100 Jahre Naturfreunde Schweiz

Grusswort von Ständerat Ernst Leuenberger, Solothurn
an der Feier vom 3. September 2005 in Zürich

Mit dem Präsidenten der Naturfreunde Schweiz Jürg Zbinden
am 100-Jahr-Jubiläum.
Bild: Jürg Frei

Liebe Naturfreundinnen und -freunde, werte Gäste
Es erfüllt mich als Sozialdemokrat und Gewerkschafter, als Mitglied des TVN mit grosser Freude, den aus dem Geiste der Arbeiterbewegung hervorgegangenen Naturfreunden zum runden Geburtstag gratulieren zu dürfen. Keine Angst, ich habe begriffen, dass die SP, die Gewerkschaften und die Naturfreunde zwar gemeinsame Wurzeln haben und stolz sind darauf, dass indessen heute die Verwandtschaft etwas weniger intensiv gepflegt wird als früher.

Geboren wurden die Naturfreunde in einer Zeit des gesellschaftlichen Aufbruches, zu Beginn eines neuen Jahrhunderts. Eines Jahrhunderts, in dem die Hoffnungen der Menschen auf Gerechtigkeit, Wohlstand und Frieden in zwei Weltkriegen entsetzlich erschüttert werden sollten. Doch die Hoffnungen lebten und leben weiter. Die Arbeiterbewegung kämpfte für Arbeitszeitverkürzung, gerechten Lohn, mehr Ferien und die Naturfreunde ermöglichten es mit dem Bau von Häusern und Berghütten in Fronarbeit erstmals grossen Teilen des Volkes Erholung in der Natur zu finden. Doch die Naturfreunde waren nie ein reiner Tourismus-Verein. In den Häusern und Hütten wurden während der Nazizeit Emigranten versteckt und nach der Gleichschaltung der Naturfreunde in Deutschland wurde die Schweiz 1934 zum Sitz der internationalen Naturfreundebewegung. Wolfgang Hafner weist in seinem Buch: "Dort oben die Freiheit.", in welchem der das Lob des Solothurner Juras singt nach, wie Ende der Zwanziger Jahre die Solothurner Polizei im Naturfreundehaus Passwang eine Zusammenkunft der KPI (Kommunistische Partei Italiens) aushob, die Leute verhaftete, Palmiro Togliatti ( den Chef der KPI) jedoch unerkannt entkommen liess.
Ich habe im Kanton Solothurn noch Leute angetroffen, die voller Stolz solche und ähnliche Episoden geschildert haben.
Und mit Fug und recht darf hier gesagt werden, dass die Naturfreunde als erste für etwas eingestanden sind, was man heute als "links-grüne" Politik bezeichnen würde. Im Jubiläumsbuch "Engagiert unterwegs" lese ich die prophetischen Worte des Naturfreunde-Veterans Ludwig Thomas, der 1958 vor dem Bau des Stausees Livignio im Nationalpark warnte:
"Wir sind verpflichtet, unserer Jugend noch etwas ursprüngliche Natur übrig zu lassen. Dieses letzte Stück ist der Nationalpark. Lasst nicht zu, dass er dem Angriff des Grosskapitals zum Opfer fällt. Wer von uns hat ihn nicht immer wie etwas Heiliges betreten. (…) Lasst euch nicht betören, auch nicht von den sogenannten Arbeiterführern, die vor lauter Sesselpolitik für die herrliche Natur keine Zeit mehr haben (…) Liebe Naturfreunde, wir sind nicht irgend ein Verein, sondern eine Bewegung, die grosse und herrliche Aufgaben zu erfüllen hat. Zeigen wir uns diesen würdig und streben wir weiter nach diesen idealen Zielen".

Zu diesem Zitat kommen mir spontan zwei… nein drei Dinge in den Sinn. Die Natur braucht die umsichtigen Mahner im Geiste Ludwig Thomas. Die Naturfreunde sollten sich von den übereifrigen Rufern nach der Abschaffung des Verbandsbeschwerderechts nicht irre machen lassen. Man darf und soll gewisse Entscheide anderer Organisationen kritisieren. Die Natur braucht aber Fürsprecher und besonnene Mahner. Ein Instrument wie das Verbandsbeschwerderecht kann nicht hoch genug eingeschätzt werden. Wir müssen dafür kämpfen!
Eine zweite Anmerkung. Auch die Sozialdemokratie musste in den 70er und 80er Jahren erkennen, dass dem Wachstum Grenzen gesetzt sind. Die Ökologiebewegung - auch ein Erbe der Naturfreunde - führte zu schmerzlichen Richtungskämpfen. Angesichts der sozialen Probleme geraten Klimaschutz, Raumplanung oder eine nachhaltige Verkehrspolitik auch heute leider wieder ins Hintertreffen. Wir brauchen sie weiterhin, die Freundinnen und Freunde der Natur - in den Parlamenten und unterwegs auf Stock und Stein.
Der Spott von Ludwig Thomas an die Sesselpolitiker trifft auch mich.
Ich muss bekennen, dass mich der Vorwurf, ein Sesselpolitiker zu sein, nicht kalt lässt. Politik wird nun mal fast immer sitzenderweise und damit auch nicht auf sehr gesunde Weise gemacht. Als überzeugter Bahnfahrer reise ich aber mit offenen Augen für die Schönheit unseres Landes und als Spaziergänger finde ich Ruhe und Erholung von der all zu kopflastigen Politarbeit.
Zur Erheiterung und zum Nachdenken liesse sich noch folgende Geschichte einflechten: Der bereits zitierte Wolfgang Hafner lässt sie aufleben in seinem Buch. Der Kanton Solothurn wird bekanntlich gepriesen- auch von mir - für seine Juraschutzzone, will heissen ein weitgehendes Bauverbot im Solothurner Jura seit 1941. Wer glaubt, das sei eine grüne Heldentat des damals dominierenden Solothurner Freisinns könnte einem argen Irrtum erliegen. Die Naturfreunde von Olten hatten nämlich in einer eher prekären Bewilligungssituation auf der Rumpelweide im subito-Verfahren ihr Naturfreundehaus aufgestellt. Als Reaktion darauf, um es den Roten zu zeigen, habe die Solothurner Regierung die Juraschutzverordnung erlassen. Absicht und Wirkung sind nicht immer deckungsgleich. Hier allerdings will ich beifügen, hat die wenig edle Absicht die gute Langzeitwirkung der Massnahme nicht verunmöglicht.


Ich wünsche allen Naturfreunden viel Schnuuf für die nächsten Alpentouren, Wanderungen und anderen Entdeckungen. Der Natur und damit uns allen wünsche ich viele neue Fürsprecher einer nachhaltigen Entwicklung ganz im Sinne der Gründergeneration und ein herzhaftes "Berg frei".


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