma Thurbo GAV-Verhandlungen aufgenommen und erfolgreich zum Abschluss gebracht. Es ist ein dem SBB-GAV ebenbürtiger Vertrag entstanden, den das künftige Thurbo-Personal in demokratischer Abstimmung gutgeheissen hat. Dass heute der Kanton Thurgau an Thurbo beteiligt bleibt, beurteile ich positiv: Im Regionalverkehr haben nämlich die Kantone bei den Bestellungen der Verkehrsleistungen ein gewichtiges Wort.
Als der Rest-MThB das Wasser knapp unter der Nase stand, der Konkurs drohte, hat sich diese an die SBB gewandt und ihr den ganzen Rest auch noch angeboten. Abermals haben die SBB - unterstützt, ja bedrängt von der Gewerkschaft SEV - Ja gesagt und die Verantwortung für das ganze MThB-Personal übernommen, was der SEV als gewerkschaftliche Errungenschaft bezeichnet. Mit dieser Verantwortungsübernahme durch die SBB ist nämlich garantiert, dass niemand entlassen wird, sondern alle MThB-Mitarbeitenden einen Job bei Thurbo, bei SBB oder bei Dritten angeboten erhalten. Vergleiche ich als Gewerkschafter diesen Vorgang mit dem aktuellen Geschehen im der allgemeinen Wirtschaft, bin ich gewaltig erleichtert und, offen gestanden, den SBB, dem Bund und dem Kanton Thurgau dankbar für die gefundene Lösung.
Gewiss ist nicht zu verkennen, dass es jetzt daran geht, die wichtigen Einzelfragen zu klären.
Die MThB-Leute wollen genau wissen, wo sie in der Nach-MThB-Zeit arbeiten werden; welche Aufgabe sie haben werden. Das bedeutet auch für den SEV noch eine gewaltige Anstrengung.

Aber auch die SBB-Angestellten in der Ostschweiz stellen Fragen, die es zu beantworten gilt:
Die SBB-Eisenbahner/-innen wollen genau wissen, ob die Über-nahme des MThB-Personals Auswirkungen auf ihre Arbeit, auf ihren Arbeitsort haben könnte. Der SEV nimmt auch entsprechende Befürchtungen sehr ernst und tut alles, um die Anliegen der SBB-Leute durchzusetzen. Glücklicherweise gibt es unter den Eisenbahnern/-innen der SBB solidarisches Verhalten mit dem betroffenen MThB-Personal. Die Eisenbahner/-innen von SBB und MThB werden sich auch nicht von da und dort zirkulierenden Gerüchten irre machen lassen.

Ich kann abschliessend feststellen, dass der SEV in der Ostschweiz voll präsent ist: Das Thurbo- und MThB-Personal hat im SEV-Sekretär in Sankt Gallen, Kantonsrat Peter Hartmann, einen Ansprechpartner, der sehr eng mit dem MThB-Sektionspräsidenten, Kantonsrat Peter Keller, zusammenarbeitet. Im SEV-Sekretariat koordiniert die Tätigkeit der KTU-Verantwortliche, Nationalrat Roberto Zanetti, tatkräftig unterstützt durch SEV-Mitarbeiter Robert Karlen.

Das SBB-Personal in der Ostschweiz sieht seine Anliegen in guten Händen bei den entsprechenden Sektionen. Die Fäden laufen im SEV-Sekretariat zusammen bei SEV-Vizepräsident Francois Gatabin, der für SBB-Fragen zuständig ist.

Auf der Arbeitgeberseite ist Herr Meile von der MThB als Verantwortlicher mit einem Feeling für Personalfragen am Werk. Der Unternehmensleiter der Thurbo, Dr. Boos, hat grosses Verständnis für Personalanliegen, er wird unterstützt von der Personalverantwortlichen, Frau Lehmann, und steht mit dem SEV in engem Kontakt. Das SBB-Krisenmanagement vor Ort besorgt Frau Claudia Beutter.

Diese Konstellation gibt Anlass zu Zuversicht. Der SEV jedenfalls arbeitet intensiv an für alle Personalgruppen befriedigenden Lösungen und wird die Betroffenen laufend informieren.

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