
Ständerat:
Sommersession 27.05.08
Für
ein flexibles AHV-Alter.
Volksinitiative
Die körperlich
hart Arbeitenden in diesem Land sollen auch die Möglichkeit haben,
sich frühzeitig pensionieren lassen zu können. Ernst Leuenberger
setzt sich für die Volksinitiative für ein flexibles Rentenalter
ein.
Im Zusammenhang
mit Flexibilisierung des AHV-Alters höre ich in diesem Haus seit
über zwanzig Jahren: "Morgen, morgen, nur nicht heute!"
Es ist jetzt für die 11. AHV-Revision versprochen. Qui vivra, verra!
Es ist mir ganz wichtig, noch etwas anderes festzuhalten: In allen AHV-Debatten
gibt es immer - ich brauche ein hartes Wort - auch die AHV-Miesmacher,
die den künftigen Bankrott der AHV voraussagen. Das ist nichts
Neues; das hat Herr Allenspach schon vor zwanzig Jahren getan. Das geschieht
immer und immer wieder. Doch den Jungen Angst zu machen, sie erhielten
dann eines Tages nichts mehr, halte ich für verantwortungslos.
Nun zur Sache selbst: In der bundesrätlichen Botschaft wird als
wichtiges Argument gegen diese Flexibilisierungs-Initiative angeführt,
es habe Initiativen in Serie gegeben, und diese seien allesamt abgelehnt
worden. Immerhin wäre zu bedenken, dass eine, die mit der jetzigen
Initiative vergleichbar ist, etwa 44 Prozent Zustimmung erreicht hat;
das ist nicht nichts. Und ich möchte Ihnen zu bedenken geben: Könnte
es nicht sein, dass bei diesen demokratischen Entscheidungen über
das Rentenalter, insbesondere über die Rentenaltersflexibilisierung,
just jene, die auch körperlich am schwersten arbeiten, gar nichts
zu sagen haben? Ich kleide es in Frageform: Könnte es nicht so
sein? Eine Million Menschen in diesem Land haben aus Umständen,
die jetzt nicht zu diskutieren sind, keine politischen Rechte, und unter
dieser Million befinden sich just jene, die unsere Strassen bauen, die
unsere Häuser bauen, die in den Schlachthäusern arbeiten,
die Schichtarbeit leisten oder sonst sehr hart arbeiten und folglich
- Herr Gutzwiller hat das auch angesprochen - am meisten gefordert sind
und höchstwahrscheinlich eine gegenüber dem Durchschnitt reduzierte
Lebenserwartung haben.
Ich möchte das einfach zu bedenken geben, da man etwas pauschal
und schnell sagt, das Volk wolle davon nichts wissen. Es gibt Teile
dieses werktätigen und beitragszahlenden Volkes, die zur AHV politisch
nichts zu sagen haben. Das ist ein Faktum, das so schnell nicht wegzudiskutieren
ist.
Ich frage Sie auch: Kennen Sie denn nicht auch jene Menschen, die ab
60 Jahren beispielsweise einfach nicht mehr können, die Kraft nicht
mehr aufbringen, die Leistung zu erbringen, die man von ihnen erwartet?
Ist Ihnen nicht auch aufgefallen - wir haben vor weniger als einer halben
Stunde über die Invalidenversicherung diskutiert -, dass auch Personen
ab 55 Jahren in grösserer Zahl, als uns allen lieb ist, invalidisiert
worden sind, was zu den Finanzproblemen in der Invalidenversicherung
geführt hat? Es könnte also einen Zusammenhang geben zwischen
unserem martialischen Festhalten am Rentenalter 65 und der Invalidisierung
von Personen beispielsweise ab 55 Jahren.
Zur Beschäftigungslage der Personen über 60 oder 62 Jahre
möchte ich gerne bestätigen, was Frau Egerszegi hier ausgeführt
hat: Wenn ich in einen Betrieb komme - das mache ich seit Jahren, weil
dieses Thema schon seit Jahren aktuell ist - und frage, wie viele Personen
über 60, 62 Jahren beschäftigt sind, ernte ich als Antwort
oft nicht viel mehr als ein müdes Lächeln: Ja, es sei praktisch
niemand mehr in diesem Alter tätig. Dann mache ich ein Zweites,
und da hört dann die Freundlichkeit schon auf, ich frage dann:
Wie reagiert Ihre Personalabteilung, wenn sich eine 60-, 61- oder 62-jährige
Person um eine Stelle bewirbt? Dann erklärt man mir liebevoll,
ja, das sei halt etwas schwierig, und die Stellen, die ausgeschrieben
würden, seien derart anspruchsvoll, dass es sich praktisch nicht
mehr lohne, eine solche Person drei, vier Jahre vor ihrer regulären
Pensionierung noch einzuarbeiten; das gehe halt nicht so gut. Schauen
wir den Tatsachen also ins Auge: Die Beschäftigung von Personen
in der Kategorie der über 60-, 62-Jährigen ist ein Problem,
das wir schlicht nicht gelöst haben.
Ich mache noch schnell einen Abstecher zu den Ökonomen. Die einen
Ökonomen füllen die Zeitungen mit dem Gerede, die Erwerbsarbeit
gehe uns aus, und die anderen prognostizieren das, was auch Frau Egerszegi
zitiert hat, dass uns nämlich in Zukunft massiv Arbeitskräfte
fehlen werden, sodass wir auf jede arbeitsfähige und arbeitswillige
Person angewiesen sein dürften.
Ich will damit nur gesagt haben, über Prognosen lässt sich
trefflich streiten, und ich glaube weder den einen noch den andern.
Ich muss Ihnen noch etwas zu dieser ganzen Rentenaltersfrage sagen,
was mich seit Jahren plagt, und ich beginne mit mir. Ich war Gewerkschaftsfunktionär.
Die Eisenbahner haben gesagt: Du hast deine Sache gut gemacht, du darfst
mit 60 Jahren in Pension gehen, und dafür kommen wir auf. Das war
ein demokratischer Entscheid eines Kongresses. Ich habe mich mit 60
Jahren pensionieren lassen können. Ich bin also ein Privilegierter
in diesem Sinne, und man hat das begründet. Es ist etwas frech,
was ich jetzt sage, aber Sie sind sich das gewohnt, und in der Politik
gehört etwas Pfeffer dazu: Ich blicke mich in diesem Saal um und
frage mich, wer alles in diesem Saal von einem möglichen vorzeitigen
Altersrücktritt profitiert. Ich will das damit nicht infrage gestellt
haben, ich habe mich in meinem Kanton auch dafür eingesetzt, dass
Regierungsräte nicht bis zum Alter von 65 Jahren bleiben müssen,
bis sie wirklich nicht mehr die Treppe hochsteigen können und nach
dreissig Jahren den Verleider so intensiv haben, dass sie finden: Oh
Blasius Rohr, ich möchte lieber nicht mehr. Ich bin für eine
gesunde Rotation und darum auch dafür, dass man da Ruhestandsregelungen
findet, die diesen Namen verdienen.
Aber darf ich in diesem Zusammenhang vielleicht doch die folgende Frage
aufwerfen: Bevor Sie in Bausch und Bogen diese Geschichte des flexiblen
Rentenalters, das mit dieser Initiative zur Diskussion gestellt wird,
verwerfen, fragen Sie sich einmal, wie Sie mit Ihrer Situation umgehen.
Und den meisten kann ich nur grosse Komplimente machen. Sie haben mit
Ihrer neugewonnenen Freiheit und Freizeit sehr, sehr nützliche
Dinge angestellt, und andere sollten das eigentlich auch machen können.
Mir geht es primär darum, dass die Schwerstarbeitenden, die körperlich
auch sehr gefordert sind und die eines Tages nicht mehr können,
eine Chance haben, etwas vorzeitig in den Ruhestand zu treten. Diese
Initiative will das, und so ungeheuerlich kann das gar nicht sein.
Ich empfehle jedenfalls mit Überzeugung und ein klein wenig schlechtem
Gewissen diese Initiative zur Annahme.
Das
ganze Geschäft
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