
Ständerat:
Herbstsession 2005, 20.09.05
Bundesgesetz über die Krankenversicherung.
Teilrevision. Spitalfinanzierung
Ernst Leuenberger
möchte ein drohendes Referendum der Kantone abwenden und beantragt,
die Vorlage der Kommission zur Überarbeitung zurückzugeben.
Leuenberger
Ernst (S, SO): Es gab Zeiten, da galten noch die Reglemente, und die
Anträge wurden in der Reihenfolge der Eingabe begründet, aber
das ist nur ein Detail.
Ich habe im Gesundheitswesen keine Interessen zu deklarieren. Ich sage
das deshalb so deutlich, weil wir in der Debatte feststellen werden,
dass die Debatte stark Elemente einer Insiderdiskussion haben wird,
da sehr viele Leute in dieser Sache sehr, sehr sachkundig sind und das
Gros dieses Rates etwas weiter weg von der Materie ist. Ich gebe zu,
ich bin relativ weit weg von dieser Materie, ich habe keine Interessen
zu deklarieren, und ich bitte darum, dass dann die Interessen schön
reglementskonform deklariert werden.
Ich möchte der Kommission für ihre umfangreichen und intensiven
Vorarbeiten danken. Wir wissen es alle: Das Gesundheitswesen gehört
zu den ganz schwierigen Materien, es ist auch ein milliardenschweres
Geschäft, und daraus lässt sich schliessen, dass hier besonders
hart gerungen und gekämpft werden wird. Und nicht der geringste
Vorwurf ist an die Kommission zu machen, sie hätte etwas nicht,
etwas zu wenig intensiv oder etwas falsch gemacht. Einzig und allein
müssen wir uns eingestehen, dass es offenbar nicht gelungen ist,
die Kantone, jedenfalls ihre Regierungen, von der vorgelegten Lösung
zu überzeugen - ein Kollege hat heute früh gesagt: Wer sind
denn eigentlich die Kantone? Das ist eine Frage, die ich mir seit dreissig
Jahren stelle, je nachdem sind es mal die Regierungen, mal die Parlamente,
mal die Kantonsvölker.
Ich möchte festhalten - und die Frau Kommissionspräsidentin
hat das zu Recht unterstrichen -: Eintreten ist nicht bestritten, und
das heisst doch wohl, dass niemand den Handlungsbedarf auf diesem Gebiet
bestreitet. Das ist, glaube ich, eine ganz, ganz wichtige Feststellung,
und auch die "Rückweiser" werden allesamt bekennen, dass
sie den Handlungsbedarf auf diesem Gebiet anerkennen - und sei es nur,
weil da eben ein bundesgerichtliches Urteil eine neue Situation geschaffen
hat.
Im Gesundheitswesen ist der Interessenausgleich besonders schwierig,
weil hier das "Mikadoprinzip" bis zum Gehtnichtmehr gilt:
Wer sich zuerst bewegt, der hat schon verloren. Das wissen alle, und
entsprechend verhalten sich auch alle so; das weiss ich ganz genau.
Auch wenn ich heute dafür plädiere, die Kantone noch stärker
einzubeziehen, weiss ich, dass bei diesem Geschäft selbstverständlich
auch aufseiten der Kantone ein gewisses Beharrungsvermögen zum
Tragen kommt.
Umso mehr - und das gehört immer noch zu den Präliminarien
- bedauere ich, dass wir als Gesamtheit des Ständerates uns eine
grosse Möglichkeit des Dialogs mit den Kantonen einfach haben entgehen
lassen: Es gibt doch die Tradition, dass die Konferenz der Kantonsregierungen
am ersten Sessionstag vor allem mit Ständeratsmitgliedern ein Quartalsgespräch
führt. Zu meinem Erstaunen - und ich werde das nie begreifen -
wurde das Gespräch von gestern Abend abgesagt, mit der Begründung,
es lägen keine Themen vor. Ich weiss nicht, wer da Regie geführt
hat. Jedenfalls ist da eher unbedarft vorgegangen worden. Dieser gestrige
Abend hätte allseits gut getan, indem man sich da irgendwo im Rathauskeller
hätte treffen können und einige Missverständnisse hätte
ausräumen können.
Weil das nicht der Fall gewesen ist, muss in dieser Debatte heute versucht
werden, etwas Klarheit in die Dinge zu bringen. Lassen Sie mich formell
zuerst mein kleines Erstaunen darüber ausdrücken, dass der
Teil Risikoausgleich, den sehr viele, die ich angetroffen habe, als
sehr gut betrachten, just heute nicht zur Debatte steht, sondern noch
aussen vor in einer Vernehmlassung ist. Vielleicht kann mir jemand aus
der Kommission noch coram publico erklären, weshalb man es als
klug erachtet hat, diese beiden Teile zu trennen. Allein das gleichzeitige
Behandeln dieser beiden Teile hätte bei Leuten, die da voller Sorge
sind, einige Erleichterung geschaffen.
Nun muss ich Ihnen sagen: Der Hauptgrund für meinen Antrag liegt
darin, dass ich eigentlich zu jenen gehöre, die denken, Ziel ständerätlicher
Gesetzgebungsarbeit sei es nicht, mutwillig ein Kantonsreferendum zu
provozieren. Das habe ich in sechs Jahren ständerätlicher
Arbeit gelernt. Ich hab's mühsam genug gelernt, denn ich bin ja
kein geborener "Kantonese" - ein Begriff, den Ernst Nobs in
seinen wilden Tagen seinerzeit eingeführt hat. Wenn ich von dieser
Devise ausgehe, muss ich sagen: Das erste öffentliche Signal, das
ich als Zeitungsleser empfangen habe, war eine klare Referendumsdrohung
des Präsidenten der Gesundheitsdirektorenkonferenz in einem Zeitungsinterview,
in dem er sagt: Wenn die Fassung der ständerätlichen Kommission
beschlossen wird, sind wir Kantone dazu gezwungen, das Referendum zu
ergreifen. Das fand dann seine Fortsetzung in verschiedenen Zuschriften,
die wir erhalten haben, und auch in den Direktkontakten vieler von uns
mit der Regierung ihres Kantons jeweils vor der Session.
Ich nehme an, es geht Ihnen wie mir. Wenn ich nur schon diesen Brief
der Konferenz der Kantonsregierungen vom 14. September 2005 zur Hand
nehme, wo mit grobem Geschütz aufgefahren wird! Nicht nur der Leitende
Ausschuss der Konferenz der Kantonsregierungen wendet sich mit diesem
Brief an uns, sondern auch der Vorstand der Gesundheitsdirektorenkonferenz
und der Vorstand der Finanzdirektorenkonferenz, ein nicht ganz unwichtiges
Gremium. In bösen Tagen habe ich gesagt, die Finanzdirektorenkonferenz
sei so etwas wie eine Gegenregierung, und das hat ja vor rund eineinhalb
Jahren eine ziemliche Rolle gespielt.
In diesem Brief vom 14. September lese ich Vorwürfe, die hier und
heute entkräftet werden müssen. So heisst es: "Die Kantone
werden demnach zur Zahlstelle ohne adäquate Einflussmöglichkeiten
auf das Leistungsangebot und die verrechenbaren Kosten." Das ist
ein happiger Vorwurf. Es ist wichtig, dass zu diesem Vorwurf hier Stellung
genommen wird.
Es wird dann festgestellt: "Die Kantonsbeiträge an das Gesundheitswesen
sind gezielte Subventionen, mit denen die Kantone ihrem verfassungsrechtlichen
Auftrag nachkommen, die Gesundheitsversorgung für die gesamte Bevölkerung
sicherzustellen." Hier ist zu klären, ob die Vorlage dieser
Feststellung genügt. Es kommt dann - die Frau Kommissionspräsidentin
hat es angesprochen, und das tönt prima vista eher erstaunlich
- das dritte Zitat aus diesem Brief der Konferenz der Kantonsregierungen:
"Die Kantonsbeiträge dürfen nicht gewinnorientierten
privaten Leistungserbringern zufliessen; deren Bereiche sind lukrativ
und benötigen keinerlei Staatsbeiträge." Das ist ein
Satz, den ich hier in jeder Finanzdebatte zwanzigmal höre; man
soll bloss subsidiär tätig werden und man soll nicht direkt
finanzieren. Ich bitte jene, die mit diesen Sätzen nicht einverstanden
sind, das jetzt nicht mir zu sagen, sondern den Verfassern dieses Briefes
vom 14. September. Ich versuche ja nur, hier sozusagen als Niklaus von
Flüe aufzutreten, damit sich die Kontrahenten irgendwo - nicht
bei Philippi, sondern an einem friedlichen Ort - wieder treffen.
Weiter steht: "Die gezielten kantonalen Subventionen sind zum Ausgleich
der mangelnden Wirtschaftlichkeit im nicht lukrativen Bereich der Grundversicherung
notwendig." Dann kommt die ganze Zahlengeschichte. Die Frau Kommissionspräsidentin
hat das angesprochen und versucht, eine Erklärung zu geben. Aber
da ist einiges noch nicht ausgeräumt. Es geht um den Verteilschlüssel
30/70, vom dem die Kommission aufgrund von Zahlen, die ihr von der Verwaltung
zur Verfügung gestellt wurden, ausgeht.
Da kommt nun die Gesundheitsdirektorenkonferenz mit einem Papier und
sagt: Nach unseren Berechungen sind das nicht 30 Prozent, sondern 21,4
Prozent. Das Plenum des Ständerates ist vielleicht nicht der geeignete
Ort, um diese Prozentrechnung in Ordnung zu bringen. Aber wir müssen
einen Ort suchen, wo diese Zahlen erhärtet werden können.
Dann sollen sie hier in aller Klarheit auf den Tisch des Hauses gelegt
werden.
Noch härter tönt es in einem Schreiben, das ich von meinem
Kanton erhalten habe, wo man keck behauptet, und auch das wird zu verifizieren
oder zu falsifizieren sein: "Mit der vom Ständerat vorgeschlagenen
Finanzierung ist der Mengenausweitung im ambulanten und stationären
Bereich Tür und Tor geöffnet." Das ist eine Formulierung,
die für mich immerhin sehr erstaunlich tönt, und ich nehme
an, dass auch hierzu noch das eine oder andere gesagt werden soll.
Noch zu einem Vorwurf, den ich Ihnen nicht schriftlich belegen kann,
den ich aber mündlich gehört habe in Anwesenheit von mindestens
60 weiteren Zeuginnen und Zeugen, da hat nämlich ein erwachsener
kantonaler Gesundheitsdirektor gesagt: Für uns Kantone sind die
Krankenkassen Blackboxes, da sehen wir überhaupt nicht rein. Wir
haben keine Ahnung, was da drinnen vorgeht. Das ist immerhin als Vorwurf
eine mittelprächtige Ungeheuerlichkeit, die wir so nicht einfach
stehen lassen können.
All diese Gründe bringen mich dazu - und ich tue es als Nichtinsider
schweren Herzens -, Sie zu bitten, heute diese Debatte zu führen,
um auch zu zeigen, dass wir die Einwände von allen Seiten ernst,
sehr ernst nehmen, dann aber doch die Rückweisung an die Kommission
zu beschliessen, damit hier noch eine Ehrenrunde sozusagen, nach allen
vorangegangenen noch ein weitere Versuch unternommen wird, mit den Kantonen
das Gespräch noch einmal, zum x-ten Mal zu führen und eine
Verständigung anzustreben.
Ich halte nach den Ausführungen der Kommissionspräsidentin
fest, dass die Kommission offenbar mit dem mildesten der Rückweisungsanträge,
jenem von Herrn Wicki, einverstanden ist, sodass die Rückweisung
schon so gut wie beschlossen ist, mindestens in dieser Form. Aber nichtsdestotrotz
bitte ich Sie noch einmal, hier und heute eine Debatte zu führen
über diese unerfreuliche Ausgangssituation, mit der wir dieses
Geschäft jetzt in Angriff nehmen.
Ich bitte Sie, der Rückweisung zuzustimmen.
Das
ganze Geschäft
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