Verabschiedung von Bundesrat Jean-Pascal Delamuraz,
11. März 1998

Ernst Leuenberger, Nationalratspräsident

Es fällt mir die Ehre zu, Ihr Wirken kurz zu würdigen.

Herr Bundesrat Delamuraz wurde am 7. Dezember 1983 im ersten Wahlgang mit 130 Stimmen in den Bundesrat gewählt. Am Tag darauf hat der Waadtländer Schriftsteller Jacques Chessex folgendes geschrieben: Jean-Pascal Delamuraz hat Format, Temperament, er ist eine äusserst starke Persönlichkeit. Solche Naturen trifft man in der Schweiz nur allzu selten in den Regierungsstellen. Im Waadtland scheut man alles, was hervorsticht, man fürchtet, was vor Energie strotzt, misstraut den wendigen, überlegenen Geistern und überhaupt den geborenen Rednern, den Politikern, die nicht nur ihr Wort, sondern auch ihren Intellekt ins Spiel bringen. All diese Gaben finden sich, brillant und ausgeprägt, bei Jean-Pascal Delamuraz. Und er ist ein beherzter Mann, der allen Widersachern und Widrigkeiten zu trotzen vermag. Soweit Jacques Chessex.

Wie zutreffend dieses schöne Porträt ist, das ist diesem Parlament in den letzten vierzehn Jahren immer wieder vor Augen geführt worden, in den vierzehn Jahren, während derer Jean-Pascal Delamuraz als Bundesrat wirkte - zuerst drei Jahre im damaligen Militärdepartement, dann elf Jahre im Volkswirtschaftsdepartement.

Jean-Pascal Delamuraz soll einmal gesagt haben, sein Vorbild sei Leonardo da Vinci. Das Schicksal allerdings hatte anderes vor mit ihm. Er - selbst Sohn eines Syndic - war zu einer politischen Laufbahn ausersehen. Seinen ersten öffentlichen politischen Kampf trug er bereits während seiner Hochschulzeit aus, als er sich in einer Streitschrift für das Recht auf Stipendien einsetzte. Von 1961 bis 1964 stürzte er sich sodann als stellvertretender Verwaltungsdirektor in das Abenteuer der Expo in Lausanne, welche unter dem Motto Erkennen und schaffen für die Schweiz von morgen stand. Nachdem die Tinguely-Maschine und der Mesoskaph unter Dach und Fach waren, arbeitete er von 1965 bis 1970 für die Waadtländer Radikalen als deren Generalsekretär. Nach kurzer Zeit im Lausanner Stadtparlament wurde er bereits 1970 in die Stadtregierung und 1974 zum Stadtpräsidenten von Lausanne gewählt. Bereits 1975 finden wir diesen echten Vollblutpolitiker im Nationalrat. 1981 eroberte er in einer Kampfwahl einen Waadtländer Staatsratssitz. Nach nur zwei Jahren im Château Saint-Maire - wo er das Landwirtschafts- und Gewerbedepartement geleitet hatte - wurde er, wie gesagt, im Dezember 1983 sozusagen selbstverständlich in den Bundesrat gewählt.

Herr Bundesrat, als neugewählter Nationalrat forderten Sie in einem Postulat, es sei im Jahre 1991 anlässlich der 700-Jahr-Feier der Eidgenossenschaft eine Landesausstellung zu organisieren. Ihr Wunsch ging nicht in Erfüllung. Die Expo wird erst im Jahre 2001 stattfinden, sozusagen mit zehn Jahren Verspätung, was durchaus helvetischen Normen entspricht. Immerhin würden Sie beifügen - launig, wie Sie sein können -, damit habe jetzt Pipilotti Rist Gelegenheit, ans Werk zu gehen, was früher nicht der Fall gewesen wäre.

In guter Erinnerung in diesen Häusern ist Ihr Postulat über die sprachlichen Minderheiten in der Bundesverwaltung geblieben; Eindruck gemacht hat Ihr Präsidium der Geschäftsprüfungskommission im Jahre 1981, als Sie in dieser Eigenschaft schwierige Inspektionen durchzuführen hatten - Stichwort etwa: Oberst Bachmann und sein Handeln.

Als Sie nach Ihrer Wahl in den Bundesrat im Dezember 1983 in Lausanne empfangen wurden, würdigte der damalige Waadtländer Staatsratspräsident Leuba Sie auf eine Weise, die sowohl Ihrer Lebensfreude wie auch Ihren legitimen Ambitionen gerecht wurde. Er wunderte sich insbesondere über Ihre Fähigkeit, sich an den Namen jedes einzelnen aus der ganzen Heerschar zu erinnern, mit dem Sie einmal auf das Du angestossen hatten. Diese Heerschar hat sich inzwischen mindestens verdoppelt, und auch der Grossteil der Mitglieder der heutigen Bundesversammlung gehört zu jenen, welche von Ihnen mit dieser Geste der Freundschaft und Geselligkeit, die alle sprachlichen und politischen Gräben überwinden hilft, geehrt worden sind.

Als Bundesrat verdiente Kapitän Delamuraz seine ersten Sporen im EMD ab. Es soll damals gesagt worden sein: Wenigstens ist er kein Preusse, was für die Popularität der Armee nur von Vorteil sein kann. Er lancierte so wichtige Vorlagen wie die Entkriminalisierung der Dienstverweigerung oder die umstrittene Beschaffung des neuen Kampfpanzers Leopard, für den er eine Kostenreduktion von gewiss einer halben Milliarde Franken herausgeholt hatte. Er widmete auch den Truppenbesuchen und der Kontaktpflege mit den Dienstleistenden viel Zeit und Energie.

Sein magistrales Potential voll ausschöpfen konnte Herr Delamuraz dann nach seinem Wechsel in das Eidgenössische Volkswirtschaftsdepartement. Er war nun zugleich Arbeits- und Konjunkturminister, Landwirtschaftsminister, Binnen- und Aussenhandelsminister, Wohn- und Weinbauminister und ein wenig auch noch Minister der Handelsmarine.

Tiefe Spuren hat das Wirken von Herrn Bundesrat Delamuraz sicher in der Aussenhandelspolitik hinterlassen. Dank seiner Ausdauer als Wirtschaftsminister erlebte er die Uruguay-Runde von Anfang an bis zum Abschluss des Übereinkommens von Marrakesch, als sich die Schweiz mit ihrem Beitritt zur Welthandelsorganisation WTO in das Weltwirtschaftssystem integrierte. Er brachte den WTO-Beitritt ohne Referendum über die Runde. Selbst wenn es eine Volksabstimmung gegeben hätte, er hätte sie nicht zu fürchten brauchen, er hätte sie nämlich eh gewonnen.

Allerdings musste er Teile der Schweizer Wirtschaft erst davon überzeugen, sich dem Wettbewerb zu stellen und die Kartellschranken und Handelshindernisse aus dem Weg zu räumen - eine schwierige Aufgabe, weil es um die Wurst ging, wie man deutsch so schön sagt. Doch mit dem Kartellgesetz, dem Binnenmarktgesetz und dem Gesetz über technische Handelshemmnisse wurden die Rahmenbedingungen der Schweizer Wirtschaft verbessert.

Schwierige Aufgaben hatte Herr Bundesrat Delamuraz im Agrarbereich zu lösen. Die Befreiung aus dem kriegswirtschaftlichen Korsett und die Annäherung an Markt und Ökologie waren und sind für die Landwirtschaft mit schmerzlichen Anpassungen verbunden. Doch es kam den Bauern zugute, dass das Eidgenössische Volkswirtschaftsdepartement von einem Mann geführt wurde, der die Anliegen der Bauern verstand. Bundesrat Delamuraz war immer bemüht, den scharfen Wind, der den Bauern aus dem Ausland entgegenwehte, mit geeigneten Massnahmen etwas aufzuhalten.

In der Wirtschaftsförderung wurde die Priorität auf Bildung und Forschung gesetzt, einen zentralen Bereich für die Zukunft der Jugend dieses Landes.

Ihrer ausgeprägten Dialogbereitschaft, Herr Bundesrat Delamuraz, ist es zu verdanken, dass die Sozialpartner dieses Landes einen Arbeitsgesetzkompromiss ausgearbeitet hatten, den Sie hier vor dem Parlament mutig, ja hartnäckig verfochten haben. Sie sind der Kompromisslinie und Ihrer eigenen Linie treu geblieben, selbst gegen Widerstände in der Reihe Ihrer politischen Freunde. Das Volk und inzwischen auch das Parlament, das ja die Vorlage jetzt bereinigt hat, haben Ihnen recht gegeben.

Sie haben das Programm zur Revitalisierung der Wirtschaft angeregt, das Investitionskredite von über einer halben Milliarde Franken vorsah. Ein stetes Anliegen war Ihnen auch die Bekämpfung der Geissel der Arbeitslosigkeit.

Die grösste Herausforderung für Herrn Bundesrat Delamuraz waren sicher die Schritte zur Annäherung an Europa. Als Bundespräsident richtete er im Jahre 1989 folgende Worte an das Europäische Parlament in Strassburg: Das europäische Einigungswerk, das mit Hoffnungen, Träumen und Risiken verbunden ist, bleibt eine komplexe Aufgabe, die faszinierend und einmalig in der Geschichte ist. Aber gerade dieses Unternehmen hat die Europäer zunehmend davon überzeugt, dass die heutigen Herausforderungen uns immer mehr gebieten, solidarisch an die Lösung von Aufgaben heranzugehen, die sich nicht im Alleingang bewältigen lassen. Und am Schluss dieser bedeutenden Rede erklärte Herr Delamuraz: Die europäische Einigung ist eine grosse Aufgabe. Es geht darum, ein Erbe unserer Zivilisation weiterzugeben, das wir seit Jahrhunderten mit uns tragen. Dieses Erbe hat einen Namen: Es heisst Freiheit.

Mit der Abstimmungsniederlage vom 6. Dezember 1992 - schmerzhaft genug, und Sie haben deutlich gesagt, was Sie davon hielten - war zwar eine Schlacht verloren, aber nicht der ganze Kampf. Die Debatte war und ist für Sie nicht beendet, Sie waren und sind der Meinung, dass mit einem Nein noch nie ein Problem gelöst worden ist. Die Saat, die Sie gesät haben, wird mit Sicherheit aufgehen. Erinnern wir uns hier an ein von Ihnen gerne zitiertes Wort von Jean Monnet: Europa aufbauen heisst nicht Staaten aneinanderfügen, sondern Menschen miteinander verbinden.

In der Welt von heute und in einem Land, das einen von zwei Franken im Handel mit dem Ausland verdient, muss ein Staatsmann weltweite Kontakte pflegen. Sie haben sich zum grossen Nutzen für unser Land mit vielen Persönlichkeiten der Zeitgeschichte getroffen. Ich zähle sie nicht alle auf, es könnte sonst wie ein Lexikon ausschauen. Ich stelle bloss fest, dass alle diese ausländischen Staatsleute Sie stets als einen führenden Vertreter der weltoffenen Schweiz akzeptiert und geschätzt haben. Herr Bundesrat Delamuraz, lieber Jean-Pascal, ein guter Bundesrat hat die Menschen gern. Die Schweizerinnen und Schweizer haben Ihre Zuneigung gespürt und reich erwidert. Ihr einzigartiger Umgang mit den Mitmenschen bleibt beispielhaft, und wer am 17. Januar dieses Jahres in Aarau den warmen Empfang erlebt hat, den Ihnen die Aarauer Bevölkerung bereitet hat, hat begriffen, wie gern Sie die Menschen in allen Landesteilen haben.

Sie haben immer auch an die benachteiligten Mitbürgerinnen und Mitbürger gedacht. Glauben Sie uns, Herr Bundesrat, wir haben Ihren Rücktritt nur schweren Herzens zur Kenntnis genommen. Ihr Weggang aus dem Bundesrat bewegt uns alle sehr. Sie legen Ihr Amt unter Umständen nieder, die wir uns alle anders gewünscht hätten. Im Namen des Schweizervolkes und der Stände und ihrer hier versammelten Vertreterinnen und Vertreter danke ich Ihnen von ganzem Herzen für die Arbeit, die Sie unermüdlich für unser Land geleistet haben. Sie haben Ihr Bestes gegeben für Ihre Stadt Lausanne, für Ihren Kanton Waadt, für Ihre Schweizerische Eidgenossenschaft. Wir haben Sie schätzengelernt als einen grossen Staatsdiener, wir haben Sie immer herzlich, offen und humorvoll erlebt, sei es im persönlichen oder im formelleren Umgang. Im Bundesrat, so sagt man uns, hätten Sie stets einen ausgeprägten Sinn für Kollegialität an den Tag gelegt, Sie hätten wesentlich zur Arbeit der Regierung beigetragen und im übrigen das politische Leben bereichert.

Wir wünschen uns zutiefst, dass Ihnen Ihr Wohlbefinden erhalten bleiben möge und dass Ihnen das Leben, das Sie so sehr lieben, noch viele unbeschwerte Tage schenken möge. Sie kehren wieder in das Land von Ramuz zurück, an den Léman, der zu Füssen dreier Schweizer Kantone und Savoyens schlummert, eingebettet in Weinberge, beschirmt von zwei Kathedralen und von allen geliebt, die je an seinen Gestaden gewandelt sind. Ouchy wartet auf Sie, diese freie Gemeinde mit ihrem Hafen, wo die Dampfer des Léman ankern, auf denen man, dem Spiel der Wolken und ihrer Ebenbilder auf dem Wasser folgend, das Gefühl hat, den ganzen See für sich alleine zu besitzen.

Herr Bundesrat, die Bundesversammlung bleibt Ihnen stets verbunden; Ihr politisches Wirken bleibt nachhaltig. Wir danken Ihnen von ganzem Herzen, und persönlich füge ich bei: Bonne chance, cher capitaine Jean-Pascal! (Stehende Ovation)

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