WOZ, 28.06.01
Sturmwarnung
«Törichte
Jungfrauen ohne Öl»: Auszüge aus der Brandrede von SEV-Chef Ernst Leuenberger
Wir haben
heute Dienstag eine Konferenz mit der Geschäftsleitung SBB platzen lassen.
Warum? Der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte, fiel gestern
ins Fass. Während der ganzen Dauer der Expo 02 gebe es einen Ferienstopp
für Lokomotivführer, verkündeten die SBB via Radio DRS. Nach heftigen
Protesten von Seiten der Gewerkschaft kam das Dementi: Der Ferienstopp
sei eine Fehlmeldung. Heute aber nehmen die SBB in einer Pressemitteilung
erneut Stellung - und zwar so, dass der Verdacht aufkommt, der Ferienstopp
sei eben doch keine Fehlmeldung gewesen. Die SBB haben 10 000 Stellen
abgebaut, einen Viertel des ganzen Personalbestandes. Die SBB haben
reorganisiert und die Reorganisation reorganisiert. Die SBB führten
eine Personal-Divisionalisierung durch. Und plötzlich gab es Berufsleute,
die praktisch nur noch Nachtarbeit leisten mussten. Die SBB nahmen 1996/97
Lohnkürzungen vor. Sie bildeten bis vor kurzem keine Leute mehr aus.
Und sie offerierten einen ausserordentlich schäbigen Lohnabschluss für
das Jahr 2001. Weit schlimmer ist aber: Die SBB haben grobe, fahrlässige
Planungsfehler gemacht. Ich erinnere daran, dass die Expo eigentlich
in diesem Jahr hätte stattfinden sollen. Für alle stand immer fest,
ein Grossteil der Personentransporte würde die Bahn übernehmen. Seit
zehn Jahren wird geplant. Seit fünf Jahren wird über Verkehrskonzepte
diskutiert. Die Expo findet jetzt ein Jahr später statt. Sie sei nur
zu schaffen, wenn das SBB-Personal Sonderanstrengungen vollbringe, sagt
man uns jetzt. Dasselbe beim Fahrplanausbau: Die SBB haben mit dem diesjährigen
Fahrplanwechsel auch das Angebot ausgebaut. Das ist begrüssenswert.
Dieser Fahrplanausbau war seit Jahren bekannt. Und jeder Sekundarschüler
weiss, dass ein Fahrplanausbau mehr Personal fordert. Nur die SBB haben
das offenbar übersehen. Resultat all dieser Massnahmen für einen Imageabbau:
Das Personal ist unzufrieden und wandert ab. Welche Konsequenzen ziehen
die SBB nun aus dieser Situation? So gut wie keine. Die SBB vertrauen
schlicht darauf, dass die Mehrarbeit durch das treue Personal geleistet
wird. Bevor wir mit der SBB-Spitze wieder an den gleichen Tisch sitzen,
soll diese zugeben, dass sie gewaltige Planungsfehler gemacht hat. Ich
möchte das Management auf dem ganz hohen Ross und all die Manager auf
den kleineren Rössern endlich dazu bringen, dass sie auf ihre Leute
hören und mit ihnen Lösungen erarbeiten. Denn die SBB haben ein grosses
Problem. Sie haben es nur noch nicht begriffen. Die SBB-Berufe waren
einst die Traumberufe ein jedes kleinen Jungen im Land. In den letzten
zehn Jahren hat es die SBB-Spitze jedoch geschafft, diese Traumbilder
mutwillig zu zerstören. In den neunziger Jahren redeten die Herren immer
nur von Abbau. Sie verhielten sich so, als hätte ihr Unternehmen keine
Zukunft mehr. Und jetzt, wo wieder Zukunft wäre, führen sich diese Helden
auf wie die törichten Jungfrauen, die das ganze Öl in ihrer Lampe schon
verbrannt haben. Sie klagen: Wir haben kein Öl mehr! So kann das nicht
gehen! Stopp mit dem Personalabbau! Statt Berufsverödung wollen wir
Job-Enrichment, auch über den Lohn!
< zurück zu Übersicht |
|
     |