Ständerat: Frühjahrssession 2005:

Europäisches Eisenbahn-Hochleistungsnetz.
Anschluss der Ost- und Westschweiz

Ernst Leuenberger kritisch zur Ratsrechten: «Ich bin immer auf Ihrer Seite, wenn Sie regionalpolitische Auflagen machen, aber ich bin es dann nicht mehr, wenn Sie die Rechnung für die Regionalpolitik nicht bezahlen wollen.»

Leuenberger Ernst (S, SO): Auf der Fahne figuriere ich bei der Minderheit, denn im Laufe der Kommissionsberatungen stellte ich fest, dass der Kanton Solothurn zu den 18 Kantonen gehörte. Ich muss Ihnen gestehen: Ich habe bei einem Regierungskontakt festgestellt, dass der Kanton Solothurn offenbar von diesem Konzept der 18 Kantone nicht so überzeugt ist. Ma foi, lassen wir das!
Ich möchte aber einige Widersprüche in dieser Diskussion aufzuzeigen versuchen. Heute Morgen haben selbstkritische Geister von Euphorie gesprochen, als damals vor 15 Jahren die ersten Neat-Entscheide gefällt wurden. Sie haben Selbstkritik geübt, wenigstens jene, die das im Leben gelernt haben, und ich frage mich manchmal, ob sich Euphorie auch wiederholen kann.
Mir ist auch aufgefallen, dass die Berufung auf den Volkswillen aus verschiedenen Regionen ertönt; es gab ja bei der FinöV-Abstimmung von 1998 immerhin auch Kantone, die ein Nein hervorgebracht haben. Das würde ich auch bedenken, aber das ist nur eine Nebensache. Der Hauptwiderspruch ist ein anderer: Mir ist aufgefallen, dass hier - soeben von Kollege Schmid - dafür plädiert worden ist, mit öffentlichen Investitionen Wachstum zu erzielen. Wohlan, ein sozialdemokratisches Programm! Ich gratuliere Herrn Kollege Schmid zu dieser Erkenntnis und Einsicht; in der Regionalpolitik sind wir immer dazu gestanden. Aber eine Mehrheit dieses hohen Hauses teilt diesen Standpunkt überhaupt nicht, wenn es dann drauf ankommt. Darum habe ich Mühe damit, diese Ausführungen voll ernst zu nehmen.
Ich hatte auch Mühe und entschuldige mich, dass ich zu einer Abwesenden spreche: Frau Forster hat praktisch ein Plädoyer gehalten, wonach Bahninvestitionen schwergewichtig nach regionalpolitischen Kriterien zu tätigen seien, obschon sie mir sonst immer liebevoll und kollegial erklärt, Investitionen hätten dort getätigt zu werden, wo der Markt es gebietet. Seien Sie ehrlich: Sie sind in der Anwendung der Argumente auch sehr flexibel - für mich fast ein wenig zu flexibel. Einmal verlangen Sie bei allgemeinen Bahndebatten, zum Beispiel bei der Leistungsvereinbarung mit den SBB, dass die Unternehmungen nach betriebswirtschaftlichen Grundsätzen geführt werden. Und plötzlich ändern Sie die Argumentation und machen regionalpolitische Auflagen. Ich bin immer auf Ihrer Seite, wenn Sie regionalpolitische Auflagen machen, aber ich bin es dann nicht mehr, wenn Sie die Rechnung für die Regionalpolitik nicht bezahlen wollen. Das geht nicht auf, und dieser Widerspruch gehört heute auf den Tisch, damit wir auch wissen, wovon wir reden.
Ich erinnere an einen weiteren Widerspruch, die Argumentation von Herrn Bürgi zum Beispiel oder von Herrn Hofmann bezüglich Zürich-Winterthur. Ich unterschreibe jedes Wort, das sie gesagt haben. Aber, meine Herren, erlauben Sie mir eine bescheidene Klein-Fritzli-Frage: Gehört denn diese Investition nicht systematischerweise in die Leistungsvereinbarung zwischen Bund und SBB? Wenn das so wichtig ist, wie Sie argumentieren - und ich nehme an, Sie haben Recht, ich bin überzeugt, Sie haben Recht -, gehört das in die Leistungsvereinbarung, mit der klaren Auflage, das zu tätigen.
Aber was haben wir mit der in Kraft stehenden Leistungsvereinbarung gemacht? Sie erinnern sich an die Budgetdebatte 2005 hier drin: Kürzung der Leistungsvereinbarung, in irgendeinem eigenartigen Tauschhandel mit Trassenpreisverbilligung, sachlich in keiner Weise gerechtfertigt, hier mehrheitsfähig bis an den Bach und zurück. Entlastungprogramm 2003: Kürzung der Leistungsvereinbarung zwischen Bund und SBB; Entlastungsprogramm 2004, das wir demnächst behandeln werden: Kürzung der Leistungsvereinbarung zwischen Bund und SBB. Man kann nicht beides haben.
Aber ich plädiere dafür und gebe Herrn Hofmann und Herrn Bürgi Recht: Ihr Anliegen ist berechtigt. Aber es gehört systematisch eindeutig in die Leistungsvereinbarung. Ich werde mir die Freiheit nehmen, wenn wir dann wieder einmal über eine Leistungsvereinbarung reden, zu sagen: Jetzt ist die Stunde für Zürich und Winterthur, und möge der Thurgau und möge Zürich und mögen alle anderen sich da anschliessen.
Zum Schluss noch eine Frage an Herrn Bundesrat Leuenberger: Wir haben ja vier FinöV-Projekte. Erstaunlicherweise - ich erinnere mich nicht mehr an die Details der Entstehungsgeschichte - haben wir bei einem dieser vier FinöV-Projekte konkrete Termine und Daten ins Gesetz geschrieben. Das betrifft diese HGV-Anschlüsse. In Artikel 2 des Verpflichtungskreditbeschlusses lese ich: "Die baulichen Massnahmen an den bewilligten Objekten müssen bis spätestens 2010 in Angriff genommen und bis 2015 abgeschlossen werden." Der Bundesrat kann diese Fristen um fünf Jahre verlängern, da ist etwas Spielraum drin. Aber doch die Grundsatzfrage, nachdem das das einzige Projekt ist, das klare Befristungen auf Gesetzesstufe enthält: Welche Auswirkungen hat eine Veränderung am Investitionsvolumen hier auf die übrigen drei FinöV-Projekte? Ich denke, dazu muss hier etwas ausgeführt werden.
Ich schliesse damit, dass ich Ihnen sage: Ich habe den Minderheitsantrag unterschrieben, und man soll die Meinungen nicht wechseln wie das Hemd. Aber ich muss Ihnen offen gestehen, ich bin nicht mehr so sicher, dass das der richtige Weg ist, wie ich damals war, als ich unterschrieb; ich bin etwas verunsichert.

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