Solothurner Zeitung, 25.2.00 (Interview)

«Mobilität ist kein Naturgesetz»

Ueli Haefeli von der Uni Bern denkt über Alternativen in der Verkehrspolitik nach

Für die Gegner der Verkehrshalbierungs-Initiative ist klar: Der Strassenverkehr wird und soll wachsen, weil die Menschen immer mehr Mobilität verlangen. Doch Ueli Haefeli von der Universität Bern warnt davor, Verkehrswachstum und Mobilität quasi als Naturgesetz zu betrachten.

Giovanni Leardini

Ulrich Giezendanner, Transportunternehmer und Aargauer SVP-Nationalrat, sagte einmal, wer für die Verkehrshalbierung eintrete, sei ein «profilneurotischer Umweltromantiker». Gemeint waren damit die Befürworter der Verkehrshalbierungs-Initiative, die am 12. März zur Abstimmung kommt. «Diese Leute profilieren sich damit, dass sie ins Postkutschenzeitalter zurückwollen», so Giezendanner. Die Initiative verlangt, dass der motorisierte Strassenverkehr - öffentlicher Verkehr ausgeschlossen - innert zehn Jahren halbiert wird. Auf den Solothurner SP-Ständerat Ernst Leuenberger trifft Giezendanners Beschreibung mit Sicherheit nicht zu. Doch Leuenberger ist einer der wenigen, die vor einem Jahr im Parlament ans Rednerpult traten, und sich für die Verkehrshalbierungs-Initiative stark machten: «Würden alle Völker dieser Erde soviel motorisierten Verkehr beanspruchen, wie man das in Westeuropa und auch in der Schweiz tut, auf diesem Erdball wäre Atmen nicht mehr möglich.» Leuenberger erinnerte an die Erdölkrise Anfang der 70er-Jahre, welche «massive Einwirkungen auf die Möbilität» hatte. «Ich würde darum der Gleichung ‹Mobilität gleich Freiheit› einige Fragezeichen nachschicken und fragen: Bestimmen letztlich Ölscheichs über unsere Freiheit?» (s. «Red und Antwort»)

Über Alternativen nachdenken
«Alle Verkehrsexperten in diesem Land denken doch immer nur über die Verdoppelung des Verkehrs nach», so Leuenberger weiter. Nun kämen 108 000 Bürgerinnen und Bürger - die Unterzeichner der Verkehrshalbierungs-Initiative - daher und nähmen sich die Freiheit, darüber nachzudenken, ob man nicht auch einmal die Halbierung des motorisierten Strassenverkehrs verwirklichen könnte. Doch es gibt auch Experten, die über eine alternative Verkehrspolitik nachdenken. Einer von ihnen ist Ueli Haefeli, Oberassistent an der Interfakultären Koordinationsstelle für allgemeine Ökologie (IKAÖ) der Uni Bern. Als Teilnehmer des Nationalfonds-Projekts 41 «Verkehr und Umwelt» arbeitet er im Auftrag des Bundes «Strategien für eine nachhaltige Verkehrspolitik» aus. «In Sachen Nachhaltigkeit wurde in den letzten Jahren doch einiges erreicht. Dabei war ein gewisser Druck der Alpeninitiative sicher entscheidend, aber auch die bilateralen Verträge mit der EU», so Haefeli. Er erinnert an die Annahme der Leistungsabhängigen Schwerverkehrsabgabe (LSVA) und der Finanzierung der grossen Öffentlichen Verkehrsprojekte (Finöv) von Ende 1998.Jetzt auch beim Privatverkehr«Jetzt gilt es aber, ähnliche Schritte beim Privatverkehr zu unternehmen», sagt Haefeli. Das sei allerdings schwieriger, weil mehr Leute - sprich: Automobilisten - direkt betroffen sind. «Ich erwarte deshalb nicht, dass die Verkehrshalbierungs-Initiative angenommen wird. Doch wie sie im Parlament abgehandelt wurde, ist schon fast beschämend», meint Haefeli. In National- und Ständerat wurde das Volksbegehren unter anderem als «Furzidee» oder als «schlechter Scherz» bezeichnet und im Schnellzugtempo abgeschmettert.«Dahinter steckt ein Leitbild, das unsere Verkehrspolitik über Jahrzehnte bestimmt hat: Mehr Verkehr bringt mehr Wohlstand», erklärt Haefeli. Es gebe aber genug Situationen, welche diesem Bild widersprechen, denn viele Leute leiden unter dem Mehrverkehr: «Wer wohnt schon gern an einer stark befahrenen Strasse?» Die Aussage Ulrich Giezendanners, dass «der Verkehr wachsen wird, weil sich die Menschen fortbewegen wollen», lässt Haefeli deshalb nicht gelten: «Es ist falsch, zu sagen, dass Verkehr und Mobilität, quasi wie ein Naturgesetz, halt einfach wachsen. Es gibt kaum einen Prozess, der so klar vom Menschen bestimmt ist. Kein Verkehrsmittel fährt, ohne dass wir ihm ‹befehlen›, es solle fahren.»Im Übrigen wäre Giezendanner ein schlechter Unternehmer, wenn er nach den gleichen Grundsätzen handeln würde, die er in der Verkehrspolitik fordert. «Als Transportunternehmer versucht er, die einzelnen Lastwagen möglichst effizient zu nutzen, denn unnötige Kilometer erhöhen die Kosten», so Haefeli. In diesem Sinne betreibe Giezendanner auch eine nachhaltige Verkehrspolitik. Nun gelte es, das gleiche Prinzip auf den privaten Strassenverkehr umzumünzen.

Man kann niemanden zwingen

Dafür müsse aber «in den Köpfen der Leute etwas passieren», doch zwingen könne man sie nicht. Für Ueli Haefeli hat die Initiative immerhin eines erreicht: Heute wird wieder über alternative Formen des Personenverkehrs gesprochen. «Die meisten Autofahrten liegen im Kurzstreckenbereich, sehr viele davon sogar unter 500 Meter. Es kann doch keine wahnsinnige Einschränkung sein, wenn man diese Strecke zwischendurch zu Fuss oder auf dem Velo zurücklegt», so Haefeli. (Interview dazu)

< zurück zu Übersicht

MedienKontaktGaestebuchArchivLinks