Persönliche
Worte an Peter Bichsel
zum 70. Geburtstag
(Zentralbibliothek
Solothurn, 01.04.05)
Tapferkeit
und Trotz
1) Es
erschien uns beiden oft als eigenartiger Zufall, dass wir beide in jungen
Jahren Sonntagschullehrer waren. Zufall kann das aus heutiger Sicht
keiner sein. Hoffnungsfroh und trotzig den Weg gehen, ist uns eigen.
Immerhin
hat es Peter bis zum Dr. h c der Theologischen Fakultät der Uni
Basel gebracht. Ich weiss, dass es Peter wie uns allen viel bedeutet,
von der Fakultät Karl Barths ausgezeichnet worden zu sein.
Und ich
vermute auch, dass Peter sich an den entsprechenden Feierlichkeiten
daran erinnert hat, wie genau diese Basler Fakultät den Wunschnachfolger
Barths, nämlich Helmut Gollwitzer, damals abgelehnt hat, weil zu
radikal.
Gollwitzers
Satz Und Du wirst geführt dorthin, wo Du nicht willst
ist gewiss Teil der trotzigen Tapferkeit.
Item, keine
Angst, ich habe nicht die Absicht, Weihrauch zu verbreiten, dazu sind
wir beide zu protestantisch geprägt.
2) Ein
wenig erzählen über Stationen des gemeinsam begangenen Weges
gehört dazu.
Und wären es auch bloss Erinnerungen.
Wir haben es nie beim Schwelgen in Erinnerungen belassen, sondern immer
ein wenig stolz bei unseren Geschichten daran gedacht, sie könnten
den Alten zur Ehr, aber auch missionarisch den Jungen
zu Lehr gereichen.
Ob wir
in fröhlicher Runde den Tängelibänz unter Stimmführung
von Theres gesungen und improvisierend alle politischen Sorgen und Nöte,
unsere politischen und gesellschaftlichen Wunschvorstellungen thematisiert
haben;
Ob wir
gemeinsam Schwingfeste besucht haben;
Ob wir
uns gemeinsam an unseren Enkelinnen und Enkeln erfreut haben;
Ob wir
gemeinsam von Eisenbahn, Eisenbahnern und Eisenbahnfahren geschwelgt
haben;
Ob wir
unsere Erlebnissse aus dem Zwangsleben als Soldaten einer ungeliebten
Armee verarbeitet haben;
Ob wir
in schweren Stunden gemeinsam Abschied genommen haben von uns nahe stehenden
Menschen, erwähnt seien nur Willi Ritschard, Otto F. Walter, Jean
Racine;
Eines war immer klar:
In Trotz
und Tapferkeit haben wir stets an die Gestaltung der Zukunft gedacht.
Ich kann heute nicht mehr so ganz bestimmt sagen, ob der Antrieb dazu
letztlich marxianische Revolutionshoffnung oder christlicher Erlösungsglaube
war und ist;
einerlei wir werden wohl beide zunehmend älter. Wir haben uns noch
nicht entschieden, ob wir zornige alte Männer werden wollen oder
gar weise alte Männer; vielleicht auch beides.
3. Leiden an der Partei
Du hast
die Erinnerung an die Vergessenen gepflegt.
Geschichte
sei immer die Geschichte der Führenden schreibt Peter Bichsel im
Vorwort zum SP-Jubliäumsbuch von Jean-Maurice Lätt 1990 und
fährt dann fort:
ich denke dabei an all jene hunderte, die für diese Partei gelitten
haben und keinen Namen haben.
Sie haben
nicht nur für diese Partei gelitten sondern auch dauernd am Ehrgeiz
ihrer Exponenten, an Flügelkämpfen der Exponenten, am guteidgenössischen
Dauerverrat, der sich Kompromiss nennt.
Die Geschichte
der Partei ist wohl eine andere, nämlich jene der dauernd verzweifelnden
Mitglieder. Sie entzieht sich der Historik. Sie bleibt eine Hoffnung.
Du bist
als junger Lehrer in Zuchwil SP-Mitglied geworden, Du hast später
in Bellach sozialdemokratisch gewirkt, auch in einer Gemeindekommission;
sinnigerweise sogar als Aktuar und Protokollführer. Du hast Wahlkämpfe
und -kampagnen aktiv, ja enthusiastisch begleitet. Du hast 1973 die
Wiedergeburt der SP Bucheggberg mit Jean Racine und Schang Hutter und
vielen andern ermöglicht. Später haben wir Wahlkämpfe
mit dem Roten Pfeil gemacht, und ich lade Dich heute schon ein, im August
2007 nochmals mitzufahren.
(Das ist notabene eine trotzige Politaussage meinerseits.)
Du hast
aktiv teilgehabt an den unzähligen Rettungsversuchen für die
Solothurner AZ. Dein Wirken in der Redaktionskommission hat helfen wollen,
die Graben zwischen vorwärtsstürmenden jungen AZ-Redaktoren
und der etwas behäbigen Leserschaft zu überbrücken.
Du hast
mit uns - einige haben uns vor 35 Jahren Jungtürken genannt - Freitagabende
in linken Diskussionszirkeln verbracht; Dein Spott, diese Zusammenkünfte
als AFF (Aschis fröhliche Freitagsgesellschaft) zu nennen, hat
mich damals mehr geärgert als belustigt.
Unser Streit
um die Armeeabschaffungsabstimmung von 1989 ist Geschichte. Ich hatte
nicht den Mut, für die Abschaffung zu stimmen. Du hast historisch
Recht bekommen. Heute sucht diese 4 Millarden teure Armee verzweifelt
Aufgaben und Betätigungsfelder, weil ihr der Feind schlicht abhanden
gekommen ist.
Du hast
Dich im Februar 1984 massiv in die Debatte um die Bundesratsbeiteiligung
der Sozialdemokratie eingeschaltet. Deine Parteitagsrede im Kursaal
Bern vor 1200 Delegierten lese ich des Nachts, wenn ich mich nach geschlagener
Politschlacht zu den Verzweifelnden zähle. Ich konnte
mir damals die Oppositionsrolle schlicht nicht vorstellen, obwohl ich
1968 grosse Freude am Satz hatte: L`imagination au pouvoir;
die Phantasie an die Macht.
Du hast
dafür plädiert, dass wir unsere Kollektivmitgliedschaft
im Salon aufgeben, dass wir endlich - ich meine das als Spass - gemeinsam
aus der freisinngen Partei austreten.
Die Geschichte
könnte Dir durchaus Recht geben. Was der ehemals staatstragende
Bundesfreisinn am 10. Dezember 2003 bei der Bundesratswahl angerichtet
hat, hat anrichten können, ist letztlich die Folge davon, dass
die Sozialdemokratie die Grundsatzopposition den Rechtspopulisten und
ihren verängstigten zentrumsbürgerlichen Helfershelfern überlassen
hat.
Du bist
trotz allem ein Sozialdemokrat geblieben. Im übrigen hat Deine
Theres administrativ dafür gesorgt, dass Deine förmliche Mitgliedschaft
nie verloren ging.
4) Zeitfragen
Aerger
und Enttäuschung haben sich allerdings nie allein auf die Partei
bezogen.
Da gab es jede Menge anderer Fragen und Händel.
Es war in den frühen 60er Jahren auf dem Höhepunkt des Konfliktes
JURA-Bern als in der Weltwoche ein Artikel erschien mit dem Titel:
Vom Fahnenstangen fallen lassen.
Autor war Peter Bichsel, der sich klar auf die Seite der nach staatlicher
Eigenständigkeit dürstenden Jurassier schlug und wenig Mitleid
zeigte mit dem EMD-Chef, der offenbar von einer Fahnenstange touchiert
wurde. Peter hat letztlich auch hier Recht behalten. Der Kanton Jura
wurde gegründet. Allerdings haben wir beide feststellen müssen,
dass der jurassische Autor und Unabhängigkeitskämpfer Alexandre
Voisard, mit dem wir beide eine Zeitlang in der SRG-Programmkommission
sassen, enttäuscht von den Realität des neuen Kantons sozusagen
aus seinem Kanton Jura nach Frankreich geflüchtet ist.
Das war
die Zeit als Peter für uns Kantischüler eine reale Grösse
wurde. Ein Schulkollege zeigte mir einmal in einer Solothurner Gasse
Peter Bichsel, der auf der andern Strassenseite daherkam. Wir hätten
nicht getraut, ihn anzusprechen. Es war Bewunderung. Und die blieb.
Zu reden
wäre davon, wie Peter 1973 in einer der ganz seltenen Demos in
Solothurn gegen den Chile-Putsch gesprochen. Wie er erwirkt hat, dass
an einer Wahlfeier für den neugewählten Bundesrat Willi Ritschard
das Allende-Gedenken eine zentrale Rolle spielte.
Zu reden
wäre davon, dass es Peter 1980 gelungen ist, den in solchen Fragen
eher konventionell empfindenden Willi Ritschard auf die tieferen Inhalte
der Zürcher Jugendbewegung aufmerksam zu machen, was zu viel beachteten
Aussagen von Bundesrat Ritschard geführt hat.
Zu reden
wäre davon, dass es Stimmen im Bundesrat gab, die den besetzten
Standort des geplanten umstrittenen Atomkraftwerkes Kaiseraugst militärisch
besetzen wollten.
Peter ist es gelungen, die Bedeutung dieser Geschichte so zu thematisieren,
dass Bundesrat Willi Ritschard öffentlich mit Rücktritt drohte
in einem solchen Fall, obwohl er selber gewiss kein Atomkraftwerkgegner
war.
So nehmen
wir Deinen Geburtstag zum Anlass, liebe Peter, Dir zu danken für
Freundschaft, für Nachsicht, für Ermahnung, für Kritik
und Dialog, für Anregung.
Wir alle
können Dir nur danken mit dem Versprechen, dass wir alle uns noch
mehr bemühen wollen, Leser zu werden.
Ich danke
Dir für Deine Tapferkeit, für Deinen Trotz.
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