Schang Hutter-Ausstellung im Kunstmuseum Solothurn

Vernissage 12. Mai 2007. Freundesworte von Ständerat Ernst Leuenberger, Solothurn

Wenig legitimiert mich als Politiker über Kunst zu sprechen. Ja, ich kann ihre Freiheit verteidigen, doch die Kunst geniesst Freiheiten wie nie zuvor, und wo sich die Künstler mit ihren Werken an der Gesellschaft reiben, Widerstand erzeugen, kommen sie ihrer ureigenen Aufgabe nach. Über die gesellschaftliche Relevanz von Kunst darf und muss man geteilter Meinung sein, doch ich spreche hier sicher im Sinne von Schang Hutter. Und Schang ist ja in der Tat auch als politisch Engagierter auf der Seiten der Schwachen, der Geplagten, der „Vertschaupeten“ aufgetreten und wahrgenommen worden.

Wir sprechen dann halt mehr über Politik als über ästhetische Fragen; mehr vom Geld, als von der Kunst. Wir werten Sicherheit höher als historisches Bewusstsein. Zu Recht wird den Politikern von den Künstlern Kleinmut vorgeworfen. So stritten wir 1998 sehr intensiv über Kunst im öffentlichen Raum. Konkret: den Standort der Skulptur „Shoah“ von Schang Hutter vor dem Bundeshaus. Auf die berühmten drei Meter Abstand von der Zentralachse werde ich später zu sprechen kommen.

Ich bin ein Amateur, also ein Liebhaber der Kunst im Sinne des Wortes. Ich fälle Geschmacksurteile, die ich nicht begründen muss; ich neige dazu, die Moderne gegen die Postmoderne zu verteidigen, vielleicht bewundere ich darum auch das Schaffen Schang Hutters in seiner Konsequenz, seinem Beharren auf gesellschaftlicher Relevanz. Der Künstler selbst braucht aber weniger pathetische Worte, verweist immer auf den Kern der eigenen Erfahrung, der eigenen Person als Ausgangspunkt des Schaffens. Die Erfahrung von Nachkriegsdeutschland etwa, die seine lebenslange Auseinandersetzung mit der Gewalt und ihren verheerenden Folgen erklärt.

Eric Hobsbawn, der englische Historiker stellt im Kapitel über die Kunst in seinem grossen Werk über das Zeitalter der Extreme eine schöne – wohl rhetorische - Frage, die uns vielleicht nahe an Schang Hutter bringt. Hobsbawn fragt: „Wie viel Leidenschaft [für ein Kunstwerk] beruht heutzutage auf Assoziation – also nicht etwa darauf, dass ein Lied schön ist, sondern darauf, dass es ’unser Lied’ ist? Wir können es nicht sagen.“

Ende des Zitats. Hutters Werke weckten stets meine Leidenschaften. Und die Leidenschaften vieler anderer Menschen. Hutters Kunst rief aber auch viel Abwehr hervor, was nicht weniger leidenschaftlich sein muss. Mit den Worten des Künstlers selbst: Welches Ziel sollte denn die Kunst haben, wenn nicht dieses, die Menschen zu erreichen?

Kunst im öffentlichen Raum erfüllt heute andere Funktionen als in der Gründerzeit der modernen Schweiz. Von der Repräsentanz der Macht hin zu einer, wie es Hutter nennt seismografischen Funktion. Wie eng umschlungen Politik und Kunst waren, zeigt ein kleines Detail. Der Politiker, welcher in den 1890er-Jahren das Altdorfer Telldenkmal anregte, diente dem Bildhauer Richard Kissling sogar als Modell. Freilich nur für den Kopf, für den Körper fanden sich muskulösere Männer… Die Staatskunst sollte aber bald ausgedient haben; auch Denkmale, so der österreichische Schriftsteller Robert Musil in den 30-Jahren des letzten Jahrhunderts in seinem „Nachlass zu Lebzeiten“, sollten sich heute, wie wir es alle tun müssen, etwas mehr anstrengen! Ruhig am Wege stehen und sich Blicke schenken lassen, könnte jeder; wir dürfen heute von einem Monument mehr verlangen.“ Schang Hutters Werke verlangen mehr!

1998 feierten wir 200 Jahre Helvetik. Unter anderem gestalteten Künstler einen Skulpturenweg von Grauholz - Ort der Niederlage des alten Berns – bis vors Bundeshaus. Schang Hutter durfte die letzte Station des Weges gestalten. Schang ist ein konsequenter Mensch, ihm ging nicht in den Kopf, dass seine Skulptur „Shoah“, seine Auseinandersetzung mit der düstersten europäischen Epoche nicht in der verlängerten Mittelachse des Bundeshauses stehen sollte. Aus Sicherheitsgründen beharrte die Verwaltung auf einen um drei Meter verschobenen Standort.

Hutter sah das nicht ein. Mit gutem Grund. Gehen wir noch einmal zurück ins vorletzte Jahrhundert. Betrachten wir etwa das Zürcher Denkmal für Alfred Escher, erstellt 1889. Escher, mächtiger Bundesbaron, Chef der Nordostbahn, Initiant der Gotthardbahn und der Schweizerischen Kreditanstalt. Er ist ein typisches Beispiel dafür, dass die grossen Unternehmer sich den städtischen Raum anzueignen begannen. Das von Richard Kissling geschaffene Denkmal wurde auf einer wichtigen symbolischen Achse errichtet, am Anfang der Zürcher Bahnhofstrasse, die bald zum Zentrum der schweizerischen Hochfinanz wurde, und wo bereits 1873 der Sitz der Schweizerischen Kreditanstalt erbaut wurde. Es steht vor einem idealen Hintergrund, dem Triumphtor des Bahnhofs (auf dem Helvetia thront, umgeben von Industrie und Handel, und Escher und die Geschäftswelt zu segnen scheint.

(In Klammern: das ganz andersartige zeitgenössische Denkmal Vincenzo Velas für die Opfer der Arbeit («Vittime del lavoro») bekam hingegen erst 1932 seinen definitiven Standort in Airolo.

(Quelle: Ars Helvetica VII. Die visuelle Kultur der Schweiz. Skulptur. Paul-André Jaccard.)

Hutter weiss um die Bedeutung von Mittelachsen. Er konnte nicht anders und verschob die Skulptur vom bewilligten Standort um drei Meter vor den Haupteingang des Bundeshauses. Mitten in der Diskussion um die Rolle der offiziellen Schweiz im zweiten Weltkrieg eine folgerichtige Tat.

Als damaliger Nationalratspräsident erteilte ich der Skulptur Bleiberecht am idealen, aber nicht legalen Standort: Doch es sollte nicht ruhig bleiben. Anfeindungen bleiben nicht aus, und schliesslich transportierten so genannte Patrioten der Freiheitspartei „Shoah“ ab und spedierten sie zurück zum Atelier des Künstlers. Indem sie von „Schrott“ sprachen, den sie entsorgten, meinten sie recht eigentlich „entartete Kunst“ im widerlichen Sinne des NS-Faschismus. Hutters Skulptur im öffentlichen Raum liess Risse aufklaffen, die uns; die mich erschreckten und aufschreckten.

Ist es heute ruhiger geworden um die Kunst? Lassen wir die Frage unbeantwortet. Du Schang wirst unruhig bleiben und weiterarbeiten an deinem Handwerk, als das du dein Schaffen immer in erster Linie verstanden hast. Dafür danke ich Dir als Freund wohl auch im Namen vieler.

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