Ständerat: Herbstsession 2006, 06.03.07

Unternehmenssteuerreformgesetz II

Wo bleibt die Steuergerechtigkeit? Ernst Leuenberger mahnt daran, bei der Senkung der Dividendenbesteuerung die Verfassungsmässigkeit ja nicht ausser Acht zu lassen.

Leuenberger Ernst (S, SO): Wir haben die Frage zu beantworten, wie inskünftig in diesem Land von Bundes wegen Dividenden zu besteuern sind. Geltendes Recht sagt, dass Dividenden zu 100 Prozent zu besteuern sind. Der Bundesrat hat uns eine Vorlage unterbreitet und vorgeschlagen, sie zu 80 Prozent zu besteuern; die Kommissionsmehrheit: zu 70 Prozent; die Minderheit: zu 60 Prozent und der Nationalrat hat beschlossen: zu 50 Prozent. Der Herr Kommissionspräsident hat ermahnt und gesagt, man solle Referendumsüberlegungen ausser Acht lassen. Ihr Wunsch in Ehren; nur denke ich bei dieser Diskussion gelegentlich daran, dass es in diesem Land eine Million Rentnerinnen und Rentner gibt, die uns noch nicht verziehen haben, dass wir eines schönen Tages beschlossen haben, ihre Renten nicht mehr zu 80 Prozent zu besteuern, sondern zu 100 Prozent. Ich könnte mir vorstellen, dass das noch gewisse Auswirkungen hat. Ich plädiere für den Vorschlag der Kommissionsmehrheit: zu 70 Prozent. Lieber wären mir die bundesrätlichen 80 Prozent; und ich bekenne offen: angemessen wären meines Erachtens die bisherigen 100 Prozent.
Weshalb ich mich zu Wort gemeldet habe, ist eine andere Geschichte. Wenn der Bundesrat uns eine Gesetzesvorlage unterbreitet, fügt er in seine Botschaft ein Kapitel über die Verfassungsmässigkeit ein. Das ist gut so und auch sehr nötig, weil wir ja kein Verfassungsgericht haben, das die Bundesgesetze auf Verfassungsmässigkeit überprüfen kann. Wir sind also als Parlament, als Gesetzgebende, voll darauf angewiesen, dass uns der Bundesrat klipp und klar sagt, wie sich seine Vorschläge im Rahmen der Verfassungsmässigkeit bewegen. Und in der Tat ist der bundesrätliche Vorschlag in diesem Zusammenhang - auf Seite 4867 der Botschaft - glasklar: "Die mit dieser Botschaft beantragten Änderungen des Rechts der Bundessteuern halten sich im Rahmen der Verfassungsnormen und sind daher verfassungsmässig." Damit ist eigentlich alles klar, damit ist die Voraussetzung geschaffen zu diskutieren. Die Kommissionen, die Räte sind hingegangen, haben die Debatten aufgenommen und der Bundesrat hat bei den Änderungen, welche die Räte beschlossen haben, die Diskussion um die Verfassungsmässigkeit eigentlich nie mehr aufgenommen. Es bedurfte dann eines Verzweiflungsschreis eines Chefbeamten: Ein Vizedirektor der Eidgenössischen Steuerverwaltung hat letzten Herbst in einem öffentlichen Vortrag ganz klar gesagt, dass seines Erachtens die von beiden Kammern des Parlamentes beschlossenen Steuersätze und andere Dinge nicht mehr verfassungsmässig seien.
Das hat, Sie haben es vom Kommissionssprecher gehört, den Bundesrat bewogen, Gutachten in Auftrag zu geben, die dann wegen des zeitlichen Drucks - wir befinden uns ja mitten im Differenzbereinigungsverfahren - als Kurzgutachten unterbreitet wurden. Ich sage Ihnen in diesem Zusammenhang offen: Weil wir in diesem Land keine Verfassungsgerichtsbarkeit auf Bundesebene haben und Mehrheiten der Parlamente sie auch nicht wollen, sind wir darauf angewiesen, dass der Bundesrat und seine Kronjuristen - und etliche der Kronjuristen befinden sich im Bundesamt für Justiz - uns Punkt für Punkt darüber informieren und ins Bild setzen, wie wir uns bei unseren Gesetzgebungsarbeiten in Bezug auf die Verfassungsmässigkeit bewegen.
Für mich ist daher ein Gutachten des Bundesamtes für Justiz ungemein höher zu gewichten als irgendein Gutachten eines noch so angesehenen Rechtsgelehrten aus unserem Land. Und ich habe zur Kenntnis genommen, dass das Bundesamt für Justiz jedenfalls - auch bezüglich der Steuersätze - einige Überlegungen zur Verfassungsmässigkeit angestellt hat.
Der Hauptsinn meines Votums ist daher der - für die Zukunft müssen wir mindestens eine Lehre aus diesem Handel ziehen -: Wenn das Parlament an bundesrätlichen Entwürfen tiefgreifende und wesentliche Änderungen vornimmt, dann ist es an sich Sache des Bundesrates, permanent dafür zu sorgen, dass die parlamentarischen Kommissionen und die beiden Kammern darüber informiert werden, wie es um die Verfassungsmässigkeit steht.
Ich erlaube mir, diese für einige von Ihnen etwas schwierigen politischen Ausführungen hier zu machen, weil ich immer noch davon ausgehe, dass dieser Rat als Chambre de réflexion, als Teil des juristischen Gewissens der Eidgenossenschaft, die Verfassungsmässigkeitsfrage sehr, sehr ernst nimmt. Er will aber nicht nur die Verfassungsmässigkeitsfrage sehr ernst nehmen - und damit komme ich zu meinem Plädoyer für die 70 Prozent, weil ja nichts mehr anderes zur Diskussion steht -, sondern auch die Steuergerechtigkeitsfrage. Die Steuermoral breitester Kreise der Bevölkerung hängt davon ab, dass die Bürgerinnen und Bürger den Eindruck und die Überzeugung haben, was ihnen an Steuern abverlangt werde, sei gerecht und angemessen.
Ich bitte Sie, das in Erwägung zu ziehen, und plädiere für die Mehrheit.


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