Ständerat: Herbstsession 2004, 30.09.04

Parlamentarische Initiative
Hegetschweiler Rolf.
Ladenöffnungszeiten in Zentren
des öffentlichen Verkehrs

Leuenberger Ernst (S, SO): Ich wäre gerne ein Philosoph geblieben, das heisst, ich hätte gerne geschwiegen, aber zwei Voten fordern mich heraus, doch etwas zu sagen.
Wenn ich genau hingehört habe, hat der Herr Kommissionssprecher ausgeführt, die Kommission sei der Meinung, wenn man gesetzlich den Abschluss eines Gesamtarbeitsvertrages vorschreibe, könnte das zu einer Vetostellung der Arbeitnehmerseite führen. Ich halte diese Aussage in diesem konkreten Bereich, wo wir so nahe bei der Eisenbahn sind, für äusserst problematisch und eigentlich auch für unzutreffend, denn wenn es schon um ein Veto ginge, dann wären beide Seiten in einer Vetosituation. Aber ich habe Ihnen gesagt, ich halte diese Aussage deshalb für sehr problematisch, weil dieses Parlament bei der Bahnreform und bei der PTT-Reform bewusst und en connaissance de cause in die drei respektiven Gesetze die GAV-Pflicht reingeschrieben hat, in das SBB-Gesetz, in das Postorganisationsgesetz, in das entsprechende Gesetz im Fernmeldebereich. Wir haben inzwischen damit die Erfahrung gemacht - und ich bitte den Herrn Bundespräsidenten wirklich, das zu bestätigen -, dass in allen drei Bereichen in zähen Verhandlungen, aber ohne einen einzigen Streiktag, Gesamtarbeitsverträge abgeschlossen worden sind, die von beiden Seiten gelebt und mitgetragen werden.
Ich halte die Aussage bezogen auf den Bahnhofsbereich, es könnte zu missbräuchlicher Verwendung durch die Arbeitnehmer führen, für eine schwer erträgliche Aussage - das muss ich Ihnen ehrlich sagen -; und ich habe es Herrn Lauri schon unter vier Augen gesagt: Wenn der Verwaltungsratspräsident der BLS so etwas sagt, dann plagt mich das und macht mir eigentlich Schmerzen.
Noch abenteuerlicher hat sich Herr David geäussert. Wenn der Herr Bundespräsident bereit ist zu bestätigen, dass das, was Herr David ausgeführt hat, so zutrifft, dass nämlich diese Arbeitnehmer in den Bahnhöfen mit den SBB verhandeln können, dann kann ich mein Votum sofort abschliessen, denn die SBB sind ein anständiger, fairer, korrekter Arbeitgeber und gesprächsbereit. Aber Herr David täuscht sich fundamental. Die Arbeitgeber in den Bahnhofsläden sind nicht die Schweizerischen Bundesbahnen oder die Südostbahn oder die BLS, oder wer auch immer Bahnhofseigentümer ist. Mein Problem, Herr David, war ein anderes. Im Vorfeld dieser Auseinandersetzung habe ich in subtilen, liebevollen Gesprächen mit diesen Bahnhofseigentümern versucht, ihnen zu sagen: Sagen Sie doch dem Parlament, nachdem Sie selber in ihren Urbereichen geordnete Arbeitsbeziehungen pflegen - und ich betone das: geordnete Arbeitsbeziehungen pflegen -, Sie würden auch ihren Mietern, denn diese Ladeninhaber sind Mieter, empfehlen, geordnete Arbeitsbeziehungen zu unterhalten. Die Schweizerischen Bundesbahnen weigern sich standhaft, so etwas zu machen, es sei denn, der Bundesrat würde sie dazu verpflichten. Das wird der Bundesrat, so, wie ich ihn kenne, aber nie tun. Das hat mit seiner Zusammensetzung nichts zu tun, das UVEK ist da um nichts besser als das Volkswirtschaftsdepartement oder andere Departemente.
Ich muss Ihnen, Herr Bundespräsident, eine Geschichte erzählen und bitte für zwei Minuten um volle Aufmerksamkeit. Während des Zweiten Weltkriegs gab es einen freisinnigen Volkswirtschaftsminister, Walther Stampfli, ein Solothurner Freisinniger. Wir hätten gestritten, wenn wir uns begegnet wären. Dann gab es im Kanton Solothurn eine Firma Bally, die Schuhe herstellte, auch Militärschuhe. Der Chef der Firma Bally, Iwan Bally, sass als freisinniger Ständerat in diesem Gremium, wie es sich damals für einen freisinnigen Unternehmer aus Solothurn gehörte. Die Arbeitnehmer der Firma Bally wollten mit dem Herrn Bally einen GAV abschliessen, und der Herr Bally sagte: "Kommt doch nicht infrage, ich regle das alles selber." Da gingen die Gewerkschaften zum Herrn Stampfli, und der war freisinnig und früher Von-Roll-Direktor und Helveter und hatte Schmisse usw. Da sagte der Herr Stampfli: "Wir wollen geordnete Verhältnisse im Kanton Solothurn", liess den Iwan Bally kommen und sagte: "Iwan, wenn du mit diesen Gewerkschaften nicht einen Gesamtarbeitsvertrag abschliesst, kannst du keine Militärschuhe mehr liefern." Bally hatte bis zum letzten Tag einen GAV.
Es gab noch Volkswirtschaftsminister, die sich für geordnete Arbeitsbeziehungen einsetzten. Ich möchte Ihnen dieses freisinnige Beispiel aus dem Kanton Solothurn sehr ans Herz gelegt haben.
Ich komme zum Schluss: Ich bin in einer etwas qualvollen Situation. Ich bin Vizepräsident des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes. Diese Organisation hat bereits präventiv das Referendum gegen diese Vorlage angekündigt. Ich habe mit dem "groupuscule" hier gesagt, wir wollten versuchen, noch eine Brücke zu bauen, um den Gewerkschaften zu sagen, es müsse ja nicht immer sein. Wir sind auf den Text der Minderheit hier gekommen. Ich weiss, es gibt Gewerkschafter, die mich für das, was ich jetzt sage, vierteilen werden - aber das macht mir nichts aus, ich bin breit genug, sodass auch ein Viertel noch etwas hergibt. (Heiterkeit)
Ich bin bereit, mich dafür einzusetzen, dass wir diese Referendumsabstimmung sein lassen, falls Sie dieser Geschichte hier zustimmen. Ich bitte Sie, eines einen Augenblick lang zu bedenken: Haben Sie einen Augenblick lang die kantonalen Resultate bei den Ladenschlussbestimmungen etwas studiert? Ich habe diejenigen des Kantons Solothurn studiert, und ich sage das jetzt meinen Kolleginnen und Kollegen, die der CVP nahe stehen, ganz besonders eindringlich: Im Kanton Solothurn ist die höchste Ablehnung der liberalisierten Ladenöffnungszeiten in jenen Gemeinden und Bezirken erfolgt, die den höchsten Anteil an CVP-Stimmen bringen; meinetwegen kann man dem heilige Allianz oder unheilige Allianz sagen. Aber die Gewerkschaften bauen darauf und rechnen damit - auch in Ihrem Kanton, Herr David -, dass die eher konservativen, ländlichen, gewerblich orientierten Kreise finden, das brauche es jetzt nicht auch noch. Ich bitte Sie, das zu bedenken.
Zudem ist das jetzt, Herr Germann, keine Teufelsbrücke. Das ist ein Brückenbauversuch, hilflos, in letzter Stunde und in fast aussichtsloser Situation, aber wir könnten jetzt einen Beitrag dazu leisten, dieses Referendum zu vermeiden. Lassen Sie mich hier noch einen Schlussseufzer aussprechen: Letztes Mal ist gesagt worden, das sei ja letztlich eine "Lex Shopville". Ich habe es in der eidgenössischen Politik ein bisschen satt, dass jedes Mal, wenn Zürich hüstelt, die Eidgenossenschaft sich in Fieberkrämpfen windet.

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