Der Rote Boss

Besprechnung des Buches der beiden Sonntagsblick-Journalisten Dorer und Müller über den roten Boss Benedikt Weibel.

Das Buch beruht weitestgehend auf mündlicher Ueberlieferung (oral history). Viele der erwähnten Personen weilen noch unter den Lebenden.

Benedikt Weibel erfährt anlässlich seines Rücktrittes aus der SBB-Geschäftsleitung im Umfeld seines 60. Geburtstages eine frühe Würdigung seines Wirkens. Spannend, journalistisch geschrieben, gut lesbar und -von So-Bli-Journis nicht anders zu erwarten - auch gespickt mit pikanten Details.

Das Buch beginnt mit der Beschreibung des Werdeganges eines richtigen "Schlingels" aus solidem, gutem Haus. In Thun geboren, in Solothurn aufgewachsen bildet das solothurnisch-freisinnige Elternhaus das Fundament für die Exkursionen des jungen Benedikt. Papa wird Verlagsdirektor von Vogt-Schild, Herausgeberin des damaligen Hoforgans "Solothurner-Zeitung" der de facto freisinnigen Staatspartei , tonangebend, fast alleinherrschend. Der lebhafte Benedikt durchläuft die Schulen mit disziplinarischen Pannen; erfolgreich holt er die C-Matur an der Oberrealschule der Kanti Solothurn; studiert in Bern Betriebswirtschaft; wird Assistent am Institut, macht seinen Doktor. Am Institut findet er sich in einer verschworenen Crew von Mitassistenten, die alle ihren Weg machen und Freunde bleiben: Post-Chef Ulrich Gygi, der Solothurner alt Regierungsrat und heutige Post-Verwaltungsrat Rolf Ritschard und Peter Siegenthalter, Direktor der Eidg. Finanzverwaltung. Dass dieser Freundeskreis ingesamt in der SP landet, ist wohl das Werk von Bundesrat Willi Ritschard, der aufmerksamen Anteil am Freundeskreis seines Sohnes nimmt und gerne gewiss auch konrovers mit der kommenden Generation diskutiert.

Student und Assistent Weibel agiert nicht im Kreis der Uni 68er im engeren Sinne; er pflegt über seine Wohngemeinschaft enge Beziehungen zu Poch-Grössen und gilt seither auch als 68er.

Die Berufssuche nach der Uni-Assistenz gestaltet sich nicht einfach. Absagen häufen sich; die Langhaar-Frisur mag ihren Anteil daran haben. Das Buch zeigt auch diese.
Endlich landet er bei den SBB als Assistent des Chefs und steigt Stufe und Stufe bis zum Präsidenten der Generaldirektion SBB, später Vorsitzender der Geschäftsleitung auf. Freimütig schildert Weibel seine Förderer.

Sein Wirken als Sanierer und Krisenmanager kennen die Eisenbahner/innen aus eigenem Erleben. Er hat "seine" Eisenbahner/innen bis an der Rand des für sich erträglichen gefordert:
Genannt seien der Abbau von über 10 000 Stellen, Rationalisierung, Regorganisation am laufenden Band; die unselige Lohnabbau-Uebung von 1996; ärgerliche out-sourcings; das abgebrochene England-Abenteuer bis hin zur provokativen GAV-Kündigung 2006.

Und dennoch schafft Weibel es, die Herzen der Eisenbahner/innen zu gewinnen: Er führt Personalgespräche landesweit, stellt sich der Kritik, hört zu, versucht zu überzeugen, geht auf die Leute ein. Er bietet Hand zum contrat social mit dem SEV (keine Entassungen aus betrieblichen Gründen). Zum Held wird er 2001 als er sich weigert, den ihm vom Verwaltungsratspräsidenten Lalive zugedachten Superlohn entgegenzunehmen. Er riskiert dabei sogar seinen Job. Er unterscheidet sich wohltuend von andern Mitgliedern der GL SBB und vom Postchef. Immerhin muss gesagt sein, dass sich heute die Chef-Löhne von SBB und Post gegenüber den bekannt gewordenen Abzocker-Bezügen der Bosse der Grossunternehmen fast bescheiden ausnehmen.

Bei schlimmen Bahnunfällen steht er vor seine Leute. Er übernimmt Verantwortung auch gegenüber der Oeffentlichkeit.

Hoch angerechnet wird ihm auch das Engagement in Voksabstimmungen über Bahn- Themen, wo er Seite an Seite mit seinen Eisenbahner/innen für die LSVA, für Bahn 2000, für die NEAT kämpft und gewinnt.

Mehr Bahn ist sein Versprechen; er hält es. Der Fahrplanausbau in der Aera Weibel sucht seinesgleichen in der Eisenbahngeschichte. Das merken die Eisenbahner/innen schnell und danken es ihm.

Die Eisenbahner/innen stellen auch fest, wie er den Behörden gegenüber hartnäckig und erfolgreich für Bahn kämpft. Er kommt gut an, bei Parlament, Bundesrat und Verwaltung.

Die Buchleser/innen treffen auch den Sportsmann Benedikt an: leidenschaftlicher Bergsteiger mit Bergführerpatent. Beschrieben wird der stolze Vater. Erwähnung findet der leidenschaftliche Bahnfahrer und Leser, der geistreich mit Moritz Leuenberger korrespondiert.

Das Buch zeigt letztlich auf, weshalb die Eisenbahner/innen künftig mal seufzen könnten:
"wo albe der Weibel no".

Erschienen in der SEV-Zeitung "Arbeit und Verkehr", 10.10.06



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