Ständerat: Sommersession 2001; 19.06.2001

Für eine kürzere Arbeitszeit / Volksinitiative

Ganze Dabatte zu diesem Geschäft

Leuenberger Ernst (S, SO): Bei dieser Diskussion, die sich in den eidgenössischen Räten im Durchschnitt so alle fünf bis zehn Jahre wiederholt, ist es durchaus nützlich, einige grundsätzliche Überlegungen anzustellen. Wenn meine Kolleginnen mich freundlich anlächeln, will ich ihnen sagen: Diese Debatten haben sich gelohnt. 1877 hat man für den Elfstundentag gekämpft. Die Damen konnten damals noch nicht lächeln; die Herren haben es besorgt. Inzwischen sind wir von diesem Elfstundentag glücklicherweise doch etwas weggekommen - auch dank parlamentarischer Debatten, die bei solchen Initiativen gewisse Dienste als Schrittmacher geleistet haben. Damit ist bereits mein erster Punkt skizziert: Kürzere Arbeitszeiten - mehr Zeitautonomie - gelten für sehr viele Arbeitnehmende als Errungenschaft. Je nach Wunschlage werden dabei eine kürzere Lebensarbeitszeit, eine kürzere Wochenarbeitszeit, eine kürzere Tagesarbeitszeit, eine kürzere Jahresarbeitszeit oder mehr Ferien angestrebt. Gelegentlich wird auch ein tieferes Rentenalter angestrebt. Dies gilt vor allem - es ist wichtig, das hier festzuhalten - für jene Menschen, die in der Arbeit eben nicht primär Erfüllung und Verwirklichung finden können, sondern die Arbeit sehr oft als eintönig, stressig, gesundheitsbelastend und sehr ermüdend erleben. Die Abgeordneten dieses Ständerates werden allesamt zugeben, dass wir die Chance haben, in aller Regel interessante, erfüllende, motivierende Arbeit zu leisten. Niemand von uns bedient einen Presslufthammer; sieben Achtel von uns haben noch nie einen in den Händen gehalten. Niemand von uns arbeitet im Schichtbetrieb; die Hälfte von uns hat noch gar nie hautnah erlebt, was regelmässige Nachtarbeit bedeutet. Freizeit dagegen bedeutet Erholung, Gesundheitspflege, Familienarbeit, Freiwilligenarbeit und Arbeit für das Gemeinwesen. Freizeit bedeutet Teilnahme an der Demokratie, Teilnahme an der Selbstverwaltung, kulturelle Entfaltung und Weiterbildung. Aus genau diesen Gründen sind schon im 19. Jahrhundert - ich habe das vorhin zitiert -, aber vor allem auch im 20. Jahrhundert immer wieder intensive Diskussionen um eine Arbeitszeitverkürzung geführt worden. Dabei haben wir festzustellen, dass man vom Elfstundentag im Jahre 1877 zum heutigen Achtstundentag gekommen ist; nicht diskussionslos und auch nicht ganz kampflos. Von der Siebentagewoche ist man zur Fünftagewoche vorgerückt, von der Sechzigstundenwoche zur Vierundvierzig- und Vierzigstundenwoche. Es muss hier auch festgehalten werden, dass man immer wieder - und in diesem Rat wird das nicht bestritten werden - Höchstarbeitszeiten gesetzlich fixiert hat. Das will ich besonders betonen, weil immer wieder gesagt wird, die Regelung der Arbeitszeiten sei eine reine Sache der Sozialpartner. Ich erinnere an das Arbeitsgesetz, das für die meisten Betriebe gilt, und an das Arbeitszeitgesetz, das für die öffentlichen Betriebe gilt. Deshalb ist die Diskussion um Gesetz oder Vertrag auch eine verfälschte Diskussion. Ich komme damit zum zweiten Punkt und sage, dass Gewerkschaften und Personalorganisationen bei diesen Diskussionen um eine Arbeitszeitverkürzung immer wieder beide Wege beschritten haben. Selbstverständlich haben sie ihre Begehren den Sozialpartnern unterbreitet; ebenso selbstverständlich sind, zum Beispiel über Verfassungsinitiativen, immer wieder Diskussionen um eine Arbeitszeitverkürzung in die Politik, in die Parlamente getragen worden. Das sei zugegeben: Wir sind alte Realos. Es ist noch nie eine solche Initiative vom Volk angenommen worden, aber wie Figura zeigt hatten diese ganzen Diskussion Auswirkungen, indem nämlich das Bewusstsein etwas geschärft werden konnte, was denn eigentlich Arbeitszeitverkürzung leisten soll und leisten kann. Schlussendlich ist der Gesetzgeber immer wieder gekommen und hat - praktisch wie der Besenwagen beim Velorennen - die Nachzügler über gesetzliche Regelungen mitgeholt, damit die Disparitäten in der Wirtschaft auch in dieser Frage nicht allzu gross werden. Die Diskussion Gesetz oder Vertrag ist deshalb zwar eine sehr interessante, aber wie die 130-jährige Geschichte dieser Arbeitszeitverkürzungen zeigt, eigentlich eine unnütze Diskussion, weil immer wieder beide Instrumente genutzt wurden. Was will man mit solchen Volksinitiativen erreichen? Eines ist ganz klar: Das Hauptziel - das hat der Kommissionspräsident absolut klar dargestellt - bei der Lancierung dieser Initiative war, einen Beitrag zur Behebung der Erwerbslosigkeit zu leisten. Ich gestehe Ihnen offen zu, dass dieses Argument in der aktuellen Konjunktur - glücklicherweise will ich einmal beifügen - relativ wenig Kraft hat, denn die grössten Beschäftigungsprobleme sind gelöst. Wenn Sie die Botschaft exakt gelesen oder sich sogar die Papiere der Initianten etwas angesehen haben, ist Ihnen aufgefallen, dass noch andere Elemente zur Begründung für diese Arbeitszeitverkürzung herangezogen worden sind. Beispielsweise war ein zentrales Thema die ganze Frage der Gleichstellung, indem die Initianten davon ausgehen, dass die Menschen eben - ich sagte es bereits - mehr Zeit z. B. für gemeinsame Erziehungsarbeit, aber auch ganz banal für gemeinsam zu erledigende Hausarbeit haben, wenn sie weniger Zeit für die Arbeit aufwenden müssen. Das ist insofern also auch ein Beitrag zur Erreichung des Ziels der Gleichstellung der Geschlechter. Schlussendlich gibt es auch immer wieder der Hinweis auf Lebensqualität, auf mehr Freizeit. Es wäre durchaus auch nützlich festzuhalten, dass in dieser stressigen Zeit für jene, die in ihrer Arbeit tatsächlich gestresst werden, das Argument des Gesundheitsschutzes zunehmend an Gewicht gewinnen wird, weil die Menschen tatsächlich ihre Gesundheit recht oft am Arbeitsplatz liegen lassen. Kürzere Arbeitszeiten können, sollen und müssen einen Beitrag zur Erholung leisten. Ökonomisch gesehen liesse sich eine höchst interessante Debatte darüber vom Zaun reissen, ob damit die Schweizer Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die - mindestens im europäischen Vergleich - von den höchsten vorkommenden Arbeitszeiten haben, nicht sogar einen Beitrag zur Strukturerhaltung leisten. Ich bin froh, dass der Kommissionssprecher auf Kleinbetriebe eingegangen ist, die auf hohe Arbeitszeiten angewiesen sind, damit sie überleben. Ich nehme an, Herr Bundesrat Couchepin wird uns dann ein Kapitel über Strukturerhaltung lesen und uns darüber belehren - das können die Liberalen besonders gut -, dass Strukturerhaltung für jede Ökonomie den Keim des Verderbens und des Sterbens in sich trägt. Ich bin auf diese Ausführungen gespannt und werde Ihnen, Herr Couchepin, mit ganz grossem Interesse folgen. Ich glaube, es ist nützlich, noch einmal auf das Hauptargument einzugehen - sofern Sie überhaupt Lust haben, mit mir über diese Frage zu debattieren, weil abstimmungsmässig sind Sie einige mehr, als ich da mobilisieren konnte. Das war aber immer so, am Anfang waren es einige wenige und plötzlich haben es dann alle geglaubt und wollten es schon immer geglaubt haben. Die Frage nämlich, ob über Arbeitszeitverkürzung tatsächlich ein Beitrag zur Lösung der Beschäftigungsprobleme geleistet wird. Die Ökonomen, und unter ihnen namhafte Ökonomen, bestreiten das lebhaft. Ich muss Ihnen sagen - ich will heute nicht über die SBB sprechen, das könnte Ihnen langsam langweilig vorkommen -, dass ich davon überzeugt bin, und es gibt Beispiele, die das belegen, dass es dort, wo in Schichten oder Touren gearbeitet wird, evident ist, dass eine Verkürzung der Arbeitszeit zusätzliche Arbeitskraft erfordert. Das ist absolut glasklar, das kann gar nicht bestritten werden. Also kann man nicht grundsätzlich und theoretisch behaupten, es sei gar nicht möglich, beschäftigungswirksame Arbeitszeitverkürzungen zu instradieren. Ich möchte damit schliessen, Ihnen in Erinnerung zu rufen - ich sollte das eigentlich nicht tun, aber es dürfte für Ihre Beurteilung nicht uninteressant sein, das zu wissen -, dass dieser Volksinitiative aus sehr links stehenden Kreisen, vor allem in der Suisse romande, eine massive Opposition erwachsen ist. Diese Leute sagen - das müsste Sie jetzt ein bisschen auf meine Seite bringen -, diese Initiative sei ein Instrument zur Flexibilisierung par excellence. Letztlich enthalte diese Initiative gegenüber bisherigen Regelungen Deregulierungselemente. Ich nenne Ihnen einen einzigen Anhaltspunkt, das ist die Geschichte der Jahresarbeitszeit. Letztlich von starren täglichen oder wöchentlichen Arbeitszeitregelungen zu einer Jahresarbeitszeitregelung überzugehen ist - ich gebe das zu - ein gewaltiger Flexibilisierungsschritt. Bevor Sie nun diese Volksinitiative heimschicken, wozu Sie offenbar grimmig entschlossen sind, möchte ich Sie doch bitten, das auch in Betracht zu ziehen. Bitte ziehen Sie auch in Betracht, dass die Schweiz punkto Arbeitszeit immer noch einen Spitzenplatz, und zwar bezüglich der hohen Arbeitszeiten, einnimmt! Einige von Ihnen werden versucht sein, einen Zusammenhang zwischen hoher Arbeitszeit und Wohlstand herzustellen. Wie gesagt hoffe ich, dass der Wirtschaftsminister eher den Zusammenhang zwischen hohen Arbeitszeiten und Strukturerhaltung in den Vordergrund stellen wird. Der langen Reden kurzer Sinn: Ich stehe zu dieser Volksinitiative, und ich beantrage Ihnen deshalb als kleine, einsame Minderheit, diese Initiative Volk und Ständen zur Annahme zu empfehlen

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