Rencontres Suisses

Tagung 29.4.2002

Referat Ernst Leuenberger, Präsident SEV (Schweiz. Eisenbahn- und Verkehrspersonalverband)

Vorbemerkung: Ueber service public reden, heisst für mich auch immer über den Staat und die Bürger/innen reden.

Thesen:

Der citoyen schafft sich den demokratisch verfassten Bürgerstaat. Dieser Bürgerstaat befördert die Wohlfahrt seiner Bürger/innen und schafft für das Wirtschaften optimale Rahmenbedingungen.

Der schweizerische Bundesstaat fundiert eben auf den Werten der französischen Revolution und orientiert sich nicht am preussischen Obrigkeitsstaat. Dieser Staat beschränkt sich nicht auf die rein hoheitlichen Funktionen wie Polizei und Justiz, sondern er erstellt und betreibt die jeweils nötige Infrastruktur in Bereichen wie Bildung, Gesundheit, Verkehr.


Der citoyen versteht sich auch als Wirtschaftsbürger schafft sich service public-Institutionen zur Garantie der Grundversorgung mit wichtigen Gütern und Dienstleistungen.

Gemeint ist die Grundversorgung mit knappen, lebenswichtigen Gütern, die u.U. nicht rentabel im betriebswirtschaftlichen Sinne für alle erbracht werden können. Die extremste Form dieser öffentlichen Dienstleistungserbringung stellt wohl die bspw. aus dem
Weltkrieg bekannte Rationierung für Lebensmittel, Kleider, Schuhe, Seife usw. dar. Historisch bekannt sind auch die kantonalen Salzregale, die inzwischen als überflüssig aufgehoben werden konnten. Als zentrale Bereiche des service public (neben den hoheitlichen Staatsaufgaben) gelten heute etwa:
- Wasserversorgung
- Schulen
- Öffentlicher Verkehr
- Entsorgung
- Post
- Gesundheit
- Energieversorgung
- Feuerwehr (kein vernünftiger Mensch redet von
. einer Rentabiliserung dieses service public).
Service public ist mithin für die allermeisten ctoyens keine "Maskerade" wie die NZZ meint, sondern ein gesellschaftliches Muss. Milliardäre brauchen nämlich keinen service public, ja nicht einmal einen Staat; sie können sich alles auf dem Markt kaufen. Die Citoyens aber sind auf die Solidargemeinschaft aller Bürger/innen im Staat angewiesen.


Service public Grundversorgung hat flächendeckend, allgemein zugänglich und zu erschwinglichen Preisen angeboten zu werden.

Daraus ergibt sich die Zuschusspflicht der öffentlichen Hand für die nicht rentabel zu erbringenden service public Dienste. Enthalten ist in dieser Aussage ein starkes regionalpolitisches Element, aber auch ein sozialpolitisches.


Der Wirtschaftsbürger - Citoyen behält sich als Miteigentümer der Service public-Institutionen das letzte Wort über diese Institutionen über den Weg demokratischer Entscheide vor. Mit dazu gehört die demokratische Kontrolle durch die gewählten Behörden.

Ich trete damit der These der Enkel der Staatsgründer (FdP) entgegen, die heute glauben, ein service au public genüge vollauf. Wer den erbringe, sei Sache privaten Unternehmertums. Ueber öffentliche Leistungsaufträge liesse sich alles regeln. Alle Privatisierungskonzepte sind in diesem Sinne zutiefst undemokratisch, wenn nicht gar antidemokratisch gemeint; mindestens sind sie nicht bürgerfreundlich. Der Schlachtruf von 1898 (als der Staatsgründerfreisinn noch 6 von 7 Bundesräten stellte); der Schlachtruf "Die Schweizerbahnen dem Schweizer Volk" hat seine Gültigkeit nicht verloren wie die Volksabstimmungen von 1998 (LSVA und FinöV) zeigen. Die kürzlich eingereicht Volksinitiative "Postdienste für alle" bestätigt meine These. Dass die demokratische Bewegung im 19. Jahrhundert etwas gar weit ging mit dem Beschluss etwa im Kanton Solothurn auch die Salzauswäger in einer Volkswahl zu erküren, räume ich durchaus ein. Allerdings vermute ich, es wäre den Bund billiger gekommen, bei der alten Swissair etwas früher zum Rechten zu sehen.


Der Wirtschaftsbürger-Citoyen schafft und stützt im service public solide, krisensichere Arbeitsplätze für die service public-Angestellten.

Im service public sind prekäre Arbeitsbedingungen nicht nur im Empfinden der dort Beschäftigten, sondern auch im Empfinden der citoyens weder wünschenswert noch tolerierbar. Im Gegenteil: der Bund und seine Unternehmungen mit rund 130 000 Angestellten bildeten und bilden ökonomisch einen Stabilitätsfaktor wie verschiedene Beschäftigungskrisen der letzten Jahrzehnte gezeigt haben. Der Bund und seine Unternehmungen mit ihrer oben und unten gestauchten Lohnskala, mit gesamtschweizerisch im Prinzip gleichen Anstellungsbedingungen hatten und haben eine wichtige Funktion des sozialen Ausgleich und auch des regionalen Ausgleichs. Wer mit den rein betriebswirtschaftlich denkenden Verwaltungsräten von Post und SBB meint, die Top-Manager vergolden zu müssen und die Lohnskala nach unten öffnen zu müssen, der zerstört mutwillig ein zentrales Element des schweizerischen sozialen Friedens und des regionalen Ausgleichs.


Der service public-Angestellte versteht sich als Diener an der Allgemeinheit. Er arbeitet zum Wohle aller und nicht für den Profit Einzelner. Er ist Mitarbeiter einer Non-Profit-Organisation.


Der service public-Angestellte identifiziert sich überdurchschnittlich mit seiner Arbeit, seinem Dienst, mithin auch mit seinem öffentlichen Arbeitgeber Er drückt das aus in einem sichtbaren Berufsstolz und der Bereitschaft zu einer hohen Loyalität als öffentlich-rechtlich Angestellter. Er arbeitet in einer Solidargemeinschaft für die Allgemeinheit.


Die Entwicklung des service public kann nie stehen bleiben. Es müsste eine Herausforderung sondergleichen sein für die Manager der service public-Unternehmer, die nötigen und sinnvollen Erneuerungen in engster Tuchfühlung mit dem Eigentümer-Volk und mit den Angestellten des service public zu erarbeiten und umzusetzen.

In diesem Bereich könnten Exempel von citoyen-würdiger Wirtschaftsdemokratie erprobt und gelebt werden.

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