Berner Zeitung BZ vom 13.09.2004

«Die Post macht einen guten Job»

Für Ständerat Ernst Leuenberger ist die Poststellen-Initiative ein Damm gegen «nicht absehbare Entwicklungen» bei der Post. Nationalrat Duri Bezzola wendet sich gegen die Erhaltung überholter Strukturen.

BZ: Bis Ende dieses Jahres soll der Abbau des Poststellennetzes abgeschlossen sein. Herr Leuenberger, was kann die Initiative denn zum jetzigen Zeitpunkt noch bewirken?

Der Solothurner SP-Ständerat Ernst Leuenberger (links) und der Bündner Nationalrat Duri Bezzola (FDP, GR)

Ernst Leuenberger: Seit der PTT-Reform von 1996/97 muss die Post in Konkurrenz zu andern Anbietern funktionieren. Die Initiative verpflichtet sie auf Verfassungsstufe –was heute nicht der Fall ist –die flächendeckende Grundversorgung auf jeden Fall aufrechtzuerhalten. Es geht also nicht um das Tagesgeschäft, sondern zukunftsgerichtet um die weiteren Entwicklungen im Postbereich, die im Moment nicht absehbar sind.

Duri Bezzola: Der Grundversorgungsauftrag der Post ist heute schon in der Verfassung festgehalten. Weil sich das Umfeld für alle Unternehmen fast täglich verändert, halte ich es für falsch, in der Verfassung veraltete Strukturen festzuschreiben. Damit die Post eine starke Schweizer Unternehmung mit sehr vielen Arbeitsplätzen bleibt, muss sie sich dem Markt anpassen können. Sie hat einen Auftrag der Politik, und sie macht das gut. Das Projekt ist noch nicht abgeschlossen, es muss weitergeführt werden im Interesse einer starken und international konkurrenzfähigen Post.

Ein flächendeckendes Poststellennetz wollen alle, aber nicht alle verstehen darunter das Gleiche. Wie interpretieren Sie diesen Begriff?

Bezzola: Ich sage jetzt etwas Positives zur Initiative: Sie hat bewirkt, dass das Postgesetz und die Postverordnung angepasst worden sind. Dort ist das flächendeckende Poststellennetz definiert. Innerhalb von 20 Minuten muss eine Poststelle erreichbar sein, welche die Universaldienstleistungen anbietet. Diese Dienstleistung für alle ganzjährig bewohnten Siedlungen zu erbringen, ist in unserem Land nicht einfach. Ich komme aus einer Randregion und weiss, was das bedeutet. Das heisst aber nicht, dass überall vor Ort eine ständig bediente Poststelle auf Kunden warten muss. Die Umsätze der Post bei Paketen, Briefen und im Zahlungsverkehr nehmen als Folge der technologischen Entwicklung laufend ab. Die Definition im Postgesetz ist deshalb für alle in diesem Land absolut tauglich.

Leuenberger: Die geltende Bundesverfassung hält lediglich fest, dass der Bund über die Post legiferieren kann, über die Grundversorgung sagt sie nichts. Richtig ist, dass das Postgesetz die Grundversorgung umschreibt. Es geht aber um mehr als das Poststellennetz; es geht darum, im Hinblick auf künftige, noch nicht absehbare Entwicklungen die Grundversorgung zu garantieren. Dazu gehören ganz banale Sachen. In meinem Quartier in Solothurn beispielsweise wurde der gelbe Briefkasten bis vor wenigen Jahren auch am Samstag und Sonntag geleert, jetzt ist vom Freitagabend bis Montagabend Schluss. Dieses banale Beispiel zeigt, dass unter Finanzdruck eine Leistung abgebaut wurde, die meiner Meinung nach durchaus zur Grundversorgung gehört. Die Poststellen spielen eine zentrale Rolle im Zusammenhang mit der Regionalpolitik. Wir wollen mit dieser Initiative erreichen, dass im ganzen Land mit der Gewährleistung der Grundversorgung auch Arbeitsplätze angeboten werden. Wir gehen dabei vom Ist-Zustand aus, bei dem wir nicht wissen, wie er sich weiterentwickelt. Darum gehört er in der Verfassung festgeschrieben.

Bezzola: Ich komme aus einer Bergregion und kenne verschiedene Fälle, wo Poststellen geschlossen und die Dienstleistungen mit dem Hausdienst aufrechterhalten wurden. Selbstverständlich haben sich diese Gemeinden anfänglich gewehrt, heute sind sie aber glücklich, denn der Ersatz funktioniert. Wenn die Post jeden Tag gebracht und abgeholt wird, bei jedem Wetter, bringt das den Regionen viel mehr als eine Poststelle, die unter irgend einem Titel offen gehalten werden muss und von den Leuten nicht benutzt wird. In den mir bekannten Fällen hat man ernsthaft versucht, für jeden verlorenen Arbeitsplatz eine Alternative zu finden. Strukturen zu erhalten, die nicht mehr gebraucht werden und die sehr viel Geld kosten, ist stumpfsinnig.

Herr Leuenberger, hinken Sie mit dieser Initiative der Realität hinterher?

Leuenberger: Bundesrat Moritz Leuenberger, der die Initiative bekämpft, hat gesagt, ein Ja des Volkes wäre «eine Liebeserklärung an die Post». Es ist sogar mehr, ein Bekenntnis zum Service public. Wir haben begriffen, dass in diesem vielsprachigen, dezentralen Land die Post so etwas wie ein nationales Einigungssymbol ist– wie die SBB und früher die Armee. Solche Institutionen gilt es zu stärken. Nachdem sich das Postmonopol nicht mehr aufrechterhalten liess –nicht zuletzt wegen der EU –und die Post dem Wettbewerb ausgesetzt wurde, müssen wir dafür sorgen, dass die schweizerische Post, die die ganzjährig bewohnten Siedlungen im hintersten Winkel bedient, so gestärkt wird, dass sie diese Aufgabe erfüllen kann. Dafür brauchen wir einen ganz klaren Auftrag in der Verfassung.

Herr Bezzola, machen Sie sich als Vertreter einer Randregion keine Sorgen um ein zunehmendes Stadt-Land-Gefälle bei der Versorgung mit öffentlichen Dienstleistungen?

Bezzola: Um das Stadt-Land-Gefälle mache ich mir grosse Sorgen. Aber nicht wegen der Post, sondern ganz allgemein. In unseren Regionen haben wir nichts anderes als den Tourismus, und aus dem müssen wir das Beste machen. Damit er sich entwickeln kann, muss die Grundversorgung bei Post, Telekommunikation, öffentlichem Verkehr und Energie sichergestellt sein. Aber mit der Erhaltung überholter Strukturen entziehen wir anderen Projekten der Regionalpolitik das Geld. Im Überlebenskampf der Randregionen ist die Erschliessung mit dem öffentlichen und individuellen Verkehr matchentscheidend, dort muss investiert werden.

Die Post ist nicht so entscheidend?

Bezzola: Doch, die Postdienste sind ebenfalls entscheidend. Aber mit den verbleibenden 2500 Poststellen sind diese Dienste gewährleistet.

Glauben Sie daran, dass es beim Abbau auf 2500 Poststellen bleiben wird?

Leuenberger: Ich bin felsenfest davon überzugt, dass dieses Projekt, das von der Post unter Finanzzwang eingeleitet wurde, bei weitem nicht abgeschlossen ist. Gegen diese vorstellbaren Entwicklungen muss ein Damm errichtet werden.

Nötigenfalls mit Bundessubventionen, wie es die Initiative vorsieht?

Leuenberger: Postchef Ulrich Gygi wehrt sich gegen die Initiative, weil er als ehemaliger Chef der eidgenössischen Finanzverwaltung weiss, wie schlecht man bei Abhängigkeit von der Bundekasse gehalten wird. Er muss sich aber vorwerfen lassen, immer noch den Traum zu träumen, die Feuerwehr lasse sich rentabilisieren. Die Feuerwehr kann definitionsgemäss nicht rentieren, und in einem gewissen Ausmass trifft das auch auf die Post zu. Der Auftrag zur Grundversorgung, stehe er im Gesetz oder der Verfassung, geht so weit, dass er auf Dauer durch die Post allein nicht zu finanzieren ist.

Bezzola: Die Post generiert ihre Finanzen unter anderem im Monopolbereich, von dem wir nicht wissen, wie lange er noch besteht. Gegen die Rosinenpickerei der Konkurrenz, die ihre Dienstleistungen nicht im Münstertal oder Lugnez erbringen wird, kann der Bund Konzessionen erheben. Wenn diese Abgaben nicht ausreichen, hat der Bundesrat schon heute die Möglichkeit, dem Parlament eine Subvention für das Poststellennetz zu beantragen. Mir genügt das vollkommen. Bei Subventionen, die auf Vorrat gesprochen werden, würde ich als Post doch nicht die Leute verärgern durch Effizienzsteigerung, Rationalisierungen und Umstrukturierungen. Wenn das Geld nicht mehr reicht für die Grundversorgung, könnte ich ja die Subventionen abholen. Die Post macht einen guten Job, steht aber in einem brutalen Wettbewerb. 80 Prozent ihrer Erträge stammen von Grosskunden, für die allein Qualität und Preis entscheidend sind. Wenn man der Post schon eine «Liebeserklärung» machen will, soll man in neue Technologien investieren, aber nicht in überholte Strukturen.

Leuenberger: Zu Zeiten der PTT hat der Telecombereich jahrzehntelang die Post hoch subventioniert – mit 500 bis 800 Millionen pro Jahr. Bei der Trennung von Telecom und Post haben wird es versäumt, die entstehende Finanzierungslücke gründlich zu diskutieren. Und die damalige Führung der Post hat verkündet, sie könne das Problem selber bewältigen. Heute liefert die Swisscom AG erfreulicherweise ihrem Hauptaktionär Bund jährlich hunderte von Millionen Franken ab. Was die Initiative meint ist folgendes: Sollte die Post zur Gewährleistung der Grundversorgung zusätzliche Gelder brauchen, sollen diese Mittel nicht durch den Steuerzahler aufgebracht werden, sondern den gewaltigen Erträgen des Telecombereichs entnommen werden. Ich gebe zu, dass wir als Parlament es damals versäumt haben festzuhalten, dass hier eine Quelle offen ist, für den Fall, dass alle Stricke reissen. Und weil wir das versäumt haben, braucht es diese Initiative.

Bezzola: Die Swisscom wird in Zukunft in einem härteren Markt bestehen müssen (Stichwort: Diskussion rund um die letzte Meile) und den vollen Rucksack brauchen. Zudem fliessen die Gewinne der Swisscom in die Bundeskasse, und wenn daraus die Post subventioniert wird, fehlt das Geld beim Bund, und das betrifft den Steuerzahler. Ich verstehe nicht, dass man angesichts unserer Wachstumsprobleme Subventionen aufwenden will für Bereiche, die ihre Dienstleistungen auf andere Weise selbsttragend erbringen können. Das dürfen wir einfach nicht tun. Die Post, davon bin ich überzeugt, wird besser funktionieren, wenn wir sie eigenständig halten.

Betroffen sind auch die Städte. Dort kommt es teilweise zu erheblichen Wartezeiten am Schalter. Hat die Initiative auch dagegen ein Mittel?

Leuenberger: Die Initiative kann das Problem entschärfen, indem sie den Finanzdruck auf die Post reduziert. In Genf, so wurde mir gesagt, gibt es am Schalter Wartezeiten bis zu 40 Minuten.

Bezzola: Dass es längere Wartezeiten gibt, habe auch ich erlebt. Inzwischen hat sich die Situation durch organisatorische Massnahmen aber wesentlich verbessert. Wer zum Beispiel bei der Bank Geld abheben will, muss auch anstehen, darüber regt sich niemand auf.

Könnten nicht kundenfreundlichere Öffnungszeiten das Problem beheben?

Leuenberger: Sie spielen auf die Gewerkschaften an, die sich angeblich gegen längere Öffnungszeiten sperren. Ich habe als Gewerkschafter die Erfahrung gemacht, dass die Leute durchaus zu solchen Einsätzen bereit sind, wenn man ihnen anständige Arbeitsbedingungen bietet.

 




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