Ständerat: Herbstsession 2006, 21.03.07

Motion Schiesser Fritz.
Integration als gesellschaftliche und staatliche Kernaufgabe

«Integration ist das Gegenteil von Ausgrenzung.»

Integration ist das pure Gegenteil von Ausgrenzung. Integration tut not - ein Blick in unsere Gesellschaft, in unsere Landschaft genügt. Integration ist kein Tagesproblem. Ich bin 1965 volljährig geworden. Seit ich die politischen Rechte ausüben kann, ist die Ausländerfrage immer wieder eine Frage, die auf das politische Tapet gehoben wird. 1970, Juno, Abstimmung über die Initiative Schwarzenbach, 46 Prozent Zustimmung; damals war die Rede von den "Tschinggen", was man inzwischen glücklicherweise vergessen hat. Seither, im Abstand von wenigen Jahren, ist diese Frage immer wieder auf dem Tapet.
Das Positive vorweg: Es sind in diesen fast vierzig Jahren, in denen ich die politischen Rechte mitausüben darf, gewaltige Integrationsanstrengungen unternommen worden, gewaltige Integrationsleistungen erbracht worden; ich nenne nur einige: Unternehmungen haben sich um Integration bemüht, die Gewerkschaften haben enorme Integrationsleistungen erbracht, kirchliche Kreise haben ganz, ganz gewaltig an dieser Integration mitgewirkt. Ich will es hier fast glücklich feststellen: Das grausliche Schimpfwort von den "Tschinggen" von 1970 ist verschwunden, es ist kein Schimpfwort mehr und wird auch nicht mehr verwendet. Diese Leute heissen inzwischen Italienerinnen und Italiener. Es sind anerkannte, oft sehr integrierte Mitglieder dieser Gesellschaft; dies als Positives vorweg.
Ich habe gesagt, Integration tue not, und habe damit wohl durchblicken lassen, dass ich diese Motion mit voller Überzeugung unterstütze. Ich hoffe, dass sie dieser Rat ebenfalls unterstützt. Eigentlich - wenn man gelegentlich auch in diesem Saal von Zeichensetzen spricht - wäre eine Ablehnung dieser Motion kein gutes Zeichen für die öffentliche Diskussion. Es ist eine öffentliche und private Aufgabe, die hier zu erfüllen ist. Da bin ich mit Herrn Inderkum absolut einig. Im Moment haben wir uns schwergewichtig mit der öffentlichen Aufgabenerfüllung zu beschäftigen.
Ich muss Ihnen gestehen - und das ist eine Kritik auch am Herrn Justizminister -: Mit dem Strafrecht allein kommen wir hier nicht zurande. Selbstverständlich - Herr Schiesser hat es gesagt; ich glaube, Herr Inderkum hat es wiederholt - braucht es klare Regeln. Und es braucht das Strafrecht für jene kleine Minderheit, die diese Regeln verletzt. Aber für das Gros der Beteiligten, die wir einladen möchten, sich hier gesellschaftlich und kulturell zu integrieren, brauchen wir nicht das Strafrecht, sondern Fördermassnahmen. Und wir dürfen auch fordern, da würde ich mich durchaus der Wortwahl des Motionärs anschliessen.
Wenn wir von der öffentlichen Aufgabe sprechen, dann muss ich Ihnen auch klar sagen - und das gehört zur garstigen Seite dieses ganzen Problems -: 1970 galt Hetze gegen Fremde in diesem Land noch als unanständig, 1970 vereinten sich noch alle ernstzunehmenden politischen Kräfte gegen Fremdenhetze und stellten das entsprechende Volksbegehren. Das hat sich inzwischen geändert. Fremdenhetze ist in diesem Land ein politisches Erfolgsrezept geworden - was ich beklagen und bedauern kann. Ich würde mir wünschen, dass der Bundesrat gelegentlich klare Worte braucht in diesem Zusammenhang.
Die Verantwortung der Privaten sei auch angesprochen. Ich habe vorher ausdrücklich die Unternehmungen gerühmt, die Integrationsanstrengungen geleistet und erbracht haben. Aber gleichzeitig hat uns die Wirtschaft seit den Sechzigerjahren auch eine sehr, sehr grosse, zahlenmässig bedeutungsvolle Einwanderung organisiert, und Wirtschaftskreise haben es da und dort in Kauf genommen, dass babylonische Sprachverwirrungsverhältnisse entstanden sind. Man hat sich wenig bemüht: Wenn der nur den Hebel an der Maschine bedienen konnte, reichte das. Man hat sich wenig um Integration bemüht. Ich erhebe die uralte Forderung, dass eigentlich jede Unternehmung, die einen fremdsprachigen Menschen anstellt, die Auflage erhalten müsste, mindestens die Sprachkenntnisse dieser Arbeitnehmerinnen und dieser Arbeitnehmer so auf Vordermann zu bringen, dass sie nicht nur in der Lage sind, ihre Funktion auszuüben, sondern auch in der Lage sind, sich mit der Umwelt einigermassen auseinanderzusetzen.
Wir sprechen ja im neuen Ausländergesetz in Artikel 4 von Integration. Das tönt wie eine programmatische Deklamation. Ich kann mich mit diesen Punkten einverstanden erklären. Ich kann mich insbesondere auch damit einverstanden erklären, dass man die Grundlagen definiert, auf denen diese Integration erfolgen soll. Es heisst hier, und ich zitiere nur das: ".... Ausländerinnen und Ausländern ermöglichen, am wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Leben der Gesellschaft teilzuhaben." Wirtschaftliches Leben, das heisst
AB 2007 S 277 / BO 2007 E 277
Erwerbstätigkeit und Berufsausbildung. Die Berufsausbildung ist als Notwendigkeit erwähnt worden. Und Voraussetzung für berufliche Ausbildung sind natürlich gewisse Sprachkenntnisse oder, moderner gesagt, die schulische Chancengleichheit.
Teilhabe am kulturellen Leben - ich weiss, das ist heikel, und ich würde es besser nicht erwähnen, aber im Ständerat darf man auch heikle Fragen zur Diskussion bringen -: Das kulturelle Leben beinhaltet auch das religiöse Leben. Ich weiss, dass es vielen, auch ernstzunehmenden Leuten Kummer bereitet, wenn sich das religiöse Leben plötzlich etwas über den gewohnten Rahmen ausbreitet und man mit Religionsgemeinschaften konfrontiert wird, die fremd wirken. Ich gebe Ihnen zu: Ich habe noch in der Schule gelernt, Europa sei in Gefahr gewesen, als 1683 die Türken vor Wien gestanden haben; inzwischen sind die Türken in Zürich, in Solothurn, in Olten, in Basel und überall. Aber diese Menschen aus der Türkei sind als arbeitsuchende Menschen zu uns gekommen, haben hier Arbeitsstellen gefunden und sind hier von morgens früh bis abends spät tätig. Wir haben sie nicht a priori als Bedrohung einfach wegzudefinieren wie weiland Prinz Eugen, als man die Türken noch zurückgeschlagen hat.
Ich halte dafür, dass das Zeitalter der Kreuzzüge, das in unseren Erinnerungen offenbar so lebendig geblieben ist, vorbei ist. Das müssen wir uns selber sagen, und wir müssen den einwandernden Menschen anderer Religionszugehörigkeit auch immer wieder etwa die Aufklärung und Lessings "Nathan den Weisen" in Erinnerung rufen: dass wir uns wünschen, dass auch sie nicht Hass predigen, sondern die Werte von "Achtung und Toleranz", wie es im Ausländergesetz heisst, in den Vordergrund stellen.
Ich bin überzeugt davon: Wenn wir grosse Anstrengungen unternehmen - im Sinne jener Anstrengungen, die schon unternommen worden sind -, dann werden wir auch diese Probleme, die sich seit vierzig Jahren bei uns immer wieder melden, meistern. Aber ich bitte heute darum, dass wir dem Bundesrat mit dieser Motion den verbindlichen Auftrag erteilen, die Integration aufgrund dieses programmatischen Artikels des Ausländergesetzes in einem Integrationsgesetz noch näher zu umschreiben und zu regeln, inklusive Aufgabenteilung zwischen den Ebenen. Auch über das Geld wird halt dann irgendwann zu reden sein.
Ich plädiere für die Annahme der Motion.

Reimann Maximilian (V, AG): Ich möchte Sie bitten, hier dem Bundesrat zu folgen und die an sich gutgemeinte Motion abzulehnen. Denn die Begründung, die uns vom Bundesrat vorgelegt worden ist, spricht für sich. Sie hat eben Herrn Inderkum überzeugt, und ebenso überzeugt diese Begründung auch mich.
Es ist schliesslich noch nicht lange her, da haben wir in unserem Rat viel Zeit in die Beratungen des neuen Ausländergesetzes investiert. Es finden sich in diesem Gesetz nun zahlreiche Bestimmungen über die Integration von Ausländern. Ein ganzes Kapitel beispielsweise ist einzig der Integration und ihrer Förderung gewidmet. Das ist, Herr Kollege Leuenberger, nicht bloss programmatische Deklamation, wie Sie gesagt haben, sondern das ist bereits Gesetz. Dieses Gesetz wurde im September 2006 vom Schweizervolk mit deutlicher Mehrheit und von den Kantonen einstimmig angenommen, und es wird voraussichtlich Anfang des nächsten Jahres in Kraft treten.
In der Motion Schiesser wird nun ein Rahmengesetz zur Integration gefordert, und es wird aufgezählt, was alles in ein solches Gesetz hineingehören würde. Wenn ich mir diesen Katalog nun genauer anschaue, so stelle ich in der Tat fest, dass vieles davon bereits im Ausländergesetz geregelt ist: Die Integration wird als staatliche und gesellschaftliche Aufgabe definiert; der Grundsatz "Fördern und fordern" ist verankert; der Bund hat die Möglichkeit, Förderbeiträge an die Kantone auszurichten usw. Die Bestimmungen des Ausländergesetzes zur Integration entsprechen weitgehend dem, was Kollege Schiesser von einem Rahmengesetz fordert. Wie wir zudem der Stellungnahme des Bundesrates entnehmen können, ist die Verwaltung bereits daran, die Umsetzung dieses Gesetzes vorzubereiten und konkrete Massnahmen auszuarbeiten. Ich sehe deshalb nicht ein, weshalb wir in diesem Bereich schon wieder legiferieren und ein neues Rahmengesetz schaffen sollen.
Deshalb beantrage ich Ihnen, diese Motion abzulehnen. Es braucht sie nicht mehr, denn wir befinden uns auf dem richtigen Weg. Ein Gesetz zu schaffen, das es nicht mehr braucht, weil wir daran sind, sollten wir doch tunlichst vermeiden.


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