Ständerat: Wintersession, 26. November 2002

Flugverkehrskontrolle
über deutschem Hoheits-gebiet.
Abkommen mit der
Bundesrepublik Deutschland

Ganze Debatte zu diesem Geschäft


Leuenberger Ernst (S, SO), für die Kommission: Die Kommission für Verkehr und Fernmeldewesen hat am 31. Oktober das Büro gebeten, dieses Geschäft "Flugverkehrs-kontrolle über deutschem Hoheitsgebiet. Abkommen mit der Bundesrepublik Deutschland" für die Wintersession nicht zu traktandieren, weil das Geschäft schlicht nicht behandlungsreif ist und es weitere Abklärungen zu treffen gilt. Das Büro ist mit seinem Beschluss der Kommission gefolgt und hat das Geschäft nicht traktandiert. Ich nehme an, dass sich auch das Büro in dieser Debatte noch zu dieser Frage äussern wird, nachdem rein bildlich der Eindruck entstanden ist, das Büro würde uns einen anderen Antrag stellen.

Ich muss zwei Dinge zur Ausgangslage sagen, im Telegrammstil: Der Bundesrat hat mit Deutschland einen Staatsvertrag ausgehandelt, einen Staatsvertrag, welcher der schweizerischen Flugsicherung die Befugnis einräumt, die Flugsicherung über einem grossen Gebiet Süddeutschlands durchzuführen, zum Wohl des grenznahen Flughafens Kloten und des dortigen Flugbetriebs. Deutschland tritt damit hoheitliche Kompetenzen an die Schweiz ab und verlangt im Gegenzug die zahlenmässige Beschränkung der Überflüge über sein Gebiet und - was viel zentraler ist - eine restriktive Regelung für die Wochenenden und Feiertage. Bei uns ist diese Massnahme wie soeben zitiert als vorgezogene Massnahme oder als Wochenendregelung bekannt geworden. Diese Regelung wird seit dem 27. Oktober 2002 angewendet. Deutschland hat aber auch klar gemacht: Sollte dieser Vertrag nicht zustande kommen, würde Deutschland als Herr über seinen Luftraum in einer einseitigen Verordnung die Nutzung ebendieses deutschen Luftraumes regeln.

Die Deutschen sind noch einen Schritt weiter gegangen und haben gesagt: Wenn der Vertrag nicht zustande kommt, behält sich Deutschland vor, die Flugsicherung über dem deutschen Gebiet in seine Kompetenz zurückzunehmen. Die Rede war von einer Frist von sechs Monaten, in der dies geschehen soll. Ihre Kommission legt Ihnen vier Gründe dar, weshalb sie noch Zeit bis zur Frühjahrssession für weitere Abklärungen braucht:

1. Die wirtschaftlichen Auswirkungen des Vertrages, vor allem auch der Wochenendregelung, sind noch detaillierter abzuklären. Die Kommission hat den Bundesrat, den Chef UVEK gebeten, in engster Zusammenarbeit mit den drei betroffenen Unternehmungen - Flughafen Kloten, Fluggesellschaft Swiss, Flugsicherungsgesellschaft Skyguide - Bericht über diese wirtschaftlichen Auswirkungen zu erstatten. Dieser Bericht ist vom 24. Oktober datiert. Am 31. Oktober hat ihn die Kommission gewürdigt und ist zum Schluss gekommen, es sei dringend nötig, eine "second opinion" eines unabhängigen Experten einzuholen, weil die vorgelegten Zahlen und Beurteilungen von Swiss und Flughafengesellschaft einerseits und dem Bundesamt für Zivilluftfahrt andererseits derart differieren, dass ein Urteil der Kommission, wer schlussendlich Recht habe, nicht möglich ist. Die Kommission - ich sage es ein bisschen boshaft - kann nicht auf Lobby-Meinungen abstellen, sondern sie muss auf Fakten abstellen. Ein solches Gutachten braucht Zeit, wir haben Experten gesucht. Wenn die Kommission noch Zeit bis zur Frühjahrssession erhält, wird sie diesen Auftrag noch diese Woche erteilen können. Wir konnten bisher keinen Auftrag erteilen, weil uns über die Sonntagspresse dieser soeben begründete Ordnungsantrag angekündigt worden ist.

Wir wollen aber auch ganz präzise wissen, welche Auswirkungen die Rücknahme der Flugsicherung über Deutschland auf den Flugbetrieb in Kloten, auf die Skyguide und auf die Kapazität des Flughafens hätte.

2. Das Genehmigungsverfahren für den Staatsvertrag zwischen der Schweiz und Deutschland muss in Deutschland neu aufgelegt werden, weil mit der kürzlich stattgefundenen Bundestagswahl alle nicht definitiv behandelten Vorlagen dem so genannten Diskontinuitätsprinzip zum Opfer gefallen sind. Die Regierung muss diese Vorlage dem Parlament - zuerst dem Bundestag, dann dem Bundesrat - erneut zuleiten. Dafür braucht selbst Deutschland etwas Zeit, und wir müssen uns nicht unter Druck stellen lassen. Im Gegensatz zum Antragsteller muss ich hier festhalten, dass der Deutsche Bundestag diesen Vertrag in einem ersten Umgang ja bereits genehmigt hat. In Deutschland verläuft die politische Diskussion übrigens genau konträr zu der unseren: Dort behauptet die parlamentarische Opposition, die diesen Vertrag vehement bekämpft, dieser Vertrag sei für die Schweiz viel zu vorteilhaft - aber das nur ein Nebenpunkt.

Wie erwähnt worden ist, hat Deutschland diese vorgezogene Massnahme zur Wochenendregelung in eine Verordnung - die Umsetzung - gekleidet. Diese Verordnung ist von der Flughafengesellschaft und von der Fluggesellschaft Swiss bei einem deutschen Verwaltungsgericht mit dem Begehren auf aufschiebende Wirkung angefochten worden. Die aufschiebende Wirkung ist nicht erteilt worden, und zwar - das ist nicht unwichtig - mit folgender Begründung: "Das Gericht hält es nicht für geboten, sich damit im Einzelnen auseinander zu setzen, ob die Rechtsverordnungen gegen Europarecht verstossen oder die völkerrechtlich garantierte Freiheit des Luftverkehrs verletzen." Denn in Verfahren auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes komme es nur darauf an, ob diese Rechtsverstösse offensichtlich seien. Davon könne hier aber nicht dir Rede sein.

Das ist immerhin ein kleiner Hinweis dieses Gerichts. Der Gerichtsentscheid sollte im Verlauf des Monats Februar erfolgen. Dieses Urteil zu kennen, könnte für das Ratsplenum ein wichtiges Beurteilungselement darstellen.

Die Kommission kam im Übrigen auch zum Schluss, dass während des Verfahrens jeder politische Akt schweizerischerseits in dieses Verfahren einfliessen könnte. Das ist ein weiterer Grund, das Geschäft in die Frühjahrssession 2003 zu verschieben. Die Wochenendregelung gilt seit dem 27. Oktober. Im März können wir ihre Auswirkungen besser beurteilen. Die bisher subtile Anwendung der Wochenend-regelung - "light", wie gesagt worden ist - hat jedenfalls bisher nicht zu Klagen über grosse Schwierigkeiten im Flugbetrieb geführt, und wenn heute Schwierigkeiten geltend gemacht werden, die schon bisher bestanden, dann muss die Frage nach der Redlichkeit der Argumentation gestellt werden. Lassen Sie uns mit dieser Wochenendregelung Erfahrungen sammeln. Auch diese Sichtweise, Frau Spoerry, spricht für eine Verschiebung des Geschäfts.

Die Kommission hat - nach gross angelegten Hearings als Kommission des Zweitrates notabene - bereits im September grösstmehrheitlich mit 9 zu 1 Stimmen Eintreten auf diesen Bundesbeschluss beantragt, um damit zum Ausdruck zu bringen, dass die Kommission dafür hält, ein Staatsvertrag sei allemal besser als der vertragslose Zustand. Damit haben wir eine erhebliche Differenz zum Nationalrat geschaffen, der in seltener Leichtigkeit gesagt hat, es brauche überhaupt keinen Staats-vertrag, und gar nicht auf das Geschäft eingetreten ist.

Die Kommission hat aber auch früh erkannt, dass ein Nichteintretensbeschluss, wie ihn der Nationalrat gefällt hat, nicht etwa dazu führt, dass der Status quo ante - so, wie es vorher war und wie man es sich in Zürich erträumt -, basierend auf der im Jahre 2000 per 31. Mai 2001 gekündigten Vereinbarung 84, wieder gelten würde. Deutschland will da leider nicht mehr mitspielen.

Staatsverträge sind eine besonders heikle Angelegenheit, besonders wenn es sich um einen Vertrag mit einem befreundeten Nachbarland handelt, mit dem die Schweiz auch wirtschaftlich aufs Engste verflochten ist. Staatsvertragsgenehmigungen sind im parlamentarischen Verfahren mit grösster Sorgfalt, mit Umsicht, mit der Abschätzung aller möglichen Folgen an die Hand zu nehmen. Das tut die Kommission. Sie hat bereits im September eine Subkommission eingesetzt, bestehend aus den Herren Escher, Lauri, Pfisterer und dem Kommissionspräsidenten. Diese Subkommission hat bisher Schritt für Schritt die Geschäfts-behandlung zuhanden der Kommission gründlich und immer einvernehmlich vorbereitet, und sie möchte dies weiterhin tun. Die Kommission braucht Zeit für weitere Abklärungen; sie macht Sie darauf aufmerksam, dass die Geschäftsbehandlung im Ratsplenum - nach allen Schätzungen - drei bis vier Stunden beanspruchen wird. Die Kommission bittet auch um Nachsicht dafür, dass die Kommissionsberatungen mindestens noch einen halben bis einen ganzen Tag dauern werden. Diese Zeit benötigen wir, um all das zu beraten, was noch zu beraten ist. In dieser Session werden wir diese Zeit nicht finden.

Die Kommission hofft aber auch, dass der Bundesrat die Zeit bis im März 2003 noch nutzen kann, um allfällige Spielräume bei den deutschen Partnern auszuloten. Die Kommission ist gerne bereit, im März ihre Anträge hier zur Beschlussfassung zu unterbreiten.
Mit 8 zu 4 Stimmen beantragt Ihnen die Kommission, dieses Geschäft nicht jetzt, in dieser Session, zu traktandieren, sondern in der Frühjahrssession im März 2003.

 

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