BB-INTERVIEW
Brückenbauer 45, 4. November 2003
SBB
unter Druck
Die
Bahnen werden gezwungen,Personal und Dienstleistungen abzubauen. Wie
überstehen die SBB diese Rosskur? Ernst Leuenberger (*) nimmt Stellung.
Preiswert,
sicher und komfortabel reisen:Das erwarten die Kundinnen und Kunden
vom öffentlichen Verkehr (ÖV). Doch viele haben
den Eindruck, die SBB bauten den Service ständig ab, während
sie immer teurer werden. Diesem Eindruck widerspricht Ernst Leuenberger
(58), Präsident der Bahngewerkschaft SEV, vehement:«Der ÖV
hat seine Fahrplanleistungen in den letzten Jahren ausgebaut, beispielsweise
mit dem Halbstundentakt und den S-Bahn-Angeboten. Wer das Preis-Leistungs-Verhältnis
betrachtet, kann unmöglich zum Schluss gelangen, die Bahnen würden
immer teurer."
Problem
Service
Das Angebot erweitern und gleichzeitig rentabler werden - das ist die
Forderung der Politik an die Bahnen. Muss da nicht der Kundenservice
dran glauben? "Einen Service-Abbau kann ich nicht in jedem Fall
bestreiten", räumt der Bahngewerkschafter ein und betont,
dass er sich gegen übertriebene Abbaumassnahmen wehrt: "Die
Gewerkschaft SEV hat die Abschaffung der Zugbegleiter in den Regionalzügen
und S-Bahnen stets kritisiert, genauso wie die Schliessung von Verkaufsschaltern
an Bahnhöfen. "Der Widerstand kann aber nicht alle Rationalisierungsmassnahmen
verhindern: "Die SBB machen den Spardruck geltend, für den
die bürgerliche Mehrheit verantwortlich ist."
Problem
Sicherheit
Viele
ÖV-Kundinnen und -Kunden fühlen sich verunsichert. Versteht
der SEV diese Verunsicherung? Man solle nicht nur die negativen Seiten
sehen,findet Leuenberger: "Man muss beispielsweise auch die grossartige
Leistung der Bahnen und ihres Personals während der Expo.02 würdigen.
"Bahnfahren sei in der Schweiz 20-mal sicherer als Autofahren -
"dank hohem technischem Sicherheitsstandard und grösstem Einsatz
des Personals.Ich denke,die SBB-Leitung hat begriffen,dass Sparmassnahmen
und planloser Personalabbau eines Tages sicherheitsrelevant werden könnten.
Ich rechne fest damit,dass die Weichen rechtzeitig richtig gestellt
werden." Trotzdem:Auch der SEV sieht Handlungsbedarf. Zur Steigerung
der Sicherheit fordert er folgende Massnahmen: Menschen statt Automaten
an Haltestellen, belebte Bahnhöfe: "Personal an Bahnhöfen
und Haltestellen ist wichtig für das Sicherheitsgefühl. Unternehmensleitung
und Bund weisen diese Forderung jedoch aus Kostengründen zurück."
Zugbegleitung:
"Personal im Zug ist wirkungsvoller als jede Videoüberwachung.
Auf schwierigen Strecken ist eine Doppelbesetzung nötig. Und auf
besonders heiklen Streckenabschnitten gehört auch noch Bahnpolizei
dazu.Störer müssen wissen,dass der Zug kein Freiraum für
Rowdies ist. Die Begleitung der Züge der Zürcher S-Bahn sehen
wir als wichtigen Schritt in die richtige Richtung." Mehr Unterhaltspersonal:
"Den Abbau beim Unterhaltspersonal haben wir stets massiv bekämpft.
Leider sind offenbar die Kostenargumente stärker."
Problem
Sauberkeit
Von der sprichwörtlichen Schweizer Sauberkeit ist in den Schweizer
Bahnen nichts zu sehen.Das findet auch der SEV-Präsident:"Der
Abbau beim Reinigungspersonal ist störend.Allerdings muss ich auch
das Verhalten gewisser Bahnkunden rügen,die einfach alles liegen
lassen." Dass Mängel im Unterhalt Folgen zeigen,steht für
den SEV-Präsidenten fest. "Nicht funktionierende Türen,
geschlossene Toiletten sind für Bahnkunden ärgerlich."
Problem
Spardruck
Macht es überhaupt Sinn,vom ÖV Rentabilität zu verlangen,oder
ist er ein Wert,der uns etwas Wert sein muss? Ernst Leuenberger antwortet
mit einer Gegenfrage: "Ist es schon je einem Verantwortlichen eingefallen,zu
verlangen, dass die Feuerwehr rentieren müsse? Service public hat
es in sich, dass er durch die öffentlichen Hände erbracht
werden muss,weil Private sich nicht in diesen an sich unrentablen Sektor
reinwagen." Viele Linien könnten kaum je rentabel geführt
werden, betont Leuenberger. Es sei deshalb wichtig, den volkswirtschaftlichen
Nutzen des ÖV in Betracht zu ziehen: "Um den Nutzen des ÖV
zu verstehen,muss man sich nur vorstellen,was passieren würde,
wenn alle ÖV-Kunden plötzlich mit dem Auto fahren müssten.
Der Verkehr würde kollabieren, ein Stau von Basel bis Lugano wäre
die Folge." Wichtig sei auch der ökologische Nutzen: "Ohne
ÖV wäre die Umweltbelastung, beispielsweise durch Abgase,
völlig unerträglich." Problem Personalabbau Leidet das
Personal unter den Umstrukturierungen?" Der Abbau von 10 000 Personen
bei den SBB in den vergangenen zehn Jahren geht nicht spurlos vorbei",
betont Leuenberger. "Sehr viele SBB-Mitarbeitende leisten massiv
Überstunden und sind extrem belastet. Dass dies ihrer Gesundheit
abträglich ist, liegt auf der Hand.Die Schmerzgrenze ist definitiv
erreicht." Beat A.Stephan
(*) Ernst
"Aschi" Leuenberger (58) ist Präsident des Schweizerischen
Eisenbahn- und Verkehrspersonal-Verbands SEV. 1983 bis 1999 sass er
für die SP im Natio-nalrat, seit 1999 ist er Solothurner Ständerat.
Ernst Leuenberger ist unter anderem Präsident der Kommission für
Verkehr und Fernmeldewesen.
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