
Grussbotschaft
an die DV des Metzgereipersonalverbandes
Sonntag,
22. Mai 2005, in Langendorf SO
Sehr geehrte
Damen und Herren, verehrte Gäste, liebe Kolleginnen und Kolleginnen
(erlauben Sie mir diese urgewerkschaftliche Anrede.)
Ich danke
für die Einladung, an Ihrer DV einige Wort an Sie zu richten.
Ich tue das gerne, weil mein Vater und mein Grossvater, beide ein Leben
lang als Störmetzger tätig, eigentlich wollten, dass ich ihre
Tradition weiterführen sollte. Es kam dann anders, aber immerhin
kenne ich einige Leute aus Ihren Berufen.
Ueberdies:
wenn mich mein Freund Willy Tschannen, der Gemeindepräsident von
Niederwil/SO und Mitglied Ihres Verbandes, um einen Gefallen bittet,
versuche ich ihn zu erfüllen.
Bevor ich
auf Solothurn und auf einige gewerkschaftliche Fragen eingehe, erlauben
Sie mir einen Hinweis, auf den ich per Zufall gestossen bin.
Da kommt mir vor wenigen Wochen ein Buch in die Hand aus dem Chronos-Verlag
Zürich, das 2004 erschienen ist.
Susanna Schwager beschreibt unter dem Titel "Fleisch und Blut"
das Leben des Metzgers Hans Meisters, ihres Grossvaters.
Dieser
Hans Meister war also vor dem 2. Weltkrieg in Solothurn als Metzgerbursche
tätig. Zitat:
"Ich
wurde mit vierundzwanzig Präsident des Ortsverbandes. Gemeint
ist der Metzgereipersonalverband.
Zwei Jahre später, am Ostermontag im Neununddreissig wählten
sie mich dann in den Zentralvorstand des nationalen Personalverbandes.
Das war vielleicht der wichtigste Tag in meinem Leben. Das kam sogar
im Radio. Eine riesengrosse Ehre. Als ich am Dienstag in die Bude
kam pfiff mich der Patron ins Büro.
"Hans,
Ihr seid in den Zentralvorstand des Burschenverbandes gewählt
worden, ist das richtig? Ich bejahte.
Da muss ich Euch mitteilen, die Lage wird für Euch brenzlig.
Ihr müsste das sofort rückgängig machen, Hans. Sonst
tut es mir leid. Ich müsste Euch ziehen lassen.
Wir Solothurner
Metzger haben das untereinander besprochen und sind alle gleicher
Meinung. Ihr müsst sofort den Austritt geben. Sonst findet Ihr
hier in Solothurn und auch sonst in der Umgebung nirgends Arbeit,
das garantier ich Euch. Denkt doch an Eure Frau und an Eure Kinder!"
Ende des
Zitats.
Ich könnte
die Geschichte weiter erzählen. Hans geht zum Gewerkschafter Willi
Ritschard, der eine gemeinsame Aktion Gewerkschaften und Metzgereipersonalverband
nicht sieht.
Und am Schluss behält ihn sein Meister.
Hans Meister wird später selber ein Meister.
Ueber
den Kanton Solothurn gibt es viel zu berichten.
Historisch
hat sich Solothurn immer zwischen den eidgenössischen Grossmächten
Bern und Basel bewegen müssen. Schaut man das heutige weit verzweigte
Solothurner Kantonsgebiet an, haben die das auch schlau gemacht.
Von Messen (10 km von Bern) im Süden bis nach Dornach vor den Toren
Basels reicht das Solothurner Land. Von Grenchen bis vor die Tore Aaraus
dehnt sich das Gebiet von Westen nach Osten aus.
250 000 Menschen leben in diesem Kanton. Frühindustrialisiert trägt
der Kanton noch heute an den Folgen der Desindustrialisierung: Grosse
Firmennamen mit Tausenden von Arbeitsplätzen sind ganz oder teilweise
verschwunden: Bally-Schuhe in Schönenwerd; von Roll in Gerlafingen,
Klus, Olten; grosse Uhrenfirmen sind ebenso untergegangen. Hier in Langendorf
die Lanco.
Nicht nur
nur starke, manchmal starrköpfige Unternehmerpersönlichkeiten
sind aus diesem Kanton hervorgegangen, auch auf Arbeitnehmerseite, Gewerkschaftsseite
gab es stets starke Figuren, die den Patrons im Bedarfsfall Paroli geboten
haben. Es ist kein Zufall, dass beim Generalstreik von 1918 in Grenchen
drei erschossene Arbeiter zu beklagen waren.
Solothurn
zeichnet sich durch bedeutende kulturelle Aktivitäten aus:
Die Solothurner Filmtage, die Solothurner Literaturtage, das classic
oper air; die Grenchner Grafikaustellungen; die Oltner Kabaret-Tage
sind nur einige Beispiele dafür.
Mit Stolz
verweist Ihr Verband auf seine Aktivitäten im beruflichen Bildungswesen
hin.
Dazu kann ich nur gratulieren und danken für die entsprechenden
Aktivitäten.
Ich bin als Gewerkschafter ebenfalls überzeugt davon, dass der
allerbeste Kündigungsschutz eine unangreifbare berufliche Qualifikation
ist.
Gewerkschaftlich
bezeichne ich die aktuellen sozialpolitischen Fragen als zentral. Dazu
kommen Fragen der künftigen ausgebauten Personenfreizügigkeit
in EU-Europa.
- Dass
das Aelter-Werden der Menschen dazu führt, dass AHV und Pensionskassen
teurer werden, weil länger Rente bezahlt werden muss, sind wir
bereit hinzunehmen. Von Erhöhung des Rentenalters halte ich gar
nichts. Ich wünsche mir rüstige Rentner/innen, die ihren
dritten Lebensabschnitt auch wirklich geniessen können.
- Ein
echtes Problem stellen die steigenden Kosten der Invalidenversicherung
dar.
Dazu nur
soviel: wer die Anforderungen im Berufsleben immer höher schraubt,
muss sich nicht wundern, wenn eine zunehmende Anzahl von Leuten das
angeschlagene Tempo nicht mehr mithalten kann. Ueberdies muss in diesem
Zusammenhang immer über die Arbeitslosenversicherung gesprochen
werden. Wer durch Umstrukturierungen laufend Arbeitslose produziert;
wer über 50 jährige Personen kaum mehr anstellen will; wer
keine Arbeitsplätze anbietet für gesundheitlich angeschlagene
Personen, muss ich nicht wundern, wenn die Invalidenversicherung plötzlich
zum Auffangbecken für all die betroffenen Leute wird.
In einem
Wort: die aktuellen Finanzprobleme der IV reflektieren die Arbeitslosenprobleme
der Neunziger Jahre. Die Frage ist zu beantworten, was machen wir mit
Langzeitarbeitslosen? Die Frage ist zu beantworten; was machen wir mit
gesundheitlich angeschlagenen, etwas weniger leistungsfähigen Menschen?
Dazu gehören übrigens auch psychisch leidende Menschen.
Einfach
in Couchepin-Art zu erklären: wir wollen weniger IV-Neurentner;
einfach in SVP-Art zu erklären, viele Invalide seinen Schein-Invalide
hilft nicht weiter, löst kein einziges Problem.
Ueber Sozialpolitik
reden ohne die Gesundheitskosten zu erwähnen, wäre geradezu
feige.
Erlauben Sie mir dezidiert dazu immer das gleiche zu sagen:
- Viele
Spitäler kosten viel Geld, zu viele Spitäler, sind zu teuer.
Allerdings: wer ein Spital schliessen will, erleidet politisch Schiffbruch.
(Bsp in fast allen Kantonen zu besichtigen).
- Viele
Aerzte sind teurer als weniger Aerzte: in der Schweiz hat sich bei
gleich bleibender Bevölkerungszahl die Anzahl der praktizierenden
Aertze in 20 Jahren verdoppelt.
- Die
Medikamente sind in der Schweiz teurer als im Ausland. Die Industrie
hält das hohe Preisniveau mit Zähnen und Klauen aufrecht.
Personenfreizügigkeit
Es ist
unbestritten, dass grössere Wirtschaftsräume verbunden mit
Abbau von Zollschranken, verbunden auch mit Personenfreizügigkeit
zu mehr wirtschaftlichem Wohlstand für alle führen können.
Daher haben Gewerkschaften bereits im Jahre 2000 bei der Abstimmung
über die bilateralen Verträge I JA gesagt zu Personenfreizügigkeit
zwischen der Stamm EU und der Schweiz.
Im September 05 wird es in der Volksabstimmung um die Frage gehen, ob
diese Personenfreizgügigkeit auch auf die neuen EU-Länder
in Osteuropa ausgedehnt werden soll.
Da stellen
sich nun einige Probleme der unterschiedlichen Preis- und Lohnniveaus.
Schweizer Arbeitnehmer dürfen unter keinen Umständen konkurrenziert
werden durch billigst Arbeitskräfte aus Osteuropa. Dafür sind
flankierende Massnahmen vorgesehen zu den Bilateralen II. Im wesentlich
sind die Bedingungen in Schweiz. GAVs einzuhalten. Es kommt nun darauf
an, ob sie a) die Arbeitgeber insgesamt daran halten und b) ob die Behörden
die Sache genügend kontrollieren.
Ein Blick
nach Deutschland genügt, um Ihnen zu zeigen, dass auch in Ihrer
Branche massiv Lohndumping betrieben wird mit billigen Arbeitskräften,
in diesem Fall aus Polen.
Wenn es
der Wirtschaft nicht gelingt, die Arbeitnehmerschaft von ihrem guten
Willen zu überzeugen, liegt ein JA zur Personenfreizügigkeit
im September 05 in unerreichbarer Ferne. Dass die Gewerkschaften sich
gegen Lohn- und Sozialdumping zur Wehr setzen ist wohl ihre ureigenste
Aufgabe.
Ich komme
zum Schluss und wünsche Ihrem Verband weiterhin eine erspriessliche
Tätigkeit zum Wohl der betroffenen Arbeitnehmer und letztlich zum
Wohl der betroffenen Branche.
Ständerat
Ernst Leuenberger, Präsident des Eisenbahnerverbandes SEV, Solothurn
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