
WoZ, Die Wochenzeitung , 30.04.2008
«USA
- raus aus Vietnam»
Erinnerungen
an 1968
«USA
- raus aus Vietnam»Dieser
Kleber findet sich heute noch auf der Fahnenstange, an welcher die rote
Fahne befestigt ist, die wir vor 40 Jahren in
Bern herumgetragen haben. Manchmal denke ich, diese linke Solidarität
mit dem Vietcong und dem Volk von Vietnam, das von der Weltmacht USA
bedrängt, bedroht, bekämpft, vergiftet wurde, trage Züge
von alteidgenössischer Anti-Habsburg-Haltung. Kampf den Invasoren!
Kampf den fremden Vögten!
Diese Anti-USA
-Empörung wegen des Vietnamkrieges hat uns angetrieben. 1996, im
November, fand die erste Vietnam-Demo in Bern statt, organisert vom
neu entstandenen linken forum politicium, als Demo zu Publizität
gekommen, weil die farbentragenden Verbindungsstudenten im Vollwichs
auf dem Münsterplatz auftauchten, um gegen die Demo zu demonstrieren.
Sie gröhlten besoffen "Burschen heraus" und verschwanden
wieder. Aber ihre Aktion hat unserer Demo erst Publizität verschafft.
Die Vietnam-Geschichte hat Bern auch akademisch beschäftigt: Unser
Idol-Professor Urs Jaeggi zeichnete 1966 verantwortlich für eine
Publikation "Der Vietnamkrieg und die Schweizer Presse", in
welcher die nachgewiesen wurde, wie die Schweizer Medien einseitig und
amerikatreu, ja manipulativ über diesen Krieg berichteten. Jaeggi
zahlte für diese Publikation; seine Zeit als Professor in Bern
war abgelaufen. Er unterrichtete nachher in Deutschland. Damals im November
1966 tauchte auch der Slogan "make love, not war" auf. Landeier
wie ich reagierten darauf eher verständnislos.
Dir grosse Berner Vietnam-Demo fand dann am 22. Juni 1968 statt. Auch
dieser Tag ist in die Geschichte eingegangen, weil am Morgen dieses
Tages auf dem ehrwürdigen Berner Münster die Fahnen des Vietcong
flatterte. Todesmutige Kletterer hatten diese dort angebracht. Die Polizei
bekundete einige Mühe, diese wieder zu entfernen. Auf der Ebene
der Slogans war diese Demo sehr radikal: Einige Theologen trugen ein
Transparent mit der Aufschrift:
"
Unsere Neutralität ist eine Schweinerei."
An der gleichen Demo war auch zu lesen: "Wo Throne wanken, helfen
Schweizer Banken". Vordergründig ging es um die Komplizenschaft
der Schweizer Finanzwelt mit internationalen Potentaten. Ueber diese
Zusammenhänge waren wir damals bestens informiert durch unseren
neuen Idol-Professor Jean Ziegler, der seit 1967 als Privatdozent an
der Uni Bern tätig war.
Die Griechen-Demo und der Schweizerhof-Krawall von 1969.
Deutlich war wohl auch unser Einsatz gegen das griechische Obristen-Regime.
Jedenfalls als die Griechen-Botschaft im 1969 im Berner "Schweizerhof"
der Machtübernahme gedenken wollte, haben wir das mit einem Grossaufmarsch
indirekt verhindert. Die Berner Polizei hat den "Schweizerhof"
mit Stacherdrahtverhauen abgeriegelt und damit natürlich auch der
Festgemeinde den Zugang verbarrikadiert. Für mich hatte diese Sache
zwei üble Folgen:
Ich hatte die Demo-Bewilligung eingeholt und dann wieder zurückgebracht,
weil wir nicht einverstanden waren mit der Bedingungen, dass wir für
allfällige Schäden haften sollten. Der Berner Polizeikommandant
hat daraufhin an einer Pressekonferenz behauptet, der Student Leuenberger
hätte Angst gekriegt , weil er militanten Zuzug aus Zürich
befürchtet hätte. Prompt verhaftete die Berner Polizei den
Zürcher PdA-Kantonsrat Franz Rueb. Der Berner Tagi-Korrespondent
Lienhard verbreitete daraufhin die Mär, ich sei der Verräter
und an allem Schuld. Diese These haben ihm seither noch einige Chronisten
abgeschrieben
Die zweite Folge war noch gravierender: ich wurde erst 1989 - also nach
20 Jahren - darüber informiert bei der Fichen-Aufdeckung: gegen
mich lief ein geheimes gerichtspolizeiliches Ermittlungsverfahren wegen
Verstosses gegen die Staatsschutzparagraphen (Umsturz). Telefonkontrolle,
Postkontrolle etc. Das hat mir immerhin Einträge in der Extremistenkartei
der Fichen beschert. Um die Komik der Situation voll zu beleuchten,
sei beigefügt, dass dieses Verfahren 1989 noch nicht abgeschlossen
war.
Erst 1994 hat die vortreffliche Carla del Ponte als Bundesanwältin
eine förmliche Einstellung des Verfahrens verfügt. Ich war
also jahrelang linksaussen als Verräter gebrandmarkt und bei den
Behörden ein linker Revoluzzer
. Item, ich war, bin und bleibe
Sozialdemokrat (seit 1965) und Gewerkschafter. Ich wende mich auch heute
gegen US-Arroganz und Machtgehabe. Ich wende mich auch heute gegen die
Komplizenschaft der Schweizer Hochfinanz mit grausigen Potentaten, woher
sie auch kommen.
Ernst
Leuenberger, geb 1945 in Kräiligen/Bätterkinden/BE, lebt seit
1973 in Solothurn.
ab 1966 Student in Bern
1973-93 Gewerkschaftssekretär beim Solothurner Gewerkschaftsbund
1983-1999 Nationalrat SP, 1997/98 Nationalratspräsident
1993-2005 zuerst Vizepräsident, dann Präsident der Eisenbahnergewerkschaft
SEV
Seit 1999 Ständerat des Kantons Solothurn
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