
Mittellandzeitung | Ausgabe vom 25.10.2008
Öffentlichen
Raum zurückerobern
Ernst Leuenberger.
Der SP-Spitzenpolitiker zu Finanzkrise, Sicherheit und SP-Perspektiven
Ständerat
Leuenberger will eine dringliche Vorlage zur Revision des Aktienrechtes.
MATHIAS
KüNG
Die
Wahlen 2007 verliefen für die SP enttäuschend. Sie haben jetzt
ein erneuertes Präsidium. Was braucht es noch?
Ernst Leuenberger:
Die Wahlen 2007 sind im Nationalrat für die SP tatsächlich
enttäuschend verlaufen. Es war aber nicht das erste Mal, dass man
die SP in Zeiten sehr gu-ter Konjunktur etwas beiseite gelassen und
grün gewählt hat.
Warum?
Leuenberger:
Weil Umweltschutz in guten Zeiten ein höheres Gewicht geniesst
als die soziale Sicherheit. Im Ständerat allerdings waren wir mit
dem Resultat recht zufrieden. Erstmals stellen wir nämlich in einer
zweiten Amtsdauer neun Ständeräte. Ich erinnere mich an Zeiten,
in denen die SP erst zwei, drei Ständeräte stellte.
Aber
Sie haben 2007 insgesamt Wähleranteile verloren.
Leuenberger:
Das gute Resultat im Ständerat ändert nichts daran, dass wir
sehr intensiv arbeiten müssen. Wenn wird Nationalratsresultate
genau anschauen, stellen wir fest, dass der Raum links der Mitte nicht
geschrumpft ist. Es hat eine Umverteilung zu grün stattgefunden.
Es wäre aber das Falscheste, uns auch grün zu geben, weil
die Grünen Erfolg gehabt haben.
Warum?
Leuenberger:
Die Menschen wählen das Original und nicht die Kopie. Die Sozialdemokratie
muss weiterhin ihre Stammaufgaben erfüllen, zum Beispiel in der
sozialen Sicherung. Die wirtschaftliche Situation hat sich seit 2007
ja massiv verändert, und es gibt Anzeichen, dass sie sich weiter
verändern beziehungsweise verschlechtern wird. Bald werden also
Fragen der sozialen Sicherung und der Arbeitslosigkeit wieder eine viel,
viel grössere Rolle spielen. Da könnte es sein, dass sich
viele Menschen an die gute alte Sozialdemokratie erinnert und sie wählen.
Falls
die Arbeitslosigkeit stark ansteigt, wie würde die SP gegensteuern
wollen?
Leuenberger:
Der Staat hat begrenzte Möglichkeiten, aber er hat welche. gerade
diese Woche haben wir in der Finanzkommission bei der Behandlung des
Budgets 2009 darüber gesprochen, welche Projekte mit dem Infrastrukturfonds
des Bundes im Fall einer Rezession vorgezogen werden könnten. Das
brächte Beschäftigung.
Zum
Preis neuer Verschuldung?
Leuenberger:
Das Geld müsste jedes Jahr bereitgestellt werden, klar. Beim Infrastrukturfonds
hätte das zur Folge, dass dafür in späteren Jahren weniger
Geld ausgegeben würde, weil die Projekte schon realisiert sind.
Wir stünden da ja in einer ausserordentlichen Situation, der man
mit ausserordentlichen Massnahmen begegnen müsste. Sehen Sie, vor
einer Woche hat der Bundesrat einer parlamentarischen Abordnung gesagt,
man müsse blitzartig sechs Milliarden Franken auf den Tisch legen,
um stabilisierend auf den Finanzplatz einzuwirken. So ist es geschehen.
Da war
eine akute Krise zu bewältigen. Ob die Arbeitslosigkeit ansteigt,
wissen wir aber noch nicht.
Leuenberger:
Gewiss. Aber die Überlegungen für den Arbeitsmarkt müssen
wir präventiv machen. Wir werden an unseren Taten gemessen. Ich
habe mit Arbeitern der Cellulose Attisholz gesprochen. Dieser Betrieb
wird geschlossen. 440 Arbeitsplätze gehen verloren. Diese Menschen
verstehen nicht, warum der Bund für die UBS Milliarden bereitstellt
und für sie nichts. Womit ich nicht sagen will, dass der Bund bei
Attisholz intervenieren muss. Es wäre schon schön, wenn der
Kanton Solothurn aktiver würde.
Ihre
Partei sagt Ja zum UBS-Rettungspaket, stellt aber mehr Bedingungen.
Umgekehrt hätte Juso-Chef Cédric Wermuth die UBS dem Bankrott
überlassen.
Leuenberger:
Als Präsident der Finanzdelegation war ich am Mittwoch letzter
Woche mit dem Bundesrats-Anliegen konfrontiert, für die UBS sofort
sechs Milliarden zu genehmigen. Am 15. Oktober wussten wir alle, was
kurz zuvor in den Vereinigten Staaten passiert ist, nachdem der Staat
Lehman Brothers hatte sausen lassen. Jetzt höre ich von Leuten
mit sehr wirtschaftsliberalen Ansichten, dies sei ein grundlegender
Fehler der Bush-Administration gewesen.
Inwiefern?
Leuenberger:
Weil es die Abwärtsspirale massiv verstärkt hat. Also: Ein
Sausenlassen der UBS kam für mich am 15. Oktober und kommt für
mich auch heute nicht in Frage. Das wäre staatspolitisch und volkswirtschaftlich
verantwortungslos.
Welche
Massnahmen sähen Sie, damit eine nächste Krise nicht so beängstigende
Ausmasse annimmt?
Leuenberger:
Der Hauptgrund der heutigen Schwierigkeiten scheint darin zu liegen,
dass in so genannten strukturierten Produkten halbfaule US-Hypothekenkredite
verwurstet worden sind. Ich zerbreche mir schon lange den Kopf, wie
der Gesetzgeber die erfindungsreichen Banker hindern könnte, wieder
einmal so etwas zu erfinden. Das Ganze ist indessen massiv gefördert
worden durch die Entlöhnungs- und Entschädigungspolitik der
Banken.
Sie
sprechen die berüchtigen Riesenboni an.
Leuenberger:
Wobei ich mich sehr wundere, dass es nur Bonus- und keine Maluszahlungen
gibt! Heute wissen wir: Das waren reine Umsatzbeteiligungen und überhaupt
keine Erfolgshonorare. Von der his-torischen Fehlleistung dieser Banker
bin ich abgrundtief enttäuscht zumal Marcel Ospel einst
dem Staat glaubte sagen zu müssen, wie er sich zu benehmen habe.
Sehen
Sie bereits konkreten Handlungsbedarf?
Leuenberger:
Die Bankenkommission hat vom Bundesrat den Auftrag, das Entschädigungsproblem
zu überprüfen. Sie muss Regeln ausarbeiten, um solche falschen
Anreize aus der Welt zu schaffen. Auch müssen in einer dringlichen
Vorlage die Teile der Aktiengesetzrevision vorgezogen werden, die den
Aktionärsversammlungen mehr Kompetenz zur Regelung der Entschädigungen
geben wollen. Das könnte man in der Dezembersession beschliessen,
um wieder Vertrauen herzustellen.
Haupttraktandum
an Ihrem Parteitag ist ein Papier zur Sicherheit.
Leuenberger:
Meine sozialdemokratische Partei, der sich seit 43 Jahren angehöre,
hat schon immer gegenwartsbezogen politisiert. Hauptthema wird deshalb
die Finanzkrise sein, nicht das Sicherheitspapier. Auch deswegen, weil
es unser junger, dynamischer Parteipräsident geschafft hat, es
so umzuschreiben, dass die Haupteinwände berücksichtigt wurden.
Es wird gleichwohl eine kontroverse Debatte geben, wie es sich für
einen SP-Parteitag gehört.
Finden
Sie es richtig, der Sicherheit dieses Gewicht zu geben?
Leuenberger:
Das Sicherheitsbedürfnis der Menschen ist gross. Es bestehen Verunsicherungen,
die zum Teil allerdings auch von der SVP auf eine nicht vertretbare
Art und Weise geschürt worden sind. Bei uns in der Partei gibt
es Leute, die aus hochachtbaren humanitären Erwägungen finden,
man solle Missetäter und Störenfriede umarmend behandeln,
statt sie zu bestrafen. Wir wollen nicht vergessen, dass es die jungen
Lümmel wir waren auch mal jung und manchmal auch Lümmel
, die sich morgens um drei Uhr Faustkämpfe liefern, schon
bei Jeremias Gotthelf gab.
Also
halb so schlimm?
Leuenberger:
Leuten, die den öffentlichen Raum unsicher machen, muss man begegnen.
Da muss man Sicherheitskräfte einsetzen, da muss das Strafrecht
greifen. Aber in der Gesamtbeurteilung ist eine Relativierung des Problems
angebracht.
Ihre
Partei verweist darauf, dass Straftaten zahlenmässig zurückgehen.
Aber macht nicht die Zunahme von Vergehen gegen Leib und Leben Angst?
Leuenberger:
Wo letztlich die Ursache des Unsicherheitsgefühls liegt, ist schwer
zu sagen. Wenn ich an jenen Wahnsinnigen aus Österreich denke,
der seine Tochter jahrzehntelang eingesperrt und vergewaltigt hat, überlege
auch ich mir, ob so etwas in meiner Nachbarschaft möglich ist.
Solche Überlegungen können aber in gefährliche denunziatorische
Verdächtigungen münden. Da gilt es aufzupassen. Dass in der
Gesellschaft eine Brutalisierung eingetreten ist, ist nicht zu bestreiten.
Doch wie richtig darauf antworten? Die drakonischen Strafen in den USA
bringen es ja offensichtlich nicht. Ich bin ein bisschen ratlos.
Unsicherheit
verspüren manche in Randzeiten auch im öffentlichen Verkehr.
Leuenberger:
Früher waren auf Bahnhöfen viele uniformierte Menschen und
Bahnarbeiter präsent, in den Regionalzügen waren Zugsbegleiter.
Die wurden alle wegrationalisiert. Wenn man den öffentlichen Raum
derart von öffentlichem Personal entblösst, verleitet dies
manche dazu, ihn missbräuchlich in Besitz zu nehmen. Das wollen
und müssen wir verhindern. Der öffentliche Raum muss mit Sicherheit
ausstrahlenden Personen zurückerobert werden; sei dies mit mehr
Zugbegleitern, Polizisten, Parkwächtern, Lehrern auf dem Pausenplatz
oder Paten für die Jungen. Das ist unabdingbar.
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