
Ständerat:
Herbstsession 2007, 03.10.07
Güterverkehrsvorlage
Ernst Leuenberger
erinnert an den Verfassungsauftrag der Alpeninitiative von 1994 und
warnt vor falschen Rezepten wie Liberalisierung und Lohndumpung.
Als ich
aus den Kommissionsberatungen wegging, überlegte ich mir auf dem
Nachhauseweg: Hat es denn eigentlich den 20. Februar 1994 gar nicht
gegeben? Oder haben das alle vergessen und verdrängt? Oder sind
alle immer noch in ihrer damaligen Haltung stehen geblieben? Am 20.
Februar 1994 nämlich wurde die Bundesverfassung um den Alpenschutzartikel
ergänzt. Er ist von Kollege Hess zitiert worden. Es wurde an diesem
20. Februar 1994 in die Übergangsbestimmungen der Verfassung geschrieben:
"Die Verlagerung des Gütertransitverkehrs auf die Schiene
muss zehn Jahre nach Annahme von Artikel 36quater Absatz 2 abgeschlossen
sein." Das wäre dann nach allen Berechnungen im Jahre 2004
gewesen. Ich glaube, wir schreiben das Jahr 2007. Es ist offenbar vergessen,
und einige werden das noch dokumentieren, dass damals - es sei nicht
verschwiegen - praktisch alle grossen Parteien, die grosse Mehrheit
dieser Kammer, die grosse Mehrheit der anderen, der grimmig entschlossene
Bundesrat bis hin zum sympathischen Adolf Ogi diese Vorlage bekämpft
und die Niederlage, die sie damals eingefahren haben, offenbar nie verwunden
haben, y compris die grossen Wirtschaftsverbände.
Einige müssen sich heute die Aufforderung gefallen lassen: Falls
Sie immer noch in der alten Haltung verblieben sind, dann haben Sie
doch den Mut, und stellen Sie diesen Verfassungsartikel zur Diskussion.
Dann sehen wir uns bei Philippi wieder in einer Volksabstimmung. Ich
bin getrost, das Volk wird wieder gleich entscheiden. Denn das Volk
will nicht, dass die Eidgenossenschaft zu einem Tummelfeld für
Lastwagen wird. Das müssen wir endlich einsehen.
Herr Hess, es hat noch nie ein ernstzunehmender Verkehrspolitiker von
einer flächendeckenden Verlagerung des Güterverkehrs von der
Strasse auf die Schiene geredet. Nicht einmal ein Verrückter hat
das je gefordert. Ich bitte, das auch so zur Kenntnis zu nehmen.
Die Schwierigkeit wird sich zeigen. Einige werden schweren Herzens dafür
sein, ich bin voller Zuversicht und nach wie vor überzeugt, dass
wir die Verlagerung anstreben müssen, dass wir die Verlagerung
auch umsetzen müssen. Wir dürfen nicht unsere ganze politische,
kriminelle und andere Energie darauf verwenden und dafür verschwenden
zu "beweisen", dass Verlagerung gar nicht möglich sei.
Ich habe es in der Kommission erlebt: In praktisch drei Vierteln der
Voten wurde "bewiesen", dass Verlagerung nicht möglich
und letztlich eine Illusion sei. Man müsse jetzt die Erfahrung
spielen lassen, bis der letzte Mohikaner seinen Horizont etwas über
die Schienen hinaus vergrössert, verbreitert und verlängert
habe.
So geht es nicht. Ich muss Ihnen gestehen: Wenn ich auch für Eintreten
auf dieses ganze Paket bin, erfüllt es mich mit einiger Sorge.
Denn man hat uns gesagt, die EU verlange markttaugliche Instrumente
zur Umsetzung der Verlagerung. Das hat man uns gesagt. Ich nehme mal
an, es sei so, öffne aber noch eine Klammer: Wenn der Bundesrat
derart überzeugt und fast mit Knieschlottern daherkommt und sagt,
die EU verlange dies, dann staune ich. Ich habe erlebt, wie der Bundesrat
bei einer anderen Frage - bei der "Portemonnaiefrage", der
Steuerfrage - schon praktisch Regimenter an die Grenze gestellt hat,
als man in Brüssel unten etwas laut gehustet hat. Aber bei der
Landverkehrsfrage habe ich gelegentlich den Eindruck, man rutsche da
auf den Knien nach Brüssel und ziehe bei jedem Hauch oder bei jedem
Stirnrunzeln schon den Schwanz ein. (Teilweise Heiterkeit)
Ich wünsche mir, dass man auch hier ein bisschen entschiedener
auftritt. Das ist einer der Mängel der Vorlage gemäss den
Kommissionsbeschlüssen. Es ist bisher nämlich ein einziges
als markttauglich qualifiziertes Instrument zur Umsetzung genannt worden:
das ist die Alpentransitbörse. Ich habe in der Kommission mehrmals
gefragt, welche andern markttauglichen Instrumente es denn noch gebe.
Ich habe in den Protokollen nachgelesen - ich habe keine Antwort gefunden.
Drum wundert es mich ein klein, klein wenig, wenn der Kommissionssprecher
heute im Brustton der Überzeugung ausführt, Verlagerung sei
auch ohne Alpentransitbörse möglich. Es würde mich sehr
interessieren, wie denn. Legen Sie doch mal Ihre wunderbaren, guten
Ideen auf den Tisch. Wenn wir sagen, das Vorhaben der Alpentransitbörse
könne erst ausgeführt werden, wenn wir dem Bundesrat sagten,
wenn er wolle, könne er ja mal in Brüssel fragen, ob sie allenfalls
geneigt wären, uns zu erlauben, so etwas einzuführen - und
dann bauen wir noch mehrere Referendumshürden ein -, ist das jedenfalls
eine Verhinderungsstrategie. Das ist keine Strategie, die vorwärtsgeht.
Wegen momentaner Absenzen und der Folgen auf die Kommissionszusammensetzung
liessen sich leider keine andern Lösungen zu Mehrheitslösungen
machen. Aber gesagt muss es sein, dass wir auf diese Weise mit Sicherheit
nicht vorwärtskommen.
Noch eines - und dann will ich für heute zu diesem Eintreten schweigen
- gibt mir zu denken: Ich höre, dass ein Instrument, das bei der
Verlagerung helfen könne, die Bahnliberalisierung sei, also mehr
Wettbewerb. Das steht an sich in den Lehrbüchern so, das habe ich
auch gelesen, und an unseren freisinnigen Hochschulen bin ich so indoktriniert
worden.
Mir fällt allerdings in der täglichen Praxis auf, dass dieser
Bahnwettbewerb ganz eigenartige Nebenwirkungen hat, die dann am Schluss
keiner gewollt hat. Es gibt plötzlich Sicherheitsprobleme auf den
schweizerischen Schienen, und ich lese, dass nicht nur die Kontrollen
des Strassengüterverkehrs - ein Lieblingsthema von mir, wo ich
diese Sicherheit immer wieder einfordere und reklamiere, entsprechend
auch die Kontrollen -, sondern auch jene des Schienengüterverkehrs
Situationen aufzeigen, die mir gelegentlich schlaflose Halbnächte
bereiten, denn ich will nicht, dass die Eisenbahn Scherbenhaufen produziert,
sondern dass sie fährt, und zwar ordentlich durchfährt.
Ich habe auch erfahren müssen, dass diese Bahnliberalisierung plötzlich
mit Löhnen des Personals zu tun hat. Es gibt offenbar Leute, die
sich vorstellen, dass man auf Schweizer Schienen dann mit polnischen
Löhnen verkehren könne, und das wäre dann ein Wettbewerbsvorteil.
Im Strassengüterverkehr wird uns das täglich vorexerziert,
und ich muss Ihnen sagen, ich habe gelegentlich auch Sorge um das schweizerische
Strassentransportgewerbe, das seinerseits im Konkurrenzkampf steht zu
Dumping-Arbeitsbedingungen und zum Sicherheits-Dumping aus gewissen
Ländern in diesem Europa. Von daher frage ich mich, ob dieses Wettbewerbsmodell
unbedingt zielführend ist.
Ich trete auf die Vorlagen ein, aber ich wäre schon sehr froh,
wenn am Schluss dieser Debatte Sie mir gründlich heimgeleuchtet
und bewiesen hätten: Jawohl, wir wollen Verlagerung, deine Ängste
sind umsonst! Das wäre sozusagen ein Legislaturgeschenk.
Das
ganze Geschäft
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