
Ständerat:
Herbstsession 2006, 19.09.06
Bundesgesetz
über die Neuordnung der Pflegefinanzierung
Ernst Leuenberger
setzt sich für die Sicherung der Kostenübernahme ein. Die
Spitex muss gegenüber der aufwendigeren Pflege im Heim aktiv gefördert
werden.
Leuenberger
Ernst (S, SO): Erlauben Sie mir - ich war in der Kommission für
soziale Sicherheit und Gesundheit ja bloss Stellvertreter -, hier festzuhalten,
dass wir jedes Mal, wenn wir über Gesundheitspolitik diskutieren,
merken: Da geht es um einen 50-Milliarden-Markt, alle wollen teilhaben,
aber wenn's ums Bezahlen geht, dann schiebt man sich gegenseitig den
schwarzen Peter zu, oder was da auch schwarz sein mag. Es wird auch,
weil es ja so grosse Zahlen sind, mit Zahlen operiert, die von der anderen
Seite dann gleich wieder bestritten werden. Und der unabhängige
Schiedsrichter, der da oben sagen würde "Das ist die richtige
Zahl", fehlt uns bei diesem Streit ein wenig.
Nun zur Minderheit, die hier einen Absatz 1bis einfügen will, der
besagt: "Die obligatorische Krankenpflegeversicherung übernimmt
bei einer akuten Krankheit pro Kalenderjahr einmal die Kosten der Pflegeleistungen,
die ambulant durchgeführt werden. Der Bundesrat bestimmt die Dauer
der Kostenübernahme." Sie haben es in Eintretensvoten bereits
gehört: Das ist eigentlich in etwa ein Spitex-Artikel. Es haben
hier Kolleginnen, Kollegen ausgeführt: Sollen wir hier in dem Sinne
legiferieren, dass Spitex plötzlich unerschwinglich wird? Ich darf
Sie darauf aufmerksam machen, dass nicht nur Spitex, sondern auch andere
uns brieflich darauf aufmerksam gemacht haben, dass es hier höchstens
um Mehrkosten von etwa 50 Millionen Franken ginge und dass die Summe
von 300 Millionen, die da herumgeboten wird und auch heute hier bereits
in den Raum gestellt worden ist, eher in das Reich der Fabeln zu verbannen
sei.
Wenn man will, dass auch die Übergangspflege von akut Erkrankten
zu Hause geleistet werden kann, dann muss hier eine Kostenübernahme
gesichert sein. Ich darf Sie aber auch darauf aufmerksam machen, dass
uns auch die Kantone - und das spielt in einer Kammer, die die Kantonsanliegen
besonders gewichtet, eine gewisse Rolle -, vertreten durch die Gesundheitsdirektorenkonferenz,
darauf aufmerksam machen, dass hier eine Regelung zu treffen ist, die
zweckmässig ist. In der entsprechenden Zuschrift heisst es denn
etwa: Spitex sei gegenüber der aufwendigeren Pflege im Heim aktiv
zu fördern; Spitex-Organisationen erbrächten wesentliche Anteile
in der Akutpflege, die eben nicht zusammen mit der Langzeitpflege über
einen Leisten geschlagen werden dürfe; die Pflege müsse wie
die übrigen Akutleistungen vollständig abgegolten werden,
nur so könne der sinnvolle Trend zur früheren Spitalentlassung
und ambulanten Pflege finanziell begleitet werden. Die Gesundheitsdirektoren
fordern deshalb die volle Finanzierung der Spitex-Pflegeleistungen über
die Krankenversicherung.
Es scheint mir wichtig, dass wir uns hier Rechenschaft geben, dass die
von der Kommission vorgeschlagene Lösung nachhaltige und eigentlich
für uns alle unerwünschte Auswirkungen auf das langsam entstandene,
aber zielstrebig geschaffene Spitex-System haben könnte. Ich bin
davon überzeugt, dass nicht alle Auswirkungen überall genügend
gewichtet worden sind.
Ich bitte Sie deshalb dringend, hier der Minderheit zuzustimmen.
Ich habe eine einleitende Vorbemerkung gemacht, ich mache eine abschliessende
Nachbemerkung, etwas boshaft, aber ich kann nicht anders: Ich hatte
in der ständerätlichen Kommission das Gefühl, dass die
Anliegen der Krankenkassen sehr, sehr stark gewichtet wurden und dass
sie in dieser Kommission auch fast überproportional vertreten waren.
Ich möchte Sie dringend ersuchen, in dieser Frage mehr auf die
Kantone zu hören als auf die Krankenkassen, etwa nach der Devise:
Gesundheitspolitik ist eine zu ernsthafte Sache, als dass man sie allein
den Krankenversicherern überlassen könnte.
II
Leuenberger
Ernst (S, SO): Bei Absatz 4 beantragt die Minderheit, es sei gesetzlich
zu fixieren, dass höchstens 20 Prozent der Kosten der Pflegeleistungen
auf die Versicherten, auf die Patienten überwälzt werden könnten.
Selbstverständlich habe ich bisher immer die Kantone zitiert, und
ich will es aus Fairnessgründen auch hier tun. Die Kantone wehren
sich mit Händen und Füssen und, wie sie schreiben, entschieden
gegen diesen Vorschlag. Aber wie dem auch immer sei, ich finde, die
Kommission hat sich zu wenig über dieses Problem gebeugt, dass
man im Krankenbett verarmen kann. Das kann kein sozialpolitisches Ziel
in diesem Lande, in diesem Gesetz sein. Wir brauchen dringend eine entsprechende
Lösung. Es gibt hier ja einen Lösungsansatz, der dann in der
Luft zerrissen wird, und Herr Brändli hat mir angekündigt,
er würde dann glossenartig sagen, der zweite Satz dieses Antrages
würde bedeuten, dass die Krankenkassen nichts mehr bezahlen müssten.
Es geht mir hier aber nicht um Wortklauberei, sondern es geht um die
Frage - ich habe es Ihnen gesagt -: Soll es möglich sein, dass
man in diesem Lande im Krankenbett verarmt? Sie haben die Zahlen, die
da zur Diskussion stehen, auch schon im Eintretensreferat des Herrn
Kollegen Maissen gehört. Die Begrenzung von 20 Prozent ist in Beziehung
zu setzen zu dem, was beispielsweise Spitex sagt, wonach es eine Deckungslücke
von etwa 45 Prozent gebe. Das heisst also, die Minderheit wäre
bereit, rund die Hälfte dieser Lücke den Patienten, den Versicherten
anzulasten und dann zu sagen, dass man aber diese andere ungedeckte
Hälfte nicht auch noch diesen Patientinnen und Patienten anlasten
kann.
Das ist, glaube ich, die ganz grosse Frage, die sich hier stellt. Unabhängig
davon, was hier und jetzt entschieden werden soll und was allenfalls
an juristischen Spitzfindigkeiten von den Krankenkassen-Generalen noch
herausgefunden wird - die Frage muss beantwortet und gelöst werden:
Wie verhindern wir in diesem Land, dass die Leute im Krankenbett verarmen?
Ich bitte Sie, mal der Minderheit zuzustimmen. Wenn es dann wahr sein
sollte, was Juristen vermuten, dann kann der Nationalrat diese Sache
immer noch anschauen. Er wird es ohnedies tun müssen. Ich kann
mir nicht vorstellen, dass sich im Nationalrat Mehrheiten finden lassen
für eine Lösung, die diese Grundfrage unbeantwortet lässt.
Ich bitte Sie, der Minderheit zuzustimmen.
Leuenberger
Ernst (S, SO): Es wird das letzte Mal sein, dass ich mich in dieser
Sache zu Wort melde. Es geht mir bei diesen Übergangsbestimmungen
darum, bei der erstmaligen Festlegung der Beiträge, erneut - ich
betone es, um wider den Stachel zu löcken - die Idee der Vollkosten
in die Diskussion zu bringen. Das ist der wesentliche Unterschied zur
Mehrheit. Ich muss Ihnen gestehen: Ich tue dies umso lustvoller, als
man mir in der Kommission gesagt hat - ich weiss, dass man aus Kommissionsprotokollen
nicht zitieren darf -, wenn man es geschichtlich betrachte, sei die
Vollkostenidee im Gesetz gewesen. Daraufhin seien Preise ausgehandelt
worden, damit man die Rechnung habe abschliessen und Vollkosten feststellen
können, aber - und jetzt kommt es - in vielen Häusern könne
man das immer noch nicht. Da muss ich Ihnen gestehen: Wenn es wirklich
wahr ist, dass man in vielen Häusern die Vollkosten noch nicht
ermitteln kann, dann wird es langsam Zeit, dass man das auch dort machen
kann. Wenn es denn in den Übergangsbestimmungen des Gesetzes stünde,
es sei bei der erstmaligen Beitragsberechnung auf die Vollkosten abzustimmen,
würde das mindestens bedeuten, dass man sie erfassen müsste.
Ich bitte Sie, diese Minderheit zu unterstützen.
Das
ganze Geschäft
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