Ständerat: Wintersession 2003; 03.12.03

03.3256 Interpellation Schweiger Rolf. Umfassende Sanierungsstrategie für den Bundeshaushalt
und die Sozialwerke

Lassen Sie mich Ihnen zurufen:"Übermut tut niemals gut." Wir sind im Begriff, das Entlastungsprogramm 1 zu verabschieden. Ich habe mehrmals auch in diesem Rat betont, dass wir uns bei diesem Entlastungsprogramm zusammengerauft haben; alle haben gesagt: Es muss etwas geschehen. Wir haben das Ziel "Haushaltgleichgewicht in Schritten erreichbar" dort definiert und versuchen es auch zu erreichen. Vergessen Sie nicht, dass wir mit der Mischindexfrage haarscharf an der Referendumsklippe vorbeigefahren sind. Ich will diesem Rat und seiner vorberatenden Kommission, wo im zweiten Umgang dieser Stolperstein beseitigt worden ist, hohe Anerkennung zollen. Wir müssen das in Erinnerung behalten: Dieser Stolperstein lag eine Zeit lang im Wege, und der erste Durchgang in diesem Rat hat diesbezüglich wenig Hoffnungen gelassen.
Wenn man heute hingeht - ich werde mich an der Motionsform etwas reiben - und dem Bundesrat verbindliche Aufträge erteilen will, in diesen 40 Punkten sei es so und so zu machen: Der Motionär, Herr Schweiger, gehört zu den AB 2003 S 1086 / BO 2003 E 1086
Kronjuristen dieses Hauses, hoch geschätzt - zu Recht hoch geschätzt -; er ist immer einer jener, die uns bei Motionsüberweisungen darauf hinweisen: Im Ständeratssinn sind verkleidete Postulate keine Motionen. Wenn ich Herrn Schweiger genau zugehört habe, hat er sehr stark für Überprüfungsaufträge plädiert, für das Vorlegen von Varianten; das ist ein absolut klassischer Prüfungsauftrag. Herr Schweiger ist ja ein sehr kluger Mann. Ich bin fast sicher, er wird nach intensivem Insichgehen dem Bundesrat am Schluss trotz allem zustimmen und sagen: Jawohl, da ist sehr viel zu überprüfen; die Postulatsform ist nach all dem, was ich - so wird Herr Schweiger vielleicht reden - jahrelang in diesem Rat gesagt habe, eigentlich die angemessene Form.
Ich muss Ihnen auch gestehen: Bei diesen ganzen Haushaltsanierungsdiskussionen würde mir die Diskussion viel, viel leichter fallen - und auch das Mitmachen viel leichter fallen -, wenn nicht das Damoklesschwert des Steuerpakets noch über uns schwebte. Frau Leumann hat zwar heute gesagt, wenn dann richtig entschieden werde und die Richtigen siegten, dann trete es so und so in Kraft. Herr Bundesrat Villiger hat gestern eine Prognose bezüglich dieser Volksabstimmung gewagt. Aber machen wir uns nichts vor: Wir haben, das wissen wir allesamt - ich sage "wir", damit ich keine Schuldzuweisungen mache -, bei diesem Steuersenkungspaket übertrieben, tout simplement, nicht nur wegen der Nichtberücksichtigung der Kantonsanliegen, auch sonst.
Jedenfalls gehört in diese Finanzdebatte und Steuerdebatte heute doch die Frage, wie wir oder - ich darf die Frage Ihnen stellen - wie Sie denn Ihre Finanzpolitik unter einen Hut bringen wollen; und ich mag Hüte! Viele von Ihnen, eine Mehrheit von Ihnen möchte Steuersenkungen; alle von uns wollen einen ausgeglichenen Haushalt; die meisten von Ihnen wollen keine zusätzlichen Einnahmen; praktisch alle hier drin wollen weiterhin staatliche Aufgabenerfüllung auf hohem Niveau im bisherigen Rahmen - wie man diese vier Dinge unter einen Hut bringen will, hat mir noch niemand erklärt.
Es gibt dann jene leicht von Schäbigkeit gezeichneten Auswegszenarien, die wir auch teilweise im Entlastungsprogramm beschreiten. Man macht so genannte Verzichtplanungen und sagt, der Bund fahre da sein Engagement etwas zurück, und sagt dann relativ schnell: Ja, da können dann die Kantone ....
Lassen Sie mich diesen Rat an einen gestrigen Detailentscheid erinnern. Es ist nicht weltbewegend, aber es ist illustrativ. Dieser Rat hat gestern einen Entscheid getroffen, ich nenne nicht einmal das Gebiet, denn sonst erhalte ich dann da draussen erneut Prügel. Die Kantone haben gesagt: Bund, du willst da in den Finanzplanzahlen dein Engagement etwas zurücknehmen. Wir Kantone müssen da etwas Haare lassen. Nein, damit sind wir nicht einverstanden. Und dieser Rat hat gestern stante pede mit Mehrheit entschieden: Wir fahren auf dem höheren Niveau. Das ist zu akzeptieren, das ist so beschlossen worden. Ich komme mir ein bisschen blöd vor in diesem Umzug, weil ich zu jenen gehört habe, die bei diesem Entlastungsprogramm 1 versucht haben, es loyal mitzutragen.
Der langen Rede kurzer Sinn in diesem Zwischenkapitel zu dieser ganzen Verschiebung: Wer hier drin Verzichtplanung sagt und meint, man könne Aufgaben beim Bund in die Verzichtsschatulle legen und diese dann in die Kantone spedieren - das finde ich in diesem Bundesstaat sehr problematisch, und davor möchte ich warnen. Denn eine ganze Reihe von Kantonen - der Kanton, den ich hier mit vertreten darf, gehört dazu - sind finanziell nicht in der Lage, grössere neue Aufgaben zu übernehmen, tout simplement. Wir müssen also bei der Verzichtplanung redlich sein und nur dort von Verzichtplanung reden, wo wir tatsächlich überzeugt sind, dass sie sich auch durchsetzen lässt, dass das eben keine öffentliche Aufgabe mehr ist. Die Aufgabenverschiebung ist keine Lösung.
Ein Weiteres: Ich höre das immer wieder, und ich bin ja damit einverstanden, wie übel es ist, seinen Kindern und Enkeln - ich bin inzwischen auch Grossvater geworden und weiss Gott stolz darauf - Schuldenberge zu hinterlassen. Das ist unedel, das ist unfein, und eigentlich will das niemand. Aber wenn wir diesen Diskurs führen und uns in der Frage einig sind, dass man nicht Schuldenberge vererben soll, dann gibt es eben ein zweites Element in diesem Zusammenhang, nämlich die Frage: In welchem Zustand hinterlassen wir denn die Institutionen und Einrichtungen dieses Landes? Es kann der Moment eintreten, wo wir abwägen müssen zwischen dem Vererben von Schuldenbergen oder dem Vererben einer verlotterten Infrastruktur, eines vernachlässigten Bildungswesens, einer vernachlässigten Umweltpolitik, einer Sozialpolitik, die statt zu sozialer Harmonie zu sozialen Konflikten führt, eines Service public, der diesen Namen nicht mehr verdient und nicht mehr akzeptiert wird. Dieses Abwägen gehört ebenfalls in die ganze Diskussion um die Verzichtplanung.
Wobei ich hier gerne einschieben will: Ich habe hohen Respekt vor Herrn Rolf Schweiger, der hier drin - und öffentlich auch - immer Klartext spricht. Ich erinnere mich an ein Votum, das er in einer bestimmten Sache abgegeben hat; er hat damals gesagt: Ich bin wohl nicht mehr lange Präsident dieser Vereinigung - weil er aus Überzeugung genau in die Gegenrichtung gesprochen hat. Das habe ich zu respektieren. Wenn Herr Schweiger von Verzichtplanung spricht, dann meint er einen echten Verzicht. Nur - das ist nicht böse gemeint, Herr Schweiger -: Sie sind vermutlich ein Citoyen, der sich diesen Verzicht letztlich leisten kann, rein individuell gesprochen, während es andere Glieder dieser Gesellschaft, dieses Staates gibt, die eben auf diesen Service der öffentlichen Hand angewiesen sind. Ich sage das in vollem Respekt und will in dieser Frage keinen Streit mit Ihnen. Ich möchte mit Ihnen nur über die Frage "Motion oder Postulat?" streiten.
Es gibt eine weitere Geschichte, die auch nicht im Tabubereich bleiben darf; dazu möchte ich auch gerne etwas hören. Ich weiss, dass Steuererhöhungen, Abgabeerhöhungen unpopulär sind. In meinem Kanton hat eine Volksabstimmung über eine bescheidene Gebührenerhöhung stattgefunden, und prompt hat das Volk, angeleitet durch eine Sparpartei, gesagt: Es gibt keine Gebührenerhöhung - obschon sich das Verursacherprinzip inzwischen herumgesprochen hat. Aber auch die Einnahmenseite darf nicht tabu bleiben. Sie erinnern sich an die vier Punkte, die ich erwähnt habe, die in einem gewissen Widerspruch stehen: Wenn wir die Aufgabenerfüllung - und das möchte ich - auf dem bisherigen Niveau behalten wollen, qualitativ hoch stehend, halt auch etwas teuer, dann müssen wir diese Aufgabenerfüllung auch finanzieren. Da bin ich und war ich immer so redlich, wie das auch Herr Schweiger in seinem Feld ist, vor die Leute hinzutreten und ihnen zu sagen, was die ganzen Leistungen kosten. Jene Schlaumeier - es hat in diesem Saal keine, sie sind anderswo angesiedelt -, die zu den Bauern gehen und ihnen sagen: Man kann Steuern senken, und man kann den Staat "verschlanken" und gleichzeitig die Agrarsubventionen beibehalten - jaja, die gibt es immer, und leider gibt es immer Leichtgläubige, die darauf hereinfallen. Aber die Stunde der Wahrheit folgt dann auf dem Fuss.
Ich möchte Sie bitten, diese Finanzdebatte so ernsthaft zu führen, dass Sie dann wirklich keine Tabus errichten, eben auch auf der Einnahmenseite nicht. Ich möchte Sie dringend bitten, wenn Sie wirklich Handlungsspielraum haben wollen: Geben Sie dem Bundesrat jede Menge, ja Körbe voll Prüfungsaufträge - der Bundesrat wird uns sagen, das meiste sei schon siebenmal geprüft und er könne es nur aus der Schublade ziehen -; das ist in Ordnung, es soll alles geprüft werden. Aber heute verbindlich in einem 40-Punkte-Programm gemäss Motion Schweiger sagen zu wollen, in diesen 40 Punkten müsse es sein .... Ich schliesse mit den Worten: Übermut tut niemals gut. Wir wollen, nachdem wir uns jetzt bei Budget und Entlastungsprogramm 1 einigermassen gefunden haben, die künftige Finanzpolitik nicht mit einer derartigen Hypothek belasten.
Ich plädiere dafür, dass man zugunsten der Postulats-, der Prüfungsform, dem Bundesrat zustimmt.



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