Begrüssungsansprache von Nationalratspräsident Ernst Leuenberger,am Internationalen Tag der
150-Jahr-Feier des Bundesstaates (
4. Juni 1998)

Durchlaucht
Herr Präsident der Republik Italien,
Herr Bundespräsident der Republik Österreich,
Herr Bundespräsident der Bundesrepublik Deutschland


Ihre königliche Hoheit die Princess RoyalHerr Präsident des Senats der französischen Republik
Frau Stellvertretende Generalsekretärin der Vereinten Nationen
Herr Bundespräsident
Frau Vizepräsidentin des Bundesrates
Herren Bundesräte
Exzellenzen
Meine Damen und Herren

Erlauben Sie, dass ich zu Beginn Herrn Staatspräsident Herzog und die vom tragischen Eisenbahnunglück in Eschede Betroffenen im Namen von uns allen unserer aufrichtigen Anteilnahme versichere. Wir trauern mit Ihnen und die zahlreichen Opfer.

Es ist mir eine grosse Ehre, unsere hohen Gäste hier im Parlament gemeinsam mit Ständeratspräsident Zimmerli im Namen der Schweizerischen Eidgenossenschaft, insbesondere aber im Namen der beiden Kammern des schweizerischen Parlaments begrüssen zu dürfen. Wir danken den Gästen unserer Regierung, dass sie die Einladung zur 150-Jahr-Feier unseres modernen Bundesstaates angenommen haben.

Ziel der Einladung war es, dieses Jubiläum heute gemeinsam mit unseren fünf unmittelbaren Nachbarländern zu feiern. Wir freuen uns aber auch, eine Vertretung der Europäischen Union und der Vereinten Nationen hier bei uns zu haben.

Die Vertretung der Europäischen Union wird durch deren Präsidentenschaft, Grossbritannien, wahrgenommen. Das freut mich ganz besonders, ist doch die Führung Grossbritanniens 1848 der Schweiz in schwieriger Zeit beigestanden. Der Name des damaligen britischen Aussenministers Palmerston steht seither in den Schweizer Geschichtsbüchern.

Die Entstehung der modernen Bundesverfassung von 1848 und damit des Bundesstaates ist unvorstellbar ohne die fünfzig vorhergehenden Jahre seit 1798. Die durch helvetische Patrioten unter der oft ungeliebten französischen Besatzungsmacht gegründete Helvetische Republik hatte als Einheitsstaat zwar nicht lange Bestand, aber die damals verkündeten Menschenrechte und Grundrechte bildeten fortan das feste Fundament des schweizerischen Staates. Die Untertanenverhältnisse blieben abgeschafft, neue gleichberechtigte Kantone entstanden in den ehemaligen Untertanengebieten.

Der Grundstein zur mehrsprachigen, ja multikulturellen Schweiz war damit gelegt. Der konfessionelle Friede musste noch erdauert werden.

Allein der Bundesstaat war damit noch nicht vollendet. Der Sonderbundskrieg als schweizerischer Bürgerkrieg im Jahre 1847 musste bestanden werden und führte die Schweiz an den Rand ausländischer Intervention. Die Nichtintervention hatte letztlich zwei Gründe: Grossbritannien verteidigte die Entstehung dieses liberal-demokratischen Staates in Europa und die benachbarten Mächte hatten plötzlich zu Hause selber genug zu tun mit der Bewegung, die als Völkerfrühling von 1848 in die Geschichte eingegangen ist.

  • Im Februar 1848 wurde in Frankreich die Zweite Republik ausgerufen, das allgemeine Stimm- und Wahlrecht eingeführt.
  • Am 15. März wurde in Wien eine neue Verfassung verkündet, die Zensur abgeschafft.
  • Im Mai tagte in der Frankfurter Pauluskirche die erste deutsche Nationalversammlung.
  • Mit Aufständen in Neapel, Rom, Florenz und Turin wurde die Grundlage für die italienische Einigung gelegt.

Am 12. September 1848 wurde in der Schweiz die neue Bundesverfassung in der Volksabstimmung mehrheitlich angenommen, sie ist 1874 fortgeschrieben worden. Es ist kaum zu verkennen, dass institutionell starke Anleihen bei der Verfassung der USA gemacht worden sind. Es ist auch nicht zu leugnen, dass der schweizerische Bundesstaat in seinen ersten fünfzig Jahren stark die Züge eines Einparteienstaates gezeigt hat. Die liberal-radikalen Staatsgründer besetzten alle sieben Sitze im Bundesrat und hielten die konservative Opposition darnieder. Der Parteienpluralismus fand seinen Einzug erst um die Jahrhundertwende, ja eigentlich erst mit der Einführung des Proporzwahlrechts nach dem Ersten Weltkrieg. Die aus den vier wichtigsten Parteien bestehende Regierung von heute kennt das Land erst seit vierzig Jahren.

Die Schweiz ist heute weder Mitglied der Vereinten Nationen noch der Europäischen Union. Zwar gibt es in den massgebenden Behörden des Landes Mehrheiten, die der UNO beitreten möchten und ein Arrangement mit der EU anstreben. Allein den Souverän, das Schweizervolk, gilt es erst noch zu überzeugen von diesen Schritten.

Die Anwesenheit von Frau Louise Fréchette, Stellvertretende Generalsekretärin der UNO, gibt uns Gelegenheit darauf hinzuweisen, dass die Schweiz die Ideale der Vereinten Nationen teilt, ihren Beitrag zum Weltfrieden über alle Masse schätzt und in ihren Unterorganisationen nach Möglichkeit mitwirkt. Wir werden uns auch weiterhin für Genf, diese Stadt des Friedens, einsetzen.

Die Europäische Union, deren Präsidentschaft zur Zeit Grossbritannien innehat, wird hier durch Ihre königliche Hoheit, Princess Anne, vertreten. Unseren Willkommensgruss verbinden wir mit dem Hinweis auf unseren Respekt vor dem heldenhaften Widerstand des britischen Volkes gegen die Nazityrannei.

Wir erinnern uns auch daran, dass Premierminister Churchill 1946 seine Vision von den friedensstiftenden Vereinten Staaten von Europa in Zürich ausgesprochen hat.

Dabei hat er auch an die kleine Schweiz gedacht als er ausführte: "Die kleinen Staaten werden ebenso zählen wie die grossen und sie werden alles daran setzen, um zur gemeinsamen Sache beizutragen."

Die fünf unmittelbaren Nachbarländer der Schweiz beehren uns heute mit ihrer Präsenz:

  • Seine Durchlaucht Fürst Hans Adam II von Liechtenstein
  • Herr Präsident Oscar Luigi Scalfaro aus Italien
  • Herr Bundespräsident Thomas Klestil aus Österreich
  • Herr Bundespräsident Roman Herzog aus Deutschland
  • Herr Senatspräsident René Monory aus Frankreich

Ihre Präsenz ehrt uns und legt Zeugnis ab von unseren engen und freundnachbarschaftlichen Beziehungen.

Weil die Schweiz eben keine isolierte Insel bildet, wird ihre Kultur, ihre Geschichte, aber auch das politische Leben stark durch den Austausch mit unseren unmittelbaren Nachbarn geprägt.

Der schweizerische Bundesstaat feiert sein 150jähriges Bestehen. Möge dieses Ereignis uns heute dazu führen, auf den Fundamenten von 1848 weiterzubauen an einer Entwicklung hin zu modernisierten Formen der Institutionen, der gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und politischen Entwicklung basierend auf den Grundwerten kulturelle Vielfalt, konfessioneller Friede, sozialer Ausgleich, Demokratie und Föderalismus.

Wir wünschen uns einen stärkeren schweizerischen Beitrag zu einer friedlichen Welt und zu einem vereinigten Europa.

Ich danke Ihnen.

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