Sonntag 30.03.08

Gedanken
zum Drama von SBB-cargo

Mehr Lastwagen oder mehr Güterbahn?
Das ist die Frage.

SBB haben nie einen Verlagerungsauftrag erhalten

SBB-Gesetz und Verlagerungsgesetz enthalten keinen Verlagerungsauftrag an die SBB. Von Unterstützung der Verlagerungsbemühungen des Bundes ist erst in nachgelagerten Erlassen die Rede. Das bedeutet: Verlagerung muss sich lohnen, sonst geschieht nichts.
Der kleine Verlagerungsanreiz, der mit Trassenverbilligungsbeiträgen gegeben wurde, flog im Zuge von Sparmassnahmen aus dem Budget dank bürgerlichen Mehrheiten.

Somit bleibt einzig die LSVA (Leistungsabhängige Schwerverkehrsabgabe) als gedachtes Lenkungsinstrument. Allerdings haben wir dafür in Brüssel teuer bezahlen müssen, indem wir statt der 26 t-LKW neu die 40t-LKW zulassen mussten. Der erzielte Produktivitätszuwachs eliminierte die Lenkungsfunktion der LSVA .

Verlagerung wurde von den Behörden nie besonders ernst genommen: als Beispiel: Die Schweizerische Post verlagerte laufend Posttransporte von der Bahn auf die Strasse; stossend sind die Poststrassentransporte ins Tessin.

Quintessenz: Die vom Volk immer wieder verlangte Verlagerung durchsetzen ist enorm schwer, die Widerstände im Parlament laut, und für den Binnen-Güterverkehr fehlen schlicht gesetzliche Verlagerungsaufträge dank der starken Lastwagen-Lobby.

In der Bundesverfassung steht:
”Die Verlagerung des Gütertransitverkehrs auf die Schiene muss zehn Jahre nach Annahme der Volksinitiative (…) abgeschlossen sein.” Der Alpenschutzartikel steht seit dem 20. Februar 1994 in der Verfassung. Die 10 Jahresfrist war anfangs 2004 abgelaufen… Bundesrat, bürgerliche Parlamentsmehrheit, die Mehrzahl der Parteien und Wirtschaftsverbände waren damals gegen die Initiative: Sie nehmen heute den Alpenschutzartikel und damit den Verlagerungsauftragt nicht ernst.

SBB dürfen keine Rücksicht nehmen auf regionale Anliegen.

Seit 1.1.1999 steht im SBB-Gesetz:
”Die SBB sind nach betriebswirtschaftlichen Grundsätzen zu führen.” FdP und SVP und das Gros der CVP stierten diese Text durch unter tatkräftiger Mithilfe der Bürgerlichen aus dem Tessin, die sich heute erstaunt die Augen reiben, wenn die SBB tun, was ihnen befohlen wurde.
Erst als das Postmanagement das Poststellennetz ausdünnte, ermannte sich ein tapferer CVP Ständerat und verlangte, dass die Post ”regionale Anliegen” zu berücksichtigen habe. CVP und SP setzten das im Ständerat gegen FdP und SVP durch. So hat seit dem 1.11.2007 die Post regionale Anliegen zu berücksichtigen. Spät. Die SBB kennen keine solchen Auflage.

Aktueller Trend: die Güterbahn wird längerfristig verdrängt.

Erfolgreiche Verlagerung setzt eine starke Schweizer Güterbahn voraus, die unter fairen Bedingungen im Wettbewerb mit der Strasse bestehen können muss. Das bedeutet:

1. Die Wettbewerbsverzerrungen Strasse/Schiene sind zu beseitigen. Das heisst: GAV für Lastwagenfahrer. Senkung der Höchstarbeitszeiten für LKW-Fahrer. Angemessene Entlöhnung. Nullpromillegrenze auch für Lastwagenfahrer. Echte Kontrollen des Strassengüterverkehrs ( techn. Ausrüstung, Ladung, Höchstgewicht, Geschwindigkeit, Ruhezeiten der Chauffeure). Strafen für fehlbare Transporteure statt für die Chauffeure. Weniger Ausnahmebewilligungen vom Nacht- und Sonntagsfahrverbot durch die Kantone.

2. Schluss mit der selbstmörderischen SBB-cargo Attacke auf die Deutsche Bahn in Deutschland. Zusammenarbeit ist gefragt.

3. Schluss mit der innerschweizerischen Rosinenpickerei im Schienengüterverkehr.
BLS cargo und SBB cargo gehören zusammen als starkes Schweizerisches Bahn-Cargo-Unternehmen in Bundeshand.

4. Gezielte Trassenpreisverbilligung durch den Bund namentlich für den Wagenladungsverkehr nach dem Motto ”Verlagerung beginnt im Kleinen.”

5. Verlagerung kann nur erreicht werden durch eine LSVA mit Lenkungswirkung. Das muss der Bundesrat mit der EU aushandeln.

Der Tessiner Streik ist ein Verzweiflungsakt von treuen Eisenbahnern, die dafür bezahlen sollen, dass ein grössenwahnsinniger Cargo-Chef Nordmann, gestützt vom Verwaltungsrat, abgesegnet vom Bundesrat jahrelang durch tollkühne Abenteuer in Deutschland Geld verlieren durfte. Lalive: ”Die SBB können nur noch im Ausland wachsen”. Eingespart wird dann in Bellinzona, in Fribourg, in Basel. Die SBB-Massnahmen zeugen von einer unglaublichen Ignoranz in Sachen ”Schweiz”.
Der Bundesrat schaut der SBB-Führung etwas genauer auf die Finger. Die Finanzdelegation der Eidg. Räte ist vorangegangen mit einem Prüfungsauftrag an die Eidg. Finanzkontrolle.

Die Gretchen-Frage an Bundesrat und Parlament lautet aber ganz banal: Wie hast Du es mit der Verlagerung?

Von Ständerat Ernst Leuenberger, Solothurn



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