
Ständerat:
Herbstsession 2005, 29.09.05
Volkssouveränität statt Behördenpropaganda. Initiative
In
der Debatte um die "Maulkorbinitiative" im Ständerat
entbrennt eine Polemik darum, ob denn das Volk immer Recht habe. Ernst
Leuenberger präzisiert die Frage: Hat die Mehrheit in einer Abstimmung
immer und für alle Zeiten Recht? Mit der Zeit ändern auch
die Mehrheiten, Beispiele sind das Frauenstimmrecht und die AHV. Die
Diskussion ist in der Demokratie nach einer Abstimmung nicht beendet.
Leuenberger
Ernst: Ich möchte uns einladen, diese Diskussion nicht ganz so
hitzig zu führen, wie es jetzt den Anschein macht. Wir sollten
uns vielleicht darauf einigen, nicht nur "das Volk hat Recht"
oder "das Volk hat nicht Recht" zu sagen, sondern die Frage
so anzugehen: Hat die Mehrheit, die entschieden hat, immer und in jedem
Fall Recht?
Selbstverständlich - die Frau Bundeskanzlerin hat es deutlich gesagt
- hat das Volk in einer Abstimmung das letzte Wort; das habe ich sehr
genau gehört. Sie hat aber offen gelassen, ob bei diesen Entscheidungen
Menschen, die entschieden haben, sich unter Umständen nicht auch
einmal getäuscht haben könnten. Ich bin mit Kollege Schmid
einig: Es ist nicht die Aufgabe des Bundesrates, am Abend eines Abstimmungstages
mit dem Volk zu schimpfen. Wenn entschieden worden ist, ist entschieden
worden; dann ist eben das letzte Wort für den Moment gesprochen.
Aber ich möchte uns einladen, den Zeitfaktor in Betracht zu ziehen:
Ich erinnere unsere Ständerätinnen beispielsweise daran, dass
das Volk in der Frage des Frauenstimmrechts halt Nein gesagt hat, und
dann haben jene Leute, die diesen Mehrheitsentscheid als gute Demokratinnen
und Demokraten zwar akzeptiert haben, gesagt: Wir arbeiten daran und
kommen dann wieder - nicht gerade bei Philippi, aber wir kommen wieder!
Und als Sozialdemokrat darf ich daran erinnern, dass in der AHV-Frage
ein sehr langer politischer Kampf ausgefochten wurde. Da ist einmal
ein Nein beschlossen worden, und da hatte das Volk tatsächlich
das letzte Wort - dies aber für den Augenblick und nicht für
die Ewigkeit! Das ist, so glaube ich, sehr wichtig. Denn wenn Menschen
sich täuschen können, können auch Ansammlungen von Menschen
und Mehrheiten sich gelegentlich täuschen. Dafür sind sie
nicht zu schelten, aber jede Mehrheit muss akzeptieren, dass sich eine
unterlegene Minderheit überlegt, nach einer angemessenen Trauerfrist
mit dem gleichen Begehren wieder anzutreten. Ich glaube, das gehört
auch zur Demokratie, und das könnte uns einen Ausweg aus dieser
jetzt doch etwas unglücklichen Kontroverse ermöglichen.
Das
ganze Geschäft
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