
Ständerat: Wintersession, 3. Dezember 2003
Motion
Schweiger Rolf.
Strukturreformen aus der Sicht
der Finanzpolitik
Ganze
Dabatte zu diesem Geschäft
Leuenberger
Ernst
(S, SO): Lassen Sie mich Ihnen zurufen:
"Übermut tut niemals gut." Wir sind im Begriff, das Entlastungsprogramm
I zu verabschieden. Ich habe mehrmals auch in diesem Rat betont, dass
wir uns bei diesem Entlastungsprogramm zusammengerauft haben; alle haben
gesagt: Es muss etwas geschehen. Wir haben das Ziel "Haushaltgleichgewicht
in Schritten erreichbar" dort definiert und versuchen es auch zu
erreichen. Vergessen Sie nicht, dass wir mit der Mischindexfrage haarscharf
an der Referendumsklippe vorbeigefahren sind. Ich will diesem Rat und
seiner vorberatenden Kommission, wo im zweiten Umgang dieser Stolperstein
beseitigt worden ist, hohe Anerkennung zollen. Wir müssen das in
Erinnerung behalten: Dieser Stolperstein lag eine Zeit lang im Wege,
und der erste Durchgang in diesem Rat hat diesbezüglich wenig Hoffnungen
gelassen.
Wenn man heute hingeht - ich werde mich an der Motionsform etwas reiben
- und dem Bundesrat verbindliche Aufträge erteilen will, in diesen
40 Punkten sei es so und so zu machen: Der Motionär, Herr Schweiger,
gehört zu den Kronjuristen dieses Hauses, hoch geschätzt -
zu Recht hoch geschätzt -; er ist immer einer jener, die uns bei
Motionsüberweisungen darauf hinweisen: Im Ständeratssinn sind
verkleidete Postulate keine Motionen. Wenn ich Herrn Schweiger genau
zugehört habe, hat er sehr stark für Überprüfungsaufträge
plädiert, für das Vorlegen von Varianten; das ist ein absolut
klassischer Prüfungsauftrag. Herr Schweiger ist ja ein sehr kluger
Mann. Ich bin fast sicher: Er wird nach intensiven Insichgehens dem
Bundesrat am Schluss trotz allem zustimmen und sagen: Jawohl, da ist
sehr viel zu überprüfen; die Postulatsform ist nach all dem,
was ich - so wird Herr Schweiger vielleicht reden - jahrelang in diesem
Rat gesagt habe, eigentlich die angemessene Form.
Ich muss Ihnen auch gestehen: Bei diesen ganzen Haushaltsanierungsdiskussionen
würde mir die Diskussion viel, viel leichter fallen - und auch
das Mitmachen viel leichter fallen -, wenn nicht das Damoklesschwert
des Steuerpakets noch über uns schwebte. Frau Leumann hat zwar
heute gesagt, wenn dann richtig entschieden werde und die Richtigen
siegten, dann trete es so und so in Kraft. Herr Bundesrat Villiger hat
gestern eine Prognose bezüglich dieser Volksabstimmung gewagt.
Aber machen wir uns nichts vor: Wir haben, das wissen wir allesamt -
ich sage "wir", damit ich keine Schuldzuweisungen mache -,
bei diesem Steuersenkungspaket übertrieben, "tout simplement",
nicht nur wegen der Nichtberücksichtigung der Kantonsanliegen,
auch sonst.
Jedenfalls gehört in diese Finanzdebatte und Steuerdebatte
heute doch die Frage, wie wir oder - ich darf die Frage Ihnen stellen
- wie Sie denn Ihre Finanzpolitik unter einen Hut bringen wollen; und
ich mag Hüte. Viele von Ihnen, eine Mehrheit von Ihnen möchte
Steuersenkungen. Alle von uns wollen einen ausgeglichenen Haushalt.
Die meisten von Ihnen wollen keine zusätzlichen Einnahmen. Praktisch
alle hier drin wollen weiterhin staatliche Aufgabenerfüllung auf
hohem Niveau im bisherigen Rahmen. Wie man diese vier Dinge unter einen
Hut bringen will, hat mir noch niemand erklärt.
Es gibt dann jene, leicht von Schäbigkeit gezeichneten, Auswegszenarien,
die wir auch teilweise im Entlastungsprogramm beschreiten. Man macht
so genannte Verzichtsplanungen und sagt, der Bund fahre da sein Engagement
etwas zurück, und sagt dann relativ schnell: Ja, da können
dann die Kantone.
Lassen Sie mich diesen Rat an einen gestrigen Detailentscheid erinnern.
Es ist nicht weltbewegend, aber es ist illustrativ. Dieser Rat hat gestern
einen Entscheid getroffen, ich nenne nicht einmal das Gebiet, denn sonst
erhalte ich dann da draussen erneut Prügel. Die Kantone haben gesagt:
Bund, du willst da in den Finanzplanzahlen dein Engagement etwas zurücknehmen.
Wir Kantone müssen da etwas Haare lassen. Nein, damit sind wir
nicht einverstanden. Und dieser Rat hat gestern stante pede mit Mehrheit
entschieden: Wir fahren auf dem höheren Niveau. Das ist zu akzeptieren,
das ist so beschlossen worden. Ich komme mir ein bisschen blöd
vor in diesem Umzug, weil ich zu jenen gehört habe, die bei diesem
Entlastungspaket I versucht haben, loyal mitzutragen.
Der langen Rede kurzer Sinn in diesem Zwischenkapitel zu dieser ganzen
Verschiebung: Wer hier drin Verzichtsplanung sagt und meint, man könne
Aufgaben beim Bund in die Verzichtsschatulle legen und diese dann in
die Kantone spedieren - das finde ich in diesem Bundesstaat sehr problematisch,
und davor möchte ich warnen. Denn eine ganze Reihe von Kantonen
- der Kanton, den ich hier mit vertreten darf, gehört dazu - sind
finanziell nicht in der Lage, grössere neue Aufgaben zu übernehmen,
tout simplement. Wir müssen also bei der Verzichtsplanung redlich
sein und nur dort von Verzichtsplanung reden, wo wir tatsächlich
überzeugt sind, dass sie sich auch durchsetzen lässt, dass
das eben keine öffentliche Aufgabe mehr ist. Die Aufgabenverschiebung
ist keine Lösung.
Ein Weiteres: Ich höre das immer wieder, und ich bin ja damit einverstanden,
wie übel es ist, seinen Kindern und Enkeln - ich bin inzwischen
auch Grossvater geworden und weiss Gott stolz darauf - Schuldenberge
zu hinterlassen. Das ist unedel, das ist unfein, und eigentlich will
das niemand.
Aber wenn wir diesen Diskurs führen und uns in der Frage
einig sind, dass man nicht Schuldenberge vererben soll, dann gibt es
eben ein zweites Element in diesem Zusammenhang, nämlich die Frage:
In welchem Zustand hinterlassen wir denn die Institutionen und Einrichtungen
dieses Landes? Es kann der Moment eintreten, wo wir abwägen müssen
zwischen dem Vererben von Schuldenbergen oder dem Vererben einer verlotterten
Infrastruktur, eines vernachlässigten Bildungswesens, einer vernachlässigten
Umweltpolitik, einer Sozialpolitik, die statt zu sozialer Harmonie zu
sozialen Konflikten führt, eines Service public, der diesen Namen
nicht mehr verdient und nicht mehr akzeptiert wird. Dieses Abwägen
gehört ebenfalls in die ganze Diskussion um die Verzichtsplanung.
Wobei ich hier gerne einschieben will: Ich habe hohen Respekt vor Herrn
Rolf Schweiger, der hier drin - und öffentlich auch - immer Klartext
spricht. Ich erinnere mich an ein Votum, das er in einer bestimmten
Sache abgegeben hat; er hat damals gesagt: Ich bin wohl nicht mehr lange
Präsident dieser Vereinigung - weil er aus Überzeugung genau
in die Gegenrichtung gesprochen hat. Das habe ich zu respektieren.
Wenn Herr Schweiger von Verzichtsplanung spricht, dann meint er einen
echten Verzicht. Nur - das ist nicht böse gemeint, Herr Schweiger
-: Sie sind vermutlich ein Citoyen, der sich diesen Verzicht letztlich
leisten kann, rein individuell gesprochen, während es andere Glieder
dieser Gesellschaft, dieses Staates gibt, die eben auf diesen Service
der öffentlichen Hand angewiesen sind. Ich sage das in vollem Respekt
und will in dieser Frage keinen Streit mit Ihnen. Ich möchte mit
Ihnen nur über die Frage "Motion oder Postulat?" streiten.
Es gibt eine weitere Geschichte, die auch nicht im Tabubereich bleiben
darf; dazu möchte ich auch gerne etwas hören. Ich weiss, dass
Steuererhöhungen, Abgabeerhöhungen unpopulär sind. In
meinem Kanton hat eine Volksabstimmung über eine bescheidene Gebührenerhöhung
stattgefunden, und prompt hat das Volk, angeleitet durch eine Sparpartei,
gesagt: Es gibt keine Gebührenerhöhung - obschon sich das
Verursacherprinzip inzwischen herumgesprochen hat. Aber auch die Einnahmenseite
darf nicht tabu bleiben. Sie erinnern sich an die vier Punkte, die ich
erwähnt habe, die in einem gewissen Widerspruch stehen: Wenn wir
die Aufgabenerfüllung - und das möchte ich - auf dem bisherigen
Niveau behalten wollen, qualitativ hoch stehend, halt auch etwas teuer,
dann müssen wir diese Aufgabenerfüllung auch finanzieren.
Da bin ich und war ich immer so redlich, wie das auch Herr Schweiger
in seinem Feld ist, vor die Leute hin zu treten und ihnen zu sagen,
was die ganzen Leistungen kosten. Jene Schlaumeier - es hat in diesem
Saal keine, sie sind anderswo angesiedelt -, die zu den Bauern gehen
und ihnen sagen: Man kann Steuern senken, und man kann den Staat verschlanken
und gleichzeitig die Agrarsubventionen beibehalten: Jaja, die gibt es
immer, und leider gibt es immer Leichtgläubige, die darauf hereinfallen.
Aber die Stunde der Wahrheit folgt dann auf dem Fuss.
Ich möchte Sie bitten, diese Finanzdebatte so ernsthaft
zu führen, dass Sie dann wirklich keine Tabus errichten, eben auch
auf der Einnahmenseite nicht. Ich möchte Sie dringend bitten, wenn
Sie wirklich Handlungsspielraum haben wollen: Geben Sie dem Bundesrat
jede Menge, ja Körbe voll Prüfungsaufträge - der Bundesrat
wird uns sagen, das meiste sei schon siebenmal geprüft, und er
könne es nur aus der Schublade ziehen -; das ist in Ordnung, es
soll alles geprüft werden. Aber: Heute verbindlich in einem Vierzigpunkteprogramm
gemäss Motion Schweiger sagen zu wollen, in diesen vierzig Punkten
müsse es sein .... Ich schliesse mit den Worten: Übermut tut
niemals gut. Wir wollen, nachdem wir uns jetzt bei Budget und Entlastungsprogramm
I einigermassen gefunden haben, die künftige Finanzpolitik nicht
mit einer derartigen Hypothek belasten.
Ich plädiere dafür, dass man zugunsten der Postulats-, der
Prüfungsform dem Bundesrat zustimmt.
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