Die
Volkswirtschaft
Bahnreform
II vor dem Hintergrund der Infragestellung der beschlossenen Verkehrspolitik
durch Avanti?
Ständerat Ernst Leuenberger, Präsident SEV, Solothurn
EU-Bahnreform (Schweizer Bahnreform ist Nachvollzug von EU-Politik)
will eines: Die Bahn soll billiger werden, damit sie eine Chance im
Konkurrenzkampf mit der Strasse habe.
Bahntransport ist teurer, weil ökologischer, weil sicherer. Trüge
der Strassentransport die von ihm erzeugten Kosten selber (Unfallkosten,
Umweltkosten, Sozialkosten), wären gleich lange Spiesse erreichbar.
Doch die Strassenlobby in den EU-Ländern setzt durch, dass die
Angleichung nach unten stattfindet. Und wie senkt man nach EU-Idee die
Bahnkosten? Die Bahnen werden in einen Wettbewerb unter sich geschickt.
Wettbewerb könne nur stattfinden, wenn man Bahnbetrieb und das
Betreiben der Bahninfrastruktur strikt trenne. So erhalte man eine Vielzahl
von
Bahnanbietern. Tatsache ist, dass dies zu einer Rosinenpickerei führt:
Der Unternehmer wird sich einen rentablen Transport aussuchen, etwas
günstiger offerieren. Das verunglückte Experiment MThB hat
gezeigt, wohin das führten kann: bekanntlich haben Schluss die
SBB die Konkursmasse übernehmen dürfen.
Klar ist: die Bahnen sind namentlich auch im Güterverkehr seit
Jahrzehnten einem sehr harten Wettbewerb mit der Strasse ausgesetzt.
In den Jahren 1960 bis 1990 haben die Bahnen in diesem Verdrängungswettwerb
nur Marktanteile verloren. (in der Schweiz hat die Güterbahn ihren
Marktanteil in diesen 30 Jahren halbiert.)
In den 90er Jahren hat man in der Schweiz endlich umzudenken begonnen.
Die Volksabstimmung über den Alpenschutzartikel 1994 gab den Auftakt:
Gegen den Willen von Bundesrat, Parlamentsmehrheit, bürgerlichen
Parteien, Vorort, Gewerbeverband haben Volk und Stände beschlossen,
Güterverkehr habe von der Strasse auf die Schiene verlagert zu
werden. Entsprechende Investitionsbeschlüsse folgten nach dem LSVA-Beschluss
mit dem FinöV-Beschluss 1998.
Die Antwort derStrassenlobby auf diese Trendwende in der Verkehrspolitik
heisst Avanti-Initiative, welche ungeniert eine Rückwärts-Totalrevision
der Verkehrspolitik propagiert. Unglücklicherweise ist der Bundesrat
mit seinem gut gemeinten Gegenvorschlag voll in die Falle getappt. Das
Parlament hat daraus nämlich eine Generalvollmacht für ungehemmten
Strassenbau gemacht. Mit der Planung einer zweiten Gotthardstrassenröhre
erhalten die Bahninvestitionen tödliche Konkurrenz bevor die NEAT
gebaut, geschweige denn im Betrieb ist. Zudem wird Europa eingeladen,
von einer Umlenkung des Güterverkehrs auf die Schiene abzusehen,
weil die Schweiz ja genügend Strassenkapazität für den
Strassengüterverkehr zur Verfügung stellt.
Vor diesem Hintergrund präsentiert sich das noch unveröffentlichte
Projekt Bahnreform II. Letztlich wird der Streit darum, wer das Trassenmanagement
in den Hände hält, intensiv auszutragen sein. Heftig diskutiert
wird schon jetzt die Frage ,ob die kantonalen Normalspur-Staatsbahnen
unter der Aegide der SBB wirken sollen oder selbständig bleiben
sollen. Zentral ist indessen die Frage, wie die öffentliche Aufgabe
Finanzierung der Bahninfrastruktur der KTU zu regeln sei. Derzeit wird
im Sinne eines Vorgefechtes eine Diskussion über die teuren Bahn-Investitions-Folgekosten
geführt. Wenn die entsprechenden Kosten in der Bundes-Finanzplanung
nicht figurieren, kann das nicht den Bahnen angelastet werden.
Bahnen haben eine Zukunftschance, wenn sie sich stets auf den neuesten
Stand der Technik bringen.
Die Bahnreform II wird in der Schweiz seit Jahren als Chance für
die Konzessionierten Transportunternehmungen (KTU) verkauft. Von finanzieller
Sanierung war die Rede; es wurden gar Avancen an notleidende KTU-Pensionskassen
Avancen gemacht.
Die Gewerkschaften haben die Gefahr früh erkannt, dass Wettbewerb
sowohl zwischen Strasse und Schiene als auch Wettbewerb unter den Bahnen
letztlich auf dem Buckel des Personals ausgetragen werden könnten.
Bahnen haben hohe Personalkostenanteile ( rund 50 %, bei Bus-Unternehmen
noch höher).
Daher ist für mich klar: Der Bundesrat muss in der Bahnreform
II sein Versprechen einlösen, dass der Wettbewerb nicht über
Sozialdumping ausgetragen werden soll. Dafür muss gesetzlich festgeschrieben
werden, dass Aufträge im regionalen Personenverkehr nur an Unternehmungen
erteilt werden können, die geordnete und angemessene Arbeitsbedingungen
nachweisen können.
Aber auch der Strassengütertransport muss unter die Lupe genommen
werden:
Vorschriften über die Höchstgeschwindigkeiten, Höchstladegewichte,
technische Ausrüstung der Fahrzeuge, über Arbeits- und Ruhezeiten
sind minutiös zu kontrollieren und mit Härte durchzusetzen;
notabene auch zu Gunsten jener Schweizer Strassentransportunternehmen,
die sich an diese Vorschriften halten.
Die Behörden sind gefragt; sie müssen der ausländischen
Sozial- und Sicherheitsdumping-Konkurrenz echt den Kampf ansagen.
|
|
     |