Basler Zeitung vom 30. Juli 1999

In Solothurn treffen sich CVP und SP zum Showdown

Von Urs Mathys

Harte Zeiten für die CVP im Kanton Solothurn: Die SP versucht ihr mit dem populären Ex-Nationalratsvorsitzenden und Eisenbahner-Präsidenten Ernst «Aschi» Leuenberger den Ständeratssitz der zurücktretenden Rosemarie Simmen abzujagen. Zudem hat die gebeutelte Partei auch den Rücktritt von Nationalrätin Ruth Grossenbacher zu verkraften.

Ausgangslage in den Kantonen (4)
Solothurn. Gleich zwei profilierte Solothurner CVP-Politikerinnen treten im Herbst nicht mehr an: Ständerätin Rosemarie Simmen (Solothurn) mag sich nach 12 Amtsjahren nicht mehr zur Wiederwahl stellen, Nationalrätin Ruth Grossenbacher (Niedererlinsbach) hat sich nach zwei Amtsperioden zum gleichen Schritt entschieden.

Die Doppelvakanz, welche die beiden prominenten CVP-Frauen hinterlassen, stellt die CVP auf die Probe, kann sie doch damit weniger vom «Bisherigen»-Bonus profitieren als die anderen Parteien. Doch die CVP-Wahlkampfstrategen hoffen darauf, dass aus dieser Ausgangslage heraus ihre noch immer überaus treuen Stammwähler erst recht mobilisiert werden. Diese Ungewissheit sowie der auf nationaler und kantonaler Ebene feststellbare Krebsgang haben Parteipräsident und Nationalrat Alex Heim jedenfalls zum Aufruf veranlasst, «deutlich Flagge zu zeigen».
Die CVP-Kantonsratsfraktion hat dies in den letzten Monaten mit einem «populären», um nicht zu sagen populistischen Kurs getan. So beispielsweise damit, dass sie sich - im Konzert mit der SVP - gegen eine finanzpolitisch unumgängliche Steuererhöhung stemmte, ohne eine gangbare alternative Strategie zum Abbau der Schuldenlast (Nettoverschuldung über eine Milliarde Franken) vorlegen zu können. In dieser Situation will sich jetzt auch die FDP nicht mehr leisten, als einzige bürgerliche Partei für eine zuvor noch wohl oder übel befürwortete Steuererhöhung einzutreten. Dieses allgemeine Schielen auf die Wählergunst hat zur Folge, dass die Sanierung der Kantonsfinanzen - trotz aller eingleiteten Sparprogramme - in noch weitere Ferne rücken wird.

CVP setzt auf die Karte Frau
Den «Stöckli»-Sitz von Rosemarie Simmen soll Kantonsrätin Anna Mannhart (56) verteidigen. Die Ärztin und Hausfrau aus dem Solothurner Steuerparadies Feldbrunnen präsidiert die CVP-Kantonsratsfraktion. Sie selber ist die Personifizierung des Spagates, den ihre Partei zwischen den angestammten Domänen der Familien- und Sozialpolitik einerseits und dem «neueren» Betätigungsfeld der «Wirtschaftspolitik» anderseits laufend (etwa mit einer separaten Liste «Gewerbe und Wirtschaft» bei den Nationalratswahlen) zu vollziehen versucht. Sowohl der Partei als auch der Kandidatin ist das Kunststück bisher allerdings mehr schlecht als recht gelungen.
Doch nicht nur auf Sukkurs von bürgerlicher - insbesondere freisinniger - Seite hoffen die Christlichdemokraten: Sie setzen mit Anna Mannhart auch ganz gezielt auf die Karte Frau. Die Frauen, die mehr als die Hälfte der Bevölkerung stellen, hätten «ihren Platz und ihren Stellenwert in der Politik» und damit auch weiterhin Anspruch auf den Ständeratssitz, begründet Mannhart selber ihr Antreten «für die CVP, für die Frauen und für den Kanton Solothurn». Dies, nachdem sie noch im vergangenen Oktober eine Kandidatur «zu 95 Prozent» ausgeschlossen hatte.

Schwergewicht Leuenberger
Mannharts direkter Herausforderer ist SP-Kampfkandidat Ernst «Aschi» Leuenberger (54, Solothurn). Der populäre und wortgewaltige Nationalrat und Chef der Eisenbahnergewerkschaft soll versuchen, den vor 12 Jahren an die CVP verlorenen Sitz zurückzuholen. Die SP begründet ihren Anspruch nicht nur mit ihrer Position als zweitstärkste Partei im Kanton, sondern auch mit dem Hinweis auf die krasse Übervertretung der CVP im Ständerat. Leuenberger, der seit 16 Jahren im Nationalrat sitzt und im letzten Jahr mit Bravour als Nationalratspräsident wirkte, kandidiert sicherheitshalber sowohl für den Stände- als auch für den Nationalrat.
Insbesondere das Verhalten der Freisinnigen wird dieses Duell mitentscheiden: Die FDP hat sich für die erste Wahlrunde zum Alleingang mit ihrem für eine dritte Amtsperiode kandidierenden Rolf Büttiker (49, Wolfwil) entschieden und damit die rhetorische Frage der CVP provoziert, ob denn die Freisinnigen wirklich «lieber einen Sozi und Gewerkschafter im Ständerat» haben wollen.
Dass die Freiheitspartei versucht, sich mit der (völlig aussichtslosen) Ständeratskandidatur des früheren Kantonsrates und heutigen FPS-Zentralsekretärs Patrick Eruimy (37, Grenchen) aus ihrer Agonie zu retten, könnte primär eine Konsequenz haben: Dass wohl auch Büttikers kaum gefährdete Wiederwahl erst im zweiten Wahlgang vom 28. November stattfinden dürfte.

Fällt der zweite CVP-Sitz?
Fast 70 Jahre lang galt für die sieben Nationalratssitze die Zauberformel 3 FDP, je 2 SP und CVP. Die Hürde für Sitzverschiebungen ist relativ hoch, zumal für ein Vollmandat immerhin 12,5 Prozent Stimmenanteil nötig sind. Seit 1991 ist allerdings eine gewisse Bewegung angesagt: Damals jagten die Autopartei der FDP und die Grünen der SP je einen Sitz ab. Während die SP das Mandat 1995 wieder zurückholte, konnten die zur Freiheitspartei mutierten Autopolitiker ihr Mandat verteidigen. Inzwischen ist es allerdings samt Inhaber Roland Borer auf «wundersame» Weise bei der SVP gelandet, wo es wohl auch nach den kommenden Wahlen bleiben wird. Mit dem Rücktritt von Ruth Grossenbacher erscheint dagegen primär der zweite CVP-Sitz, ein Restmandat, relativ wacklig. Als potentielle Erben sehen sich angesichts des allgemeinen politischen Trends sowohl die SP als auch die Rechtsbürgerlichen. Bei der SP gilt Roberto Zanetti im Falle eines Sitzgewinns als Favorit (vgl. Kasten).
An den Nationalratswahlen beteiligen sich FDP, SP, CVP, deren Jungparteien Jungliberale, Juso, Junge CVP sowie die Grünen, SVP und die FPS. Dass die Freiheitspartei - wie die SVP und die CVP - gleich mit zwei Listen antritt, kann nicht verbergen, dass diese Partei auch im Kanton Solothurn von der SVP (die hier erst seit 1993 aktiv ist) aufgerieben wird. Dass man an diese inzwischen mehrere Kantonsräte und den einzigen Nationalrat verloren hat, ist dem Verhältnis unter den beiden Rechtsparteien nicht eben förderlich. So ist bis zur Stunde noch offen, ob es zu einer Listenverbindung der beiden Parteien kommt, die im Kantonsrat immerhin eine gemeinsame Fraktion bilden. Die mit der SP eine Listenverbindung planenden Grünen, die lange mit einer - parteiintern allerdings umstrittenen - Gast-Kandidatur des Genfer SP-Nationalrates Jean Ziegler liebäugelten, können sich kaum Chancen für einen eigenen Mandatsgewinn ausrechnen.

< zurück zu Übersicht

MedienKontaktGaestebuchArchivLinks