Zofinger Tagblatt, 02. Oktober 2002

Neuer Finanzausgleich -
na und?

Ständerat: Die Aufgabenteilung von Bund und Kantonen soll neu geregelt werden

«Neugestaltung des Finanzausgleichs» heisst das Reformprojekt, das den Schweizer Föde- ralismus reformieren soll. Ziel ist die Aufgabenentflechtung zwischen Bund und Kantonen. Wer zahlt, soll künftig auch befehlen.

Sybille Oetliker

Es handelt sich zweifellos um eine trockene Materie. Seit Jahren wird darum gerungen, nun liegt die Vorlage beim Ständerat: die Neugestaltung des Finanzausgleichs (NFA). Ein Projekt, an dem schon mehrere Finanzminister gearbeitet haben, nun will Kaspar Villiger das Parlament davon überzeugen. Gestern und heute diskutiert die Kleine Kammer die komplexe Materie. Es geht um nichts anderes als die Neudefinition des Schweizer Föderalismus.

Ziel des NFA ist es, neu festzulegen, für welche Aufgaben der Bund und für welche die Kantone zuständig sein sollen. Statt gebundene Subventionen, zum Beispiel für den Strassenbau zu erteilen, sollen neu Pauschalbeiträge vom Bund an die Kantone fliessen. Diese sollen dann selber entscheiden, wie sie das Geld am besten einsetzen wollen. Das stärkt einerseits die Stellung der Kantone, anderseits sollen die Ausgaben gebremst werden. Bisher fliessen Subventionen zweckgebunden – wer Geld bekommt, muss es also auch ausgeben Das soll sich ändern. Ein Projekt mit Sprengkraft, zumal auch die Umverteilung der Mittel zwischen den Kantonen neu geregelt werden soll. Reiche Kantone werden stärker zur Kasse gebeten.
Die MZ (Mittelland Zeitung) stellte zwei Ständeräten die gleichen Fragen zur Einschätzung des Projekts. Beide stimmen der Vorlage im Prinzip zu – mit mehr oder weniger Begeisterung. Für den Aargauer Thomas Pfisterer (FDP) geht es vor allem um die Stärkung des Föderalismus, für den Solothurner Ernst Leuenberger (SP) um die Klärung der Verantwortlichkeiten von Bund und Kantonen. Beide Kantone gehören zu den «Gewinnern» des NFA, sie bekämen mehr Geld aus dem Finanzausgeich als nach heutigem Recht.


Warum sollen sich Bürgerinnen und Bürger für den neuen Finanzausgleich interessieren?

Ernst Leuenberger: Weil hier festgeschrieben wird, für welche Aufgaben inskünftig die Kantone und für welche der Bund zuständig sein soll. Bürgerinnen und Bürger haben mehr Einfluss auf die kantonalen Verhältnisse als auf die Bundespolitik, sie können über die Verwendung der Gelder mitbestimmen.

Thomas Pfisterer: Mit dem NFA wird es möglich, die Staatsaufgaben effizienter zu erfüllen. Die Kantone bekommen in wichtigen Fragen mehr Spielraum und Bürgerinnen und Bürger können hier, auf kantonaler Ebene, unmittelbarer Einfluss nehmen als beim Bund.

Der Neue Finanzausgleich fördert den Föderalismus und damit die konservativen Kräfte. inverstanden?

Leuenberger: A priori sind die Kantone nicht konservativer als der Bund. Es kann aber tatsächlich zu einer Effizienzsteigerung kommen, wenn die Aufgabenerfüllung in einer Hand liegt. Nehmen wir zum Beispiel den Nationalstrassenbau. Heute zahlt der Bund den grössten Anteil daran, die Kantone nur einen Bruchteil. Das verleitet diese dazu, auf «Deluxe-Varianten» zu bestehen, die oft absurd sind. Sinnvoller ist es, dass der Bund alles bezahlt und dafür auch bestimmt, wie die Strassen gebaut werden. Im Agglomerationsverkehr oder bei Fürsorgeeinrichtungen müssten die Kantone erst beweisen, dass sie die Aufgaben erfüllen können.

Pfisterer: Es ist nicht so, dass der Bund fortschrittlich und die Kantone konservativ sind. Nochmals: Es geht einzig darum, die Aufgabenverteilung klar zu definieren. Der Bund soll zum Beispiel für die AHV und IV zuständig sein; für Werkstätten und Heime für Schulen oder die regionale Infrastruktur hingegen sollen die Kantone allein zuständig sein, denn sie kennen die lokalen Gegebenheiten am besten.

Der NFA hat zur Folge, dass die Unterschiede zwischen den Kantonen verstärkt werden, dass es sozusagen zu einer Mehrklassengesellschaft in der Schweiz kommt. Einverstanden?

Leuenberger: Das Modell weckt tatsächlich solche Befürchtungen.

Pfisterer: Der Spielraum der Kantone bleibt begrenzt. Aber es ist natürlich so, dass die Kantone unterschiedliche Prioritäten setzen werden. Es ist ein politischer Entscheid, ob man Geld dafür einsetzen will, drei Regionalzüge pro Stunde fahren zu lassen oder lieber eine Kantonsstrasse auszubauen.

Gerechter wäre die Realisierung einer Steuer-harmonisierung in der Schweiz. Der NFA verhindert sie. Einverstanden?

Leuenberger: Es ist absurd, dass wir auf der kleinen Fläche der Schweiz in 26 Kantonen und 3000 Gemeinden unterschiedliche Steuersätze haben. Bundesrat und die Kantone aber wollen den Steuerwettbewerb aufrechterhal- ten. Die bürgerlichen Parteien haben den Steuerwettbewerb zum ideologischen Glaubensgrundsatz erhoben. Es wird behauptet, dadurch bleibe die Steuerbelastung gering, was nicht stimmt. Denken Sie an den Kanton Jura; dort zahlen die Menschen etwa dreimal mehr Steuern als in Zug.

Pfisterer: Die Finanzhoheit und damit das Recht, den Steuersatz festzulegen, ist eines der zentralen Elemente des Föderalismus und stützt die Demokratie. Dank dem Steuerwettbewerb sind die Steuern nicht zu hoch. Eine Steuerharmonisierung würde zum Schlend-rian mit Steuermitteln führen.

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