Der
Aufklärung und dem Grossvater verpflichtet
Via 7/2005
«On the Railroad»: Ernst Leuenberger, Ständerat
Seit ich
als Präsident des Schweizerischen Eisenbahn- und Verkehrspersonal-Verbands
zurückgetreten bin, habe ich mehr Zeit. Zum Beispiel für meinen
Enkel Jonas. Er entdeckt seine Umgebung mit soviel Neugierde und Freude,
dass ich mir sage: Es kann nicht sein, dass diese Welt zum Teufel geht.
Das verbietet die Logik. Ich bin ein Optimist und fühle mich der
Aufklärung verpflichtet, den Werten des 18. und 19.Jahrhunderts.
In dieser Zeit wurde die Eisenbahn erfunden. Sie ist für mich das
Konzentrat des Glaubens an die technische Machbarkeit. Meine Liebe zur
Bahn hat noch einen anderen Grund. Ich stamme aus einer Bauernfamilie
und habe die Umstellung vom Ross zum Traktor miterlebt. Meine Onkel
haben das befürwortet, aber meine beiden Grossväter waren
dagegen. Ich habe mich auf die Seite der Grossväter gestellt, habe
später nie den Versuch unternommen, zum Automobilisten zu werden.
Meine Eltern
waren eigentlich «strukturbereinigte» Bauern. Sie mussten
einsehen, dass das kleine Gut bei Bätterkinden zum Überleben
nicht reichte. Mein Vater ging dann auf den Bau arbeiten. Später
war er Kranführer bei der Von Roll in Gerlafingen. Wenn ich heute
als volksnaher Politiker gelte, spielt diese Herkunft sicher eine Rolle.
Aber nicht die einzige. Ich wurde schon mit 28 Jahren Gewerkschaftssekretär
in Solothurn.
Das war eine gute Lehre für die Art und Weise, wie man mit Arbeitnehmern
sprechen muss, wenn sie einen verstehen sollen.
Ich sage
mir: Wer politisieren will, muss die Leute gern haben, für die
er sich einsetzt. Sonst hat es keinen Sinn. Das hat mit plumpem Populismus
nichts zu tun. Man soll auf die Leute hören, aber man soll ihnen
nicht nach dem Mund reden, lautet mein Motto. Ich habe das in der sogenannten
Ausländerfrage umgesetzt, die seit den Siebzigerjahren immer wieder
auftauchte. Natürlich ist es so, dass viele vor dem Fremden Angst
haben, dass viele am liebsten einfache Erklärungen hören und
alles Übel einem Sündenbock anlasten möchten. Man muss
das zur Kenntnis nehmen, darf aber nicht an die primitivsten Instinkte
appellieren und fremdenfeindliche Rezepte fordern. Das ist unmenschlich
und verwerflich. Wer aus dem Rassenwahn des Hitlerregimes nichts lernen
will, hat den Anspruch verwirkt, in der schweizerischen Tradition zu
stehen.
Wir müssen
uns in der Schweiz auf die richtigen Traditionen berufen. Die Alte Eidgenossenschaft,
die am 1.August gefeiert wird, hat mit der heutigen, viersprachigen
und demokratischen Schweiz wenig zu tun. Diese geht vielmehr auf den
liberal-radikalen Bundesstaat von 1848 zurück, der nach langen
Wirren aus den Idealen der französischen Revolution und der Aufklärung
hervorgegangen ist. Im 20. Jahrhundert kam noch der Sozialstaat dazu.
Trotzig sage ich auch, dass die Volkskultur dem ganzen Volk gehört,
nicht nur den sogenannten Patrioten. Ja, etwas Trotz braucht es, wenn
man in der Politik Ziele erreichen will, die eben nicht populistisch
sind. Und etwas Tapferkeit. Jene des tapferen Schneiderleins, das listig
und witzig ist.
Ich lese
gern, interessiere mich für den Film, gehe aber auch an Schwingfeste.
Ich mag diesen Sport, weil ich dort aufgeschlossene Leute kennen gelernt
habe, die nicht dem Bild entsprechen, das man sich oft von ihnen macht.
Das Schwingen hat sich der Kommerzialisierung und dem grossen Geld bisher
entzogen. An Schwingfesten erhält der Sieger einen bescheidenen
Preis. Die Fairness unter den Zuschauern und im Sägemehl ist vorbildlich.
Wenn der Gewinner dem Unterlegenen das Sägemehl von der Schulter
klopft, hat das eine Symbolik, in die man sich verlieben kann. Das Schwingen
ist Teil einer schweizerischen Urtradition, die mich beeindruckt.
Text
Peter Krebs
POLITIK UND GEWERKSCHAFT: Ernst Leuenberger, geboren 1945, ist
seit 1999 Solothurner Ständerat. Bis im Juni 2005 war er Präsident
des Schweizerischen Eisenbahn- und Verkehrspersonal-Verbands SEV.
Der Vater von zwei erwachsenen Kindern bekleidete zahlreiche politische
und gewerkschaftliche Ämter. Seine Zeit als Nationalrat (1983-99)
krönte der studierte Volkswirtschafter 1998 mit der Präsidentschaft.
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