
Ständerat: Herbstsession, 17. September 2002
Steuerpaket 2001 Eintretensdebatte;
Votum von Ständerat Ernst Leuenberger
Ganze Debatte zu diesem Geschäft
Ich gestehe, dass ich als Vertreter dieser Minderheit ganz allein bin.
Obschon der Kommissionspräsident gesagt hat, das Gefecht finde
erst bei der Systemwahl statt, denke ich, es lohnt sich, auch hier wenigstens
ein finanzpolitisches Scharmützel auszutragen. Denn eines muss
uns klar sein - es ist so klar, dass man es ständig in Erinnerung
rufen muss:
Alle Steuerpolitik hat letztlich ein Hauptziel, nämlich dem öffentlichen
Gemeinwesen jene Mittel zur Verfügung zu stellen, die es zur Erfüllung
der ihm übertragenen Aufgaben eben braucht. Aus diesem Grundsatz
resultiert ganz einfach Folgendes: Wenn die Gemeinde ein neues Schulhaus
bauen will, aber kein Geld in der Kasse ist, wird sie die Steuern eher
erhöhen müssen; wenn die Kassen überquellen, dann wird
dieses Gemeinwesen die Steuern eben senken können. Das sind die
einfachen "Klein-Hansli-Grundsätze" der Finanzpolitik.
Bevor ich meinen Antrag begründe, will ich der Versöhnlichkeit
halber immerhin anerkennende Worte an die Kommission richten. Ich bin
ausserordentlich beeindruckt davon, mit welcher Intensität die
Kommission nach besseren Lösungen gesucht und dass sie auch versucht
hat, die Finanzbedürfnisse des Bundes zu respektieren. Jedenfalls
zeige ich mich davon beeindruckt, dass eigentlich die ganze Kommission
von Anfang an der Meinung war, dass das gesamte Steuerpaket des Nationalrates
eigentlich zu teuer und mindestens mittelfristig nicht verkraftbar ist.
Ich bin auch beeindruckt vom Umstand, dass die Kommission in ihren Beratungen
sehr lange absolut geschlossen und praktisch einstimmig Projekte verfolgt
hat, die dann leider in der Vernehmlassung von den Kantonen nicht mitgetragen
worden sind. Ich bedaure ausserordentlich, dass sich in der Kommission
in einer relativ späten Phase plötzlich eine Zweiteilung ergeben
hat, die zu den vom Kommissionspräsidenten in Aussicht gestellten
Gefechten führen wird.
Zum zeitlichen Ablauf: Ich gebe auch zu, ich hätte die Debatte
über dieses Steuersenkungspaket liebend gerne in der Wintersession
geführt, am besten parallel zur Budgetdebatte. Denn es hätte
sich dann die ganze Widersprüchlichkeit deutlich gezeigt: Hier
Steuersenkung um Hunderte von Millionen Franken, auf der anderen Seite
beim Budget Ringen und Kämpfen um Beträge von einigen Hunderttausend
Franken, zum Teil in sehr zentralen Belangen. Wir alle wissen, dass
die Budgetdebatten für die Jahre 2004 und 2005 noch erheblich härter
sein werden als jene für das Jahr 2003, wo der Bundesrat nach seinen
eigenen Ausführungen die mittlere Mitte offenbar in etwa gefunden
hat. Das wird aber das Parlament nicht daran hindern, aus allen Fraktionen
- ich betone: aus allen Fraktionen - Erhöhungsanträge zu stellen,
auch aus jenen, die es, glaube ich, in diesem Hause nicht gibt, die
heute eher dafür eintreten werden, dass Steuersenkungen durchaus
verkraftbar seien.
Es ist zudem zu berücksichtigen, dass sich die wirtschaftliche
Lage seit der Auflage dieses Steuerpaketes doch erheblich verändert
hat. Die Konjunkturaussichten sind leider, leider nicht so günstig,
wie wir uns das wünschen. Die Beschäftigungslage zeigt Entwicklungen,
die uns mit Sorge erfüllen. Das wird Auswirkungen auf die Steuereingänge
haben.
Wir alle wissen: Ob es uns gefällt oder nicht, wir werden in den
nächsten Monaten und Jahren höchstwahrscheinlich staatliche
Stützungsmassnahmen ergreifen müssen. Ich hoffe, Sie haben
über das letzte Wochenende den tollen Vorgang in der Bundesrepublik
Deutschland verfolgt. Da hat auf Teufel komm raus Telekom privatisiert
sein müssen, ist privatisiert worden - privat ist gut. Was passiert?
Eine private Telekomfirma hat Probleme. Wo wendet sie sich hin, an den
privaten Kapitalmarkt? Nein, sie landet beim Staat und erhält eine
Bürgschaftszusage von 400 Millionen Euro. Das ist Privatisierungspolitik
in Europa und müsste uns eigentlich zu denken geben.
Auch wir haben einige privatisierte Kunden im Lande, die über kurz
oder lang wieder an der Türe der Bundeskasse anklopfen könnten.
In der Vergangenheit ist das geschehen; Stichworte sind die Swissair-Milliarden,
Stichworte könnten auch die Expo-Millionen sein. Ich habe beide
Male zugestimmt und würde heute erneut zustimmen, obschon bei der
Swissair mit weniger Überzeugung, als ich es damals getan habe.
Wir hatten eigentlich bei diesen ganzen Debatten fünf Eckwerte
zu berücksichtigen.
- Die anzustrebende Gleichbehandlung der Ehepaare mit Konkubinatspaaren
bei der Besteuerung kann man nicht ernst genug nehmen. Das wurde bundesgerichtlich
festgestellt und gefordert, und ich weiss es: Hätten wir eine
Verfassungsgerichtsbarkeit, hätte ein Gericht längst festgehalten,
dass das Steuergesetz sofort geändert werden muss. Es scheint,
dass das kurzfristig aus finanzpolitischen Gründen nicht möglich
ist, es ist aber anzustreben. Ich will hier die Weisung des Präsidenten
kurz übertreten und mich auch zum nachherigen Gefecht ganz kurz
äussern. Ich bin der Meinung, dass man nach dem Prinzip "wenn
schon, dann schon" handeln sollte: Wenn Sie denn schon eintreten
werden, was ja weiss Gott absehbar ist, dann ist es vermutlich erträglicher,
den Weg der Kommissionsmehrheit zu gehen, weil erstens die Einnahmenausfälle
kleiner sind und zweitens ein zukunftsträchtiger Weg ins Auge
gefasst wird, der just dieses Problem der bundesgerichtlich gerügten
Ungleichbehandlung lösen würde.
- Parlament und Volk haben die Schuldenbremse beschlossen; das ist
ein Entscheid, der zu respektieren und umzusetzen ist. Das wird bedeuten,
dass in der ganzen Budgetierung schmerzhafte Eingriffe nötig
werden, und der Herr Bundespräsident hat in seiner Eigenschaft
als Finanzminister es nicht versäumt, auch dieser Kommission,
der WAK, deutlich zu zeigen, dass jede Veränderung an den Einnahmen,
die zusätzlich zu den vom Bundesrat eingesetzten Beträgen
vorgenommen wird, bei der Budgetdebatte zu durchaus schmerzhaften
Eingriffen führen kann. Mit anderen Worten: Staatliche Aufgabenerfüllung
wird in einzelnen Punkten plötzlich in Frage gestellt.
Ich darf Sie auch daran erinnern, dass just die WAK vor nicht allzu
langer Zeit Hearings zur Agrarpolitik durchgeführt hat, und wenn
ich versuche, die Wünsche, die da auf den Tisch gelegt worden
sind, finanzpolitisch etwas zu quantifizieren, dann müsste ich
all jenen, die ein Herz für die Bauern haben, auch empfehlen,
heute eher auf Steuersenkungen zu verzichten, denn das wird eine relativ
teure Geschichte werden.
- Wir haben es also mit staatlicher Aufgabenerfüllung unter
erschwerten finanzpolitischen Bedingungen zu tun. Erhebliche Steuerausfälle
werden offenbar in Kauf genommen. Ich sage dazu, das sei eine Politik
der leeren Kassen, die ich für eine phantasielose Politik halte,
die nicht zukunftsorientiert, die nicht sehr gestaltungsorientiert
und letztlich für die Gemeinschaft schädlich ist. Die Auswirkungen
auf die Kantone bei jeglicher Senkung erstens der direkten Bundessteuer
und zweitens der Regelung über die Steuerharmonisierung sind
vom Kommissionspräsidenten treffend geschildert worden.
Aus der Sicht eines Kantons, der erhebliche Finanzprobleme hat und
mit ihnen kämpft - Solothurn ist damit weiss Gott nicht allein
-, muss ich festhalten, dass der Kantonsanteil an der direkten Bundessteuer
auch in meinen Überlegungen eine gewichtige Rolle spielt. Jede
Reduktion, die wir hier beschliessen, schafft Probleme im Kantonshaushalt.
- Ich habe schon von der Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage
gesprochen. Die Steuereingänge werden sich weniger günstig
entwickeln, als wir uns das an sich wünschen würden. In
diesem Zusammenhang muss ich Ihnen auch ganz klar sagen: Ich bin etwas
erschrocken, als ich las, über Steuersenkungen könne man
die Konsumkraft der Massen stärken. Wenn ich heute unserem Herrn
Kommissionspräsidenten sehr aufmerksam zugehört habe, so
hat er doch auch deutlich gesagt, dass diese Steuersenkungen nicht
für die breiten Massen gedacht sind. Das hat er absolut korrekt
und zutreffend festgestellt.
- Ich habe zur Kenntnis zu nehmen - das kommt in der Politik vor
-: Es sind durch einige bedeutende Parteien dieses Landes politische
Versprechungen in Bezug auf Steuersenkungen gemacht worden. Versprechungen
sind einzulösen, es sei denn, man habe den Mut, den Leuten zu
sagen, die Ausgangsbedingungen hätten sich geändert. In
der Budgetdebatte bin ich als sozialpolitisch Engagierter immer mit
der Frage konfrontiert: Wie willst du das denn bezahlen? Ich habe
diese Frage der Redlichkeit halber klar zu beantworten, ich habe auch
vor die Leute hinzustehen und ihnen zu sagen, was das kostet. Ich
verspreche mir eigentlich von dieser Eintretensdebatte, dass endlich
einmal jemand sagt: Jene, die so gross von Verzichtsplanung sprechen,
sollen klar sagen, auf welche staatlichen Aufgabenerfüllung sie
verzichten wollen. Das kommt immer nur sehr allgemein daher. Ich erinnere
mich an eine Spardebatte im Solothurner Kantonsrat, als immer nur
von Sparen, Sparen gesprochen wurde, bis der Finanzdirektor Willi
Ritschard gefragt hat: Wo wollen Sie denn sparen? Dann ist einer aufgestanden,
der Witzigste von allen, und hat gesagt: bei den Ausgaben! Ich habe
verstanden, dass man bei den Ausgaben sparen muss, aber ich möchte
das ein bisschen präziser haben.
Bei all diesen politischen Versprechungen will ich es uns nicht ersparen,
für einmal die "Neue Zürcher Zeitung" zu zitieren.
Sie hat uns Parlamentarier gestern in einem bemerkenswerten Artikel
- überschrieben "Die Parlamentarier und ihre Widersprüche"
- auf einige unserer Widersprüche aufmerksam gemacht hat. Ich lese
Ihnen einen Satz vor, den ich leicht anpasse. Der Satz richtete sich
in der Zeitung an eine bestimmte politische Gruppe, ich richte ihn nun
an alle Mitglieder des Ständerates; er bleibt immer noch zutreffend:
"Letztlich werden sich aber" - ich sage jetzt "die Ständerätinnen
und Ständeräte" anstelle des Namens der Partei, die im
Artikel genannt wird - "entscheiden müssen zwischen einem
Schnellschuss für den Wahlkampf .... und einer längerfristig
glaubwürdigen Steuer- und Gesellschaftspolitik." Ich muss
sagen, das ist ein beachtenswerter Satz, und ich bin froh, dass auch
die "Neue Zürcher Zeitung" solche Sätze schreibt.
Ich habe Ihnen schon gesagt, was ich in Bezug auf die Steuerentlastungen
für die so genannten mittleren und kleinen Leute denke, wobei sich
über die Mitte auch in der Politik immer streiten lässt. Wo
ist denn die Mitte? Der Kommissionspräsident hat eindrücklich
dargestellt, dass nach gängiger Redeweise in diesem Land Leute
mit einem Jahreseinkommen ab 150 000 Franken schon als Reiche figurieren.
Ich höre gelegentlich, dass das der Mittelstand sein soll.
Wenn ich mir all diese hervorragenden Tabellen zu Gemüte führe,
so stelle ich fest, dass beispielsweise ein Jahreseinkommen von 80 000
Franken eine Einkommenskategorie ist, die in diesem Land bei weitem
nicht von allen Leuten erreicht wird, aber jene, die sie erreichen,
machen insgesamt doch eine recht bedeutende Zahl aus. Wenn ich mir nun
vor Augen halte, wie diese Einkommenskategorie - 80 000 Franken Jahreseinkommen
- von der vorgeschlagenen Steuerreform, in welcher Ausgestaltung auch
immer, profitieren soll, betrifft das Steuerbeträge von 100 bis
300 Franken. Wenn da behauptet wird - ich suche Herrn Bührer, er
hat das nämlich behauptet -, wenn Herr Bührer also behauptet,
man könne die Konjunktur ankurbeln, indem man die Massen steuerlich
entlaste, muss ich ihm sagen, dass mit 100 bis 300 Franken Steuerentlastung,
was Löcher in die Bundeskasse schlägt, keine Konjunkturpolitik
gemacht werden kann. Es ist ein historischer und ökonomischer Irrtum,
so etwas anzunehmen. Damit ist auch schon gesagt, dass die Steuergerechtigkeit
durch diese Reform weiss Gott nicht verbessert wird, sondern bestenfalls
so bleibt, wie sie ist, wenn sie nicht sogar verschlechtert wird.
Weil ja mit diesem Paket auch das Bundesgesetz über die Stempelabgabe
verbunden ist, will ich auch dazu noch ein Wort sagen. Ich nehme zur
Kenntnis, dass es dabei darum geht, das Dringlichkeitsrecht in das ordentliche
Recht zu überführen - mit einer kleinen Nuance: Man hat noch
30 Millionen Franken "draufgebuttert". Ich habe diesem dringlichen
Recht damals faute de mieux zugestimmt.
Ich will hier nur sagen: Mein Nichteintretensantrag betrifft auch diesen
Teil, dies aus folgender, einfacher Überlegung: Ich will hier einmal
mehr klar bekennen, dass ich begriffen habe, dass diese Umsatzabgabe
keine zeitgemässe Abgabe ist. Das habe ich begriffen, und ich bin
auch jederzeit bereit, diesbezüglich zu sagen, dass wir etwas anderes
machen müssen.
Aber es geht nicht an, dass man diese Umsatzabgabe, diese Stempelsteuer,
einfach so ersatzlos streicht. Es braucht eine Kompensation; der Finanzplatz,
der weiss Gott nicht am Hungertuch nagt, soll endlich brauchbare Vorschläge
liefern, wie diese Umsatzabgabe durch etwas Klügeres ersetzt werden
soll, zu dem vor allem der Finanzplatz beiträgt.
Wenn ich vorher an Sie appelliert habe, nicht zu stark in Wahlprogrammen
zu denken, sondern als Staatsfrauen und Staatsmänner, will ich
Ihnen hier bei diesem Stempelsteuergesetz mein Dilemma schildern: Wenn
Herr alt Ständerat Kündig in Zug sein Herz für die Pensionskassen
entdeckt hat und wenn er sagt, es wäre ein Segen für das Land
und für die Arbeitnehmer, wenn man die Pensionskassen von der Stempelsteuer
befreien würde, dann will ich Ihnen hier bekennen, dass ich nicht
zu dieser Minderheit gehöre, die das fordert; weil ich das, was
ich hier bisher erzählt habe, auch meinen Leuten sagen muss: Es
geht jetzt nicht, hier noch zusätzlich auf Kosten der Bundeskasse
eine Steuerentlastung vornehmen zu wollen. Wobei ich Ihnen ganz klar
sage, dass sich natürlich auch in der Pensionskassenwelt einiges
geändert hat, seit wir die dringlichen Beschlüsse erlassen
haben. Und ich werde für diese Sätze, die ich hier jetzt ausgesprochen
habe, landauf, landab Prügel beziehen. Eigentlich möchte ich
Sie damit einladen, auch ein bisschen tapferer an diese Debatte heranzugehen
und "den Zun nit zu wyt zu machen", sondern dafür zu
sorgen, dass noch irgendein paar Franken in der Bundeskasse übrig
bleiben.
Ich erlaube mir abermals hier den Nichteintretensantrag zu stellen.
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