Ansprache von Ständerat Ernst Leuenberger am Brückwachtschiessen in Bätterkinden am 4. März 2001

Herzlichen Dank für die Ehre, hier an Ihrem Gedenk- und Wettkampfanlass sprechen zu dürfen. Kräiliger sind immer stolz, wenn sie in Bätterkinden etwas sagen dürfen. Ich bin heute hier bei Ihnen als solothurnisch-bernischer Grenzgänger, der sehr froh ist, dass es an der Kantonsgrenze zwischen Lohn und Bätterkinden keinen Zollposten mehr gibt. (Sie glauben es kaum, aber auch diese Tatsache hat mit den Märzereignissen von 1798 etwas zu tun).

Vorerst gilt es, den teilnehmenden Schützen Anerkennung auszusprechen für ihr Mitwirken am sportlichen Wettkampf. Den ausgezeichneten Schützen und ihren Gesellschaften gratuliere ich herzlich zu ihrem sportlichen Erfolg.

Sodann wollen wir der Ereignisse vom März 1798 in würdiger Weise gedenken. Sicher gedenken wir insbesondere der Opfer dieser kriegerischen Ereignisse und damit auch der Opfer aller seitherigen und aktuellen Kriege.

Echtes Gedenken ist geprägt von Versöhnlichkeit, von Friedfertigkeit. So sagt uns etwas Shimon Peres: Frieden schliesst man mit seinen Feinden; nicht mit Freunden. Darum ist Frieden schliessen so ungemein schwierig.

Ich füge bei: Ziel unseres Wirkens in der Oeffentlichkeit wie im Privaten ist eigentlich immer Harmonie. Die Realität aber ist voller Konflikte. Unsere Klugheit wird daran gemessen, wie wir die auftretenden Konflikt lösen.

Wir fragen dann weiter nach den historischen Fakten und danach, was diese Ereignisse bewirkt haben. Letztlich auch die Frage: was lehrt uns dieser geschichtliche Abschnitt?

Die historischen Fakten sind schnell erzählt: Die französischen Revolutionsheere wollen die bernischen Untertanen von ihren Aristokraten befreien (und beiläufig noch den bernischen Staatsschatz mitsamt den Bären nach Paris überführen). Am 1. März 1798 kapituliert die stolze Stadt Solothurn ohne grössere Kämpfe. Die Franzosen nähern sich südwärts bernischem Gebiet. Die Stationen, welche die offizielle Geschichtsschreibung über diesen Vormarsch verzeichnet, heissen Fraubrunnen (Tafelenfeld), Grauholz und Einmarsch in Bern, womit das alte patrizische Bern untergeht. (Ich vergesse den Berner Sieg in Neuenegg keineswegs). Die Kämpfe in unserer Gegend sind meisterhaft beschrieben in Gotthelf "Elsi, die seltsame Magd".

Tatsache ist, dass bei den bernischen Truppen viel Misstrauen, Missmut und grosse Unsicherheit herrschten. Das Ancien Regime des bernischen Patriziats hatte sich in jahrhundertelanger Herrschaft verbraucht, war morsch geworden, hatte sich zu weit vom Volk entfernt, dessen Unterstützung verloren.

Mit dem Untergang der alten Eidgenossenschaft verschwinden auch die kantonalen Zollgrenzen. Aus den Ruinen der alten Eidgenossenschaft ist dank der Tatkraft der damals Aufbauwilligen neues, zukunftsträchtiges entstanden. Der Bundesstaat von 1848, auf dessen Fundamenten unsere heutige Schweiz aufgebaut ist, wäre ohne die Ereignisse von 1798 nicht möglich geworden.

Der Aufbau des jungen Bundesstaates war wesentlich geprägt durch die neu entstehenden Vereine: Schützengesellschaften, Turnvereine, Gesangs- und Musikvereine prägten das patriotischen Leben des 19. Jahrhunderts ganz entscheidend mit.

Es kommt nicht von ungefähr, dass Gottfried Keller in seinem "Fähnlein der sieben Aufrechten" den Schützen ein einzigartiges literarisches Denkmal gesetzt hat.

Der Zusammenhang zwischen dem staatlichen Neuaufbau und dem Wirken der Vereine kommt deutlich in der Festrede des jungen Karl Hediger zum Ausdruck, wenn er am Eidg. Schützenfest namens der kleinen Gruppe von Zürcher Schützen in seiner Grussadresse unter dem Titel " Freundschaft in der Freiheit" ausführt:

"Wie kurzweilig ist es, dass es nicht einen eintönigen Schlag Schweizer, sondern dass es Zürcher und Berner, Unterwaldner und Neuenburger, Graubündner und Basler gibt, und sogar zweierlei Basler. Dass es eine Appenzeller Geschichte gibt und eine Genfer Geschichte. Diese Mannigfaltigkeit in der Einheit, welche Gott uns erhalten möge, ist die rechte Schule der Freundschaft..."

Und es ist und bleibt wahr: Sieben Millionen Einwohner machen keine Schweiz aus. Die Schweiz besteht aus den Kantonen, den Gemeinden, aus den Vereinen und Gruppen, aus den Verbänden, aus Freundeskreisen. Die Schweiz besteht aus Sprachgruppen, aus Gruppen religiöser Zugehörigkeit. Die Schweiz besteht aus Alten und Jungen, Frauen und Männern, aus Sportlern und Kulturschaffenden, aus Angehörigen aller Berufe. Sie besteht aus Menschen verschiedener Hautfarbe, verschiedener politischer Auffassungen.

Die Einheit besteht in der Vielfalt.
Die Konflikte sind damit vorgegeben.
Die Konfliktlösungen sind gefragt.
Wesentliche Elemente aller Konfliktlösung sind und bleiben:

- der soziale Ausgleich zwischen oben und unten

- der regionale Ausgleich

- die Verständigung unter den Sprach- und Religionsgemeinschaften

- die Verständigung mit den Völkern und Staaten Europas und der Welt

Das ist der nationale Grundkonsens der Schweiz und der Schweizerinnen und Schweizer. Das ist das, was in der eidg. Eidesformel heisst: ... " die Einheit, Kraft und Ehre der schweizerischen Nation zu wahren..."

Das heisst auf neudeutsch übersetzt: Schweizer kann man nicht einfach outsourcen.

Einige Gedanken zu diesen Elementen der Konfliktlösung:

- sozialer Ausgleich heisst: wir können nicht tatenlos zusehen, wie die Schere in der Einkommens- und Vermögensverteilung zwischen unten oben sich weiter öffnet und unüberwindbare Differenzen entstehen lässt. Das Gerechtigkeitsgefühl der Eidgenossen wird verletzt, wenn ganz oben mit der ganz grossen Kelle angerichtet wird und unten der Schmalhans Küchenmeister werden soll. Die Verteilungsfrage ist und bleibt eine zentrale Frage für den inneren Zusammenhalt einer Gesellschaft.

- Der regionale Ausgleich ist ebenso wichtig. Entvölkerte Bergtäler und Landstriche und übervölkerte Städte ergeben keine Schweiz. Die Schweizerische Eidgenossenschaft ist keine Schweiz AG, sie ist eine Solidargemeinschaft. Kluge politische Massnahmen fördern diesen regionalen Ausgleich. Der Bund und seine Bundesbetriebe Bahn und Post z.B. können nicht die Versorgung der Landschaft dem Markt überlassen. Der Markt ist - dem Herrn sei es geklagt - regionalpolitisch, sozial und auch ökologisch blind wie ein neugeborenes "Kätzchen".

- Die Sprachgemeinschaften müssen zusammengeführt werden, nicht durch Gräben getrennt. Mein Vater, der von der Geburt bis zum Tod in dieser Gemeinde gelebt hat, verstand und sprach französisch. Er war als Bauernsohn im "Welschen".

- Das schwierigste von allem bleibt die Verständigung unter den Völkern. Nicht nur geografisch, auch wirtschaftlich liegt die Schweiz mitten in Europa. Sie wird mit ihren Nachbarn und deren Organisationen in Zukunft einen modus vivendi finden müssen. Ob das dann EU-Beitritt oder was auch immer heissen wird, muss sich weisen. Jedenfalls haben Fremdenfeindlichkeit und Isolationismus in dieser vernetzten Schweiz-Welt keinen Platz. Vielleicht könnte es uns Schweizern gar gelingen, EU-Europa davon zu überzeugen, dass die vielfältige Schweiz durchaus ein Muster für ein vereintes Europa darstellen könnte.

Ich schliesse damit, dass ich Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit danke, Ihnen Anerkennung ausspreche für Ihren Dienst an der Gemeinschaft, Sie ermuntere weiterhin am Schicksal des Landes lebhaften Anteil zu nehmen. Oder eben mit Karl Hediger geredet: die Freundschaft in der Freiheit zu pflegen.

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