Neue Zürcher Zeitung, 6. August 1999

National- und Ständeratswahlen vom 24. Oktober 1999

Labile Sitzverteilung im Kanton Solothurn

Günstige Ausgangslage für die SP bei den Ständeratswahlen

Die parteipolitische Verteilung der sieben Solothurner Sitze im Nationalrat und der beiden Ständeratsmandate war während Jahrzehnten stabil. Seit 1987 aber gab es in jeder Wahl mindestens einen Wechsel. Nun will die SP den vor zwölf Jahren an die CVP verlorenen Sitz im Ständerat zurückholen; sie peilt zudem ein drittes Nationalratsmandat an. Dieses Ziel haben auch die FdP und die Jungliberalen. Durch Parteiwechsel zu einer Vertretung im Nationalrat kam die SVP, während die bisher «verschonte» CVP doppelt bedrängt wird.

kfr. Solothurn, 5. August

In 17 Wahlgängen, von 1922 bis 1987, erfuhr die Verteilung der sieben Solothurner Nationalratsmandate keine Änderung. Drei Sitze gingen jeweils an die Freisinnig-demokratische Partei (FdP; sie schreibt sich hier mit einem kleinen d), je zwei an die Christlichdemokratische Volkspartei (CVP) und an die Sozialdemokratische Partei (SP). 1991 verlor die FdP ein Mandat an die Autopartei und die SP eines an die Grünen. 1995 kam es erneut zu einem Wechsel; die SP holte den zweiten Sitz zurück. Während 44 Jahren, zwischen 1943 und 1987, teilten sich zudem FdP und SP in die Ständeratsdeputation. Vor 12 Jahren musste die SP ihren Sitz an die CVP abtreten. Die bürgerliche Standesvertretung überstand auch die folgenden Wahlen, obwohl die SP und die Grünen (und einmal die Autopartei) mit Kampfkandidaturen antraten.

Die SVP als Erbin von AP und FPS

Es war nicht die Schweizerische Volkspartei (SVP), welche für neue Verhältnisse sorgte; sie wurde erst 1991 zu neuem Leben erweckt und ging auf kantonaler Ebene bis 1997 leer aus. Die Erweiterung des parteipolitischen Spektrums geht auf den Einzug der Grünen (1985) und der Autopartei (1989) in den Kantonsrat zurück. Fast alle Vertreter der SVP sitzen für die dritte Partei in den Räten. Sie fingen bei der Autopartei an; später wurde die Freiheitspartei zur neuen Heimat. Mittlerweile kann die SVP den ersten Nationalrat «vorweisen», Roland Borer, den ehemaligen Präsidenten der FPS; dazu kommen - nach 3 Übertritten seit den Wahlen - 10 Kantonsräte (von 144) sowie 30 Gemeinderäte (von rund 1100 im ganzen Kanton).

Die um markige Worte nie verlegene Solothurner SVP richtet ihren Kompass nach Zürich aus; deshalb hat sie für den «linken» Kurs der Berner Schwesterpartei nichts übrig (wie ihr Präsident an einem schweizerischen Parteitag ausführte). Sie versteht sich als «ordnungspolitisches Gewissen», weil sich noch immer zu viele Schmarotzer am finanziellen Honigtopf des Kantons vergnügten. Für die Schuldenlast - sie ist auch (doch nicht ausschliesslich) eine Folge des Kantonalbankdebakels - kann man zwar die «historischen» Parteien zur Verantwortung ziehen. Die Wählenden haben aber weder bei den letzten Nationalratswahlen noch bei den kantonalen Gesamterneuerungswahlen von 1997 zu erkennen gegeben, dass sie von der SVP einen entscheidenden Beitrag für eine bessere Zukunft des Kantons erwarten. 1995 erreichte sie einen Anteil von 6,7 (FPS 10,5) Prozent, zwei Jahre später einen solchen von 6,9 (FPS 4,2) Prozent.

Ein «Wackelmandat» der CVP

Sechs der sieben Solothurner Nationalratssitze scheinen drei Monate vor den Wahlen in festen Händen zu sein. Die FdP, die 1995 einen Absturz auf 25,3 Prozent hinnehmen musste (jedoch bei den Kantonsratswahlen wieder auf 33,9 Prozent kam), tritt erneut mit Rudolf Steiner und Peter Kofmel an. Sie hat ihre Liste mit jener der frisch und unabhängig auftretenden Jungliberalen verbunden, welche am ehesten die entscheidenden Stimmen für ein drittes Mandat liefern könnten. Das gleiche Ziel genügt der SP (1995: 24,1; 1997: 27,1 Prozent) nicht. Sie setzt auf die Bisherigen Ernst Leuenberger und Boris Banga und will im Verbund mit den Jungsozialisten stärkste Partei im Kanton werden.

Mit zwei Listen tritt auch die SVP an. Borer dürfte das ursprünglich für die AP eroberte Mandat verteidigen, doch liegt ein zweiter Sitz wegen der besonderen Solothurner Verhältnisse kaum drin. Die SVP findet hier nämlich einen härteren Boden vor, als ihr lieb ist, und es gibt keine Zusammenarbeit mit einer der anderen bürgerlichen Parteien - namentlich die FdP ging immer auf Distanz. Sogar die auf kümmerliche Reste geschrumpfte FPS zögert mit einer Listenverbindung; dort ist man über den Parteiwechsel des ehemaligen Chefs verärgert.

Die Blicke dieser Parteien richten sich deshalb auf die CVP. Sie verzeichnet nach dem Rückzug von Ruth Grossenbacher die einzige Vakanz in der Nationalratsdeputation. Der im Verlaufe der Amtsperiode nachgerutschte Roland Heim ist Anwärter auf den sicheren Sitz. Der zweite hingegen war 1995 ein wackeliges Restmandat, das von der SP knapp verfehlt wurde, und der Wähleranteil stagniert (1995: 21,4; 1997: 22,2 Prozent). Die CVP begegnet dieser ungünstigen Ausgangslage mit zwei respektablen Listen, und es wäre nicht das erste Mal, wenn sie im Gerangel um ein umstrittenes Mandat die Nase vorn hätte. Mit den Grünen und den Jungparteien könnten letztlich ein Dutzend Listen mit rund 80 Kandidierenden für den Nationalrat vorliegen - so viele wie noch nie im Kanton Solothurn.

Vier Bewerbungen für den Ständerat

An Zahl bescheiden, aber nicht weniger brisant, ist das Angebot für die Ständeratswahlen, und es ist kaum anzunehmen, dass die beiden Sitze im ersten Wahlgang vergeben werden. Die FdP hat sich für den Alleingang entschieden; sie schlägt Rolf Büttiker für eine dritte Amtsperiode vor. Unter Druck gerät auch hier die CVP, denn Rosemarie Simmen verzichtet auf eine Wiederwahl. Sie hatte 1987 einen Sitz erobert, den während Jahrzehnten die SP innehatte; das entsprach den damaligen Kräfteverhältnissen. Diese haben sich inzwischen aber wieder zugunsten der SP verschoben, und die Kandidatin der CVP, Kantonsrätin Anna Mannhart, sieht sich von einem politischen Schwergewicht bedrängt, von Nationalrat Ernst Leuenberger. Als Kandidatur von rechts kommt jene des früheren Kantonsrates Patrick Eruimy hinzu. Er hat nicht nur erfolglose Bewerbungen in Majorzwahlen hinter sich, sondern ist auch den Posten eines Generalsekretärs der FPS, den er im November 1998 angetreten hatte, bereits wieder los. Wie inzwischen bekannt wurde, ist sein Mandat Ende Mai aus Geldmangel still und leise «ausgelaufen» . . .

Mit einer Doppelkandidatur für den Nationalrat, dem Leuenberger seit 1983 angehört, und für den Ständerat nutzt die SP ihre Chance; sie ist jedenfalls grösser als bei früheren Anläufen, denn 1991 und 1995 misslang die Rückeroberung des Sitzes in der kleinen Kammer deutlich. Wie stark die persönliche Qualifikation des SP-Kandidaten durchschlägt, ist offen. In Majorzwahlen musste seine Partei schon mehrfach zur Kenntnis nehmen, dass es schwerhält, Stimmen im «anderen» Lager zu holen. In Proporzwahlen kommen die Solothurner bürgerlichen Kräfte in der Regel auf eine solide Mehrheit von zwei Dritteln.

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