Freuen Sie sich auf den neuen Fahrplan?
Ernst Leuenberger,
Präsident des Bahnpersonals, zum Fahrplanwechsel, zu den Folgen
für das Personal und zum Trend Richtung Strasse.
Coop Zeitung,
01.12.2004
Thomas
Compagno
COOPZEITUNG:
Freuen Sie sich auf den 12. Dezember, wenn bei der Bahn alles besser
wird?
Es wird ein ganz wichtiger Meilenstein. Mich freut das politisch. Die
Freunde des öffentlichen Verkehrs haben vehement für die Kredite
gekämpft. Im Kanton Solothurn haben wir politisch gegen all jene
Gemeinden gekämpft, in denen die ganze Bevölkerung Einsprache
erhoben hat. Die Opposition war heftig, zum Teil von Automobilkreisen
angezettelt.
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Ernst
Leuenberger über das Lampenfieber der Bähnler: «Der
12. Dezember ist Generalprobe und Premiere in einem.»
Foto: Peter Mosimann |
Richtete
sich die Opposition gegen die Bahn 2000 an sich oder gegen einzelne
Bahnbauten?
Autobahnprojekte waren nie so heftig umstritten, und Autobahnen
werden seit 40 Jahren gebaut. Die Bahn hat weniger Geld als die Strasse,
kann den Grundeigentümern weniger zahlen. Dagegen werden die Strassen
vergoldet.
Auch
in die Bahn wurden und werden Milliarden investiert mit dem Argument,
die Umlagerung zu fördern. Tatsächlich zeigen alle Statistiken
in die andere Richtung: Immer mehr Autopendler, immer mehr Güter
auf der Strasse. Was läuft falsch?
In der Schweiz hat die Bahn einen weltweit einzigartigen Anteil
am Güterverkehr. Gegen 40 Prozent der Tonnenkilometer werden auf
Schienen zurückgelegt (Italien und Frankreich liegen bei sechs
bis sieben Prozent). Aber auch wir sind dem europäischen Trend
Richtung Strasse unterworfen. Die Umlagerung wird erst gelingen, wenn
auch Nachbarländer flankieren-de Massnahmen analog der leistungsabhängigen
Schwerverkehrsabgabe ergreifen. Solange das nicht passiert, ist unsere
Verlagerungspolitik auf wackligen Füssen. Dazu kommt, dass im Strassengüterverkehr
Wildwest-Verhältnis-se herrschen. Die Kantonspolizeien sind massiv
überfordert. Ruhezeiten können nicht kontrolliert werden,
die Sicherheit ist jenseits von Gut und Böse.
Auch
die Pendler nehmen vermehrt das Auto.
Das hat mit der Siedlungsstruktur in unserem Land zu tun. Alle Autofahrer
wollen dem Autolärm der Städte entfliehen und im Grünen
wohnen. Dadurch sind sie gezwungen, mit dem Auto zur Arbeit zu fahren.
Das ist moralisch niemandem vorzuwerfen, aber ein Faktum.
Wie
sehen Sie als Bähnler dem 12. Dezember entgegen?
Als Bähnler freut es mich ausserordentlich, dass ei-ne Fahrplanverdichtung
in diesem Ausmass möglich wird. Bis jetzt war immer die Angst da,
dass die Rationalisierung und der Personalabbau dazu füh-ren, dass
die Fahrpläne ausgedünnt werden. Jetzt sieht man: Das Gegenteil
ist möglich.
Die
SBB bauen Personal ab und das Personal häuft Überstunden an.
Wie sieht das mit Bahn 2000 aus?
Unsere Forderungen sind klar: Wir wollen, dass die Personalunterbestände
aufgehoben werden.
Zwölf
Prozent mehr Züge brauchen doch mehr Personal?
Das Personal hat die Bahn etwas verwöhnt. Im Expojahr haben
die Schweizer Bahnen mit Personalunterbeständen eine Parforce-Leistung
erbracht. Es war eine Chance für die Bahn, zu zeigen, dass sie
in der Lage ist, den Grossandrang zu meistern. Und es gelang.
Ohne
Murren?
Ja. Gewerkschaftlich betrachtet könnte man in einer solchen
Boomzeit die Kräfteverhältnisse neu regeln und fordern: Wenn
ihr unsere Bedingungen nicht erfüllt, sind wir nicht bereit, diesen
Mehraufwand zu leisten. Das haben wir aber nicht gemacht. Wir wollten
für die Bevölkerung einen möglichst stö-rungsfreien
Bahnbetrieb sicherstellen. Das Gleiche spielt sich jetzt mit Bahn 2000
ab. Die Bähnler haben ein Ziel: dass die Züge fahren und nicht
stehen, dass möglichst viele Züge fahren, möglichst pünktlich
und hoch sicher. Dem Chef den Meister zu zeigen auf Kosten der Bahnkunden,
das ist einem Schweizer Eisenbahner zuwider.
Bahnfahren
wird auch teurer. Ist das ein Wermutstropfen?
Gewerkschaftlich äussere ich mich nicht über die Preispolitik
der Bundesbahnen. Einem Chemiearbeiter würde auch nie einfallen
zu sagen, die Medikamentenpreise seien zu hoch, obschon er nicht Unrecht
hätte, wenn er das sagen würde. Ich kann nur sagen, dass die
Kont-rolleure und das Verkaufspersonal, welche die Prei-se gegenüber
den Kunden rechtfertigen müssen, nicht begeistert sind.
Wie
sehen die Bähnler dem Fahrplanwechsel entgegen? Motiviert, eher
ängstlich, euphorisch?
Die Eisenbahner sind nicht euphorische Leute. Sie sehen es als gewaltige
Herausforderung. Es ist vielleicht etwas Lampenfieber dabei. Der 12.
Dezember ist Generalprobe und Premiere in einem.
Was
folgt nach Bahn 2000?
1998 wurden 30 Milliarden Franken für die Bahn gesprochen.
Dieser Kreditrahmen ist gegeben. Jetzt wird die Neat - das verwundert
nur Naivlinge - etwas teurer als berechnet. Das bedeutet, dass andere
Projekte zeitlich verzögert werden. Der politische Kampf um die
Prioritäten ist lanciert. Es wird so herauskommen, dass man allen
etwas gibt und allen etwas nimmt. Im Prioritätensetzen ist die
Schweizer Politik nicht besonders gut.
Das
war der SEV-Präsident. Was aber sagt Ständerat Leuenberger?
Ich werde mich hüten, etwas über die Priorisierung zu
sagen, solange ich Präsident des SEV bin. Da muss ich mich verhalten
wie ein richtiger Politiker und sagen: Die Fragestellung ist komplex
und vielschichtig.
Nehmen
wir eine Frage heraus: Wird die Neat je rentieren?
Kaum. 1998 rechnete zwar ein Gutachten Volk und Parlament vor, die
SBB könnten 75 Prozent der Zinsen des investierten Kapitals erwirtschaften.
Heute sind wir glücklich, wenn die SBB dereinst 25 Prozent der
Investitionen erwirtschaften.
ERNST
LEUENBERGER
Der Gewerkschafter
Ernst Leuenberger (59) ist in Bätterkinden (BE) aufgewachsen.
Nach dem Studium der Wirtschafts- und Sozialwissenschaften 1973
war er Sekretär des Gewerkschaftsbundes
im Kanton Solothurn. 1993 wechselte er als Vizepräsident zum
Schweizerischen Eisenbahn- und Verkehrspersonal-Verband (SEV), seit
1997 ist er dessen Präsident. Von 1983 bis 1999 war Leuenberger
Nationalrat (SP Solothurn), 1997/98 Nationalratspräsident,
seit 1999 ist er Ständerat. Ernst Leuenberger ist verheiratet
und Vater von zwei erwachsenen Kindern. www.aschi.com
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