Referat zum 1. Mai 2001 in Rapperswil/SG

Ständerat Ernst Leuenberger, Präsident SEV, Solothurn

Es gilt das gesprochene Wort!

Der Grundgedanke der Maifeierbewegung hat auch nach über 100 Jahren seine Gültigkeit nicht verloren und das erst recht unter Bedingungen einer zunehmend globalisierten Wirtschaft: Sozial Schwächere können ihre Rechte nur erkämpfen, wenn sie sich international zusammenschliessen. Solidarisches Verhalten ist gefragt über alle Grenzen von Staaten, Sprachen, Religionen, Rassen und Kontinenten hinweg.

Am Internationalen Arbeiterkongress von 1889 in Paris ging es darum, die heillos zerstrittene internationale Arbeiterbewegung hinter mindestens einer einheitlichen Forderung zusammenzubringen. Man schrieb die Erkämpfung des 8-Stunden-Tages auf die Transparente und einigte sich darauf, inskünftig jährlich am 1. Mai für diese Forderung in allen Ländern zu demonstrieren.

Wichtig war und ist die Erkenntnis, dass diese Forderung nur eine Chance haben konnte, wenn sie weltweit erhoben und durchgesetzt wird. Das Argument der Gegenseite, die Konkurrenzfähigkeit werde bei der Gewährung von Arbeitszeitverkürzungen nur in einem Land dort massiv beeinträchtigt entfiele damit automatisch.

So steht denn seit jenen Tagen der Gedanke der internationalen Solidarität im Zentrum aller sozialen Bewegungen, die sich zur Maifeierbewegung zählen. Solidarität üben ist schwierig. Solidarität ist nur dann etwas wert, wenn sie auch etwas kostet. Das braucht nicht unbedingt Geld zu bedeuten. Es kann auch eine Anstrengung sein, anderen beizustehen, andere zu akzeptieren. Schritte unternehmen zu andern, zu Unbekannten, zu Fremden. Das alles gehört dazu.

Solidarität üben heisst damit schlicht und einfach teilen, teilen lernen.

Wir alle wissen aus unseren Kindheitstagen, auch aus unserer Erziehungsarbeit als Eltern oder Grosseltern, wie schwierig es ist, teilen zu lernen. Aber wir wissen auch, wie wichtig es ist zu teilen. Schwieriges Teilen bei einer Gegenmentalität: "Selber essen macht fett", " Wenn jeder für sich selber schaut, ist für alle gesorgt."

  • Wir können Arbeit teilen. Arbeit kann besser verteilt werden. Arbeit und damit Erwerbseinkommen können besser, gerechter aufgeteilt werden auf alle Köpfe und Hände. Dieses Prinzip verficht auch eine Initiative des Schweiz. Gewerkschaftsbundes, in welcher die 36 Std-Woche gefordert wird.
  • Einkommen kann geteilt werden mit Einkommenslosen. Das kann auch heissen, dass ich Sozialversicherungsprämien bezahle, damit eine anständige Arbeitslosenversicherung möglich wird für die Betroffenen.
  • Es kann auch heissen, dass ich bereit bin, das Stimmrecht zu teilen, mit denjenigen, die kein Stimmrecht haben.

Das heisst auch, sauberes Wasser und saubere Luft, ja ein Stück intakter Natur teilen mit unseren Nachfahren, auch den noch Ungeborenen.

Solidarität heisst auch Kampf gegen jegliche Diskriminierung. Das muss heissen, dass ich nicht zulasse, dass in meiner Umgebung diskriminiert und unterdrückt wird. Das muss heissen, Zivilcourage zu haben und einzuschreiten. Unsere Solidarität hat all jenen zu gelten, die unterdrückt und verfolgt werden. Unsere Solidarität gilt weltweit denjenigen, die heute nicht wissen, was sie morgen ihren Kindern zu essen geben sollen. Unsere Solidarität gilt denjenigen, die ? auch bei uns, hier und jetzt ?bedrückt und verzagt sind und keine Zukunft vor sich sehen.

Wer von Solidarität spricht, muss jenen politischen Kräften die Stirne bieten, die nichts als Egoismus, Eigennutz und Ausgrenzung anderer im Sinne haben. Wenn auch in der Schweiz die äussere Rechte Wahlerfolge feiert, die auf der Verunsicherung der Bürgerinnen und Bürger beruhen, nachdem man zuerst durch Angstmacherei die Leute verunsichert hat, ist dieser Zustand alarmierend und verlangt entschieden Gegensteuer.

Die Gewerkschaften, die Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter; die politischen Parteien im rot-grünen Bereich, mit echt liberalen bürgerlichen Kräften müssen heute entschieden aufstehen gegen den Rechtspopulismus der professionellen Vereinfacher.

Wer mit Fremdenfeindlichkeit Stimmung macht und so Wahlen gewinnt, spielt mit dem Feuer. Wir sind als Feuerwehr gefragt, wir alle. Und noch eines: Wenn vereinzelte Strategen der bürgerlichen Mitte meinen, durch Nachgiebigkeit könne man diesen Kreise Meister werden, täuschen sie sich gewaltig. Nur eine klare Haltung bewahrt die Grundlagen des eidgenössischen Zusammenlebens, die da heissen: sozialer Ausgleich, friedliches Zusammenleben der Sprach-und Kulturgemeinschaften.

In der Sozialpolitik bedeutet Stillstand Rückschritt.

Grosse Auseinandersetzungen stehen bevor: in den nächsten Tagen wird der Nationalrat mit der Beratung der 11. AHV-Revision beginnen. Wir erinnern uns: bei der 11. Revision sollte die Finanzierung der AHV längerfristig geregelt werden. Das ist nötig, weil wir Menschen (glücklicherweise) immer älter werden. Die Frage des flexiblen Rentenalters sollte gelöst werden. So haben die Versprechungen stets gelautet.

Die bundesrätliche Vorlage kam als Schocktherapie daher: weitgehende Abschaffung der Witwenrente aus reinen Spargründen.

Der Nationalrat muss nun diese Scharte auswetzen, sonst ist die Vorlage extrem referendumsbedroht.

In der 11. AHV-Revision wird es sich definitiv zeigen, ob die Bürgerlichen sich dazu versteigen, ihre brutalen Sozialabbaupläne durchzustieren.

Was bürgerliche Politik wirklich will, wird uns in diesen Tagen und Wochen vordemonstriert: Sparen beim Sozialstaat, ja Sozialabbau. Sparen in der Bildung, Sparen bei der Infrastruktur (das sind auf deutsch Bahn, Post, etc) Dafür Steuersenkungen für die Reichen.

Damit wären wir bei Finanz und Finanzierungspolitik.

Einige bürgerlichen Batzenklemmer wollen einen armen Staat, einen schlanken Staat, sie wollen wieder den uralten Nachtwächterstaat.

Natürlich weiss ich, dass das ganze Volk will, das seine öffentlichen Hände sparen. Indessen gibt es bürgerliche Sparapostel, die vor allem ihre reiche Klientel schonen wollen vor Steuern und Abgaben und auf diesem Wege sogar die Demontage des Sozialstaates in Kauf nehmen. Sie nehmen das Kappen des regionalen Ausgleichs in Kauf. Regionaler Ausgleich, der neben dem sozialen Ausgleich recht eigentlich die Schweiz ausmacht. In unserem Land wurden Projekte verwirklicht, die den Vergleich mit dem Ausland nicht zu scheuen brauchen. Ich denke dabei in erster Linie das leistungsfähige Bildungssystem und das nahezu flächendeckende Angebot des öffentlichen Verkehrs. Alle diese Errungenschaften waren nur durch die Solidarität zwischen arm und reich, jung und alt und Stadt und Land überhaupt möglich und sind unsere wertvollsten Standortfaktoren in der globalisierten Wirtschaft.

Es ist uns in letzter Zeit aufgefallen, dass "sozialer Ausgleich" zwischen oben und unten nicht mehr Mode ist. Ich beschreibe das am Beispiel der Löhne in den dem Bund gehörenden Betrieben.

Es galt jahrzehntelang als hehres Prinzip, dass der Bund ganz oben schlechter bezahlt als die Privatwirtschaft (und er fand meistens sehr gute Chefs für Verwaltung und Betriebe) und es galt ferner, dass der Bund und seine Betriebe unten in der Hierarchie etwas besser bezahlten als die Privaten. Darauf war man im Schweizerland stolz und pries das als Muster und nannte das ganze "Sozialer Augleich".

Nun kommen kluge Verwaltungsratspräsidenten zu den Bundesbetrieben und verfügen Marktlöhne. Das heisst: zuerst explodieren die Managerlöhne bei Swisscom, Post und Bahn. Ganz nebenbei bedienen sich die Verwaltungsratspräsidenten auch noch ganz unbescheiden z.B. mit einem Tageshonorar von Fr. 2500.- . Kurz darauf werden die gleichen "Grosskopfete" daherkommen und die unteren Löhne kürzen wollen, weil sie über den Marktlöhnen lägen. So stellen sich diese Herrschaften das vor. Wenn der Bundesrat diesem zerstörerischen Spiel noch lange tatenlos zusehen will, wird ihm das Parlament "Beine machen müssen".

Aus diesen Fakten ziehe ich einen klaren Schluss:

Dieses Schweizerland, die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in diesem Land brauchen Gewerkschaften, mehr Gewerkschaften, überall Gewerkschaften. Gewerkschaften auch in den "neuen" Branchen.

Der Gedanke der gewerkschaftlichen Organisation muss von und und durch uns noch mehr verbreitet werden. Es sei nicht modern, organisiert zu sein. So vekündet es der neoliberale Zeitgeist und seine Hohepriester. Jeder sei seines eigenen Glückes Schmied. Einigen wenigen mag das gelingen, wenn sie rücksichtslos genug vorgehen.

Der Maifeierbewegung geht die Arbeit nicht aus. Die hohen Ziele "internationale Solidarität" und Schaffung sozialer Gerechtigkeit hier im Lande und weltweit erfordert unser aller Einsatz.

Dieser 1.Mai 2000 ist uns Anlass, unser Versprechen, den Zielen der Maifeierbewegung zu dienen mit freudigem Einsatz zu erneuern und zu bekräftigen.

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