Wahlbeilage der Solothurner Zeitung vom 22. September 1999

Holt Leuenberger den Sitz in die Reihen der SP zurück?

CVP-Vakanz und die Alleingänge aller Parteien machen die Ständeratswahlen so, brisant wie lange nicht mehr und einen zweiten Wahlgang schier unumgänglich

Eigentlich ist vor dem ersten Wahlgang zu den Ständeratswahlen im Kanton Solothurn nur so viel klar: Es kommt zu einer zweiten Ausmarchung. Wer indes aus der Pole-Position starten wird, ist ungewiss. Im Zentrum steht die Frage: Kann die SP mit Ernst Leuenberger den vor zwölf Jahren an die CVP verlorenen Sitz im «Stöckli» zurückholen?

WOLFGANG NIKLAUS

Als ob es des Aufspringens von Marcel W. Wyss auf den Ständeratskarren kurz vor Meldeschluss noch bedurft hätte. Die Ausgangslage verhiess für den 24. Oktober auch so schon Spannung pur. Denn von den fünf Kandidierenden können sich deren drei realistische Hoffnungen auf ein Ticket nach Bern machen. Da ist der amtierende FdP-Ständerat Rolf Büttiker. Noch bis vor Monatsfrist hatte der bereits für die dritte Amtsperiode kandidierende Wolfwiler als gänzlich unumstritten gegolten. Mit seinem Geständnis indes, er sei besagter «Roman» im Buch der ehemaligen Berner Prostituierten Rita Dolder, sorgte er landesweit für Aufsehen. Die freisinnige Parteispitze beriet nur kurz und befand ihren ehemaligen Präsidenten nach wie vor als schwer genug, um mit intakten Chancen in den Wahlkampf zu ziehen. Eine richtige Einschätzung, schenkt man Meinungsumfragen Glauben die besagen, die Leistung eines Politikers komme vor dessen Sexualpraktiken. Büttiker selber scheute auch den Schritt in den «Zischtigs-Club» von SF DRS nicht. Um dort zu betonen, er wolle wegen seines Coming-outs nun doch nicht gleich auf den Heldensockel gestellt werden. Bleibt die Frage: Hält sich der Stimmenverlust aus dem Lager der Moralisten in Grenzen? Oder - und auch das ist nicht auszuschliessen - hat er gar neue Wähler(innen) gewonnen? Büttiker selber verweist auf das vorwiegend positive Echo aus dem Volk. Wohlwissend, dass der eine oder die andere über ihn zu tratschen beginnt, kaum hat er der Person den Rücken zugekehrt? Büttiker: «Ich stehe zur Vergangenheit, aber dieses Thema ist für mich medial ein für allemal erledigt. Entschieden wird am 24. Oktober.» Und da scheinen Büttikers Chancen intakt.

Hohe Hürde Majorz
Und der zweite Sitz? Nachdem die Solothurner CVP-Frau Rosemarie Simmen sich nach zwölf Jahren im Rat nicht mehr zur Wiederwahl stellen mochte, rechnet die SP sich berechtigte Chancen aus, das Rad der Zeit zurückzudrehen. Denn just Simmen hatte sich 1987 erfrecht, der SP jenen Sitz wegzuschnappen, den sie seit 44 Jahren innegehabt hatte. Indes - leichtes Spiel hat die SP nicht. Stichwort Solothurner Majorz: Sie müsste noch einmal so viele Stimmen von anderswo holen, wie sie Wähleranteile hat. Dass ihre Parteispitze trotzdem selbstbewusst vom Sitz im «Stöckl!» spricht, liegt ganz in Person und Wesen ihres Kandidaten Ernst Leuenberger begründet. Der «Aschi» gilt als volkstümlich und zugleich als «animal politique»; als einer also, für den Politik mehr ist als das blosse Absitzen von Verwaltungsratsmandaten. Seinen Bekanntheitsgrad gesteigert hat das letztjährige Amt als Nationalratspräsident - und die souveräne Art und Weise, wie er es bekleidet hatte. Leuenberger gilt auch beim politischen Gegner als dialogfähig. Dass er, der den Kanton Solothurn schon seit 1983 im Nationalrat vertritt, auch für beide Kammern kandidiert, hat ihm von Seiten der CVP den Vorwurf einer «Kandidatur mit doppeltem Boden» eingetragen.

Frauenbonus?
Stellt sich die Frage, was CVP-Kandidatin Anna Mannhart Leuenberger entgegensetzen kann. Anna Mannhart will in die Fussstapfen von Rosemarie Simmen treten. Die Ärztin und Hausfrau ist 56-jährig, verheiratet und hat drei erwachsene Kinder. Sie ist seit 1993im Kantonsrat und derzeit CVP-Fraktionspräsidentin. Denn dass es eine Frau sein würde, weiche für die Partei der Mitte in den Wahlkampf ziehen soll, war nach den beiden aufeinanderfolgenden Rücktritten von Simmen und Nationalrätin Ruth Grossenbacher bald einmal klar. Parteipräsident Alex Heim versucht seither hartnäckig, dem Wähler die CVP als Frauenfördererpartei anzupreisen. «Ich bin entrüstet», so Heim nach der Nomination Leuenbergers, «dass die SP, die sich für ihre Frauenpolitik so rühmt, diese nun derart vor den Kopf stösst.» Bloss - im Vergleich zu Büttiker oder Leuenberger ist die CVP-Frau ein unbeschriebenes Blatt. Die Partei verweist auf Mannharts Fraktionspräsidium im Kantonsrat und die Tatsache, dass die Ärztin aus Feldbrunnen sich im sozialen Themenspektrum bestens zurechtfindet. So könnte denn manche Wählerin vor der Frage stehen: Helfe ich nun der einzigen Frau, die da antritt? Oder wähle ich doch den «Aschi», den (fast) alle mögen?

Im ersten Anlauf kein Päckli
Der Umstand, dass der Freisinn schon sehr früh klargemacht hatte, dass man alleine in den ersten Wahlgang zu marschieren gedenke, macht die Ausgangslage noch offener - und liesse die Wahl eines der drei Spitzenkandidaten schon in einem Monat als grosse Überraschung erscheinen. Wahrscheinlich ist vielmehr, dass am 28. November der grosse Showdown steigt. Die Frage indes mit wem, die ist eine gute und hängt logischerweise vom Resultat der ersten Ausmarchung ab. Die SP kommt wieder mit Leuenberger, Mannhart steigt wieder für die CVP ins Rennen. Soviel scheint erdrutschartige Verschiebungen der Wähleranteile einmal ausgenommen - klar. Die Grünen verzichten im Rahmen des linken Wahlbündnisses ja explizit darauf, Leuenberger zu konkurrenzieren. Und im Falle von Rolf Büttiker müsste das Stimmvolk sich schon extrem konservativ verhalten, um dessen Kandidatur aus der Bahn werfen zu können.

Was macht die SVP?
Doch wer sagt denn, dass in einem zweiten Wahlgang nicht auch noch die SVP auf den Wahlzug aufspringen würde? Im Kanton Solothurn stieg sie 1995, also erst zwei Jahre nach der Parteigründung, gleich mit einem Wähleranteil von knapp 7 Prozent ein, Tendenz steigend. Und sie hat mit dem von der Freiheitspartei übergelaufenen Roland Borer einen Mann mit einem Wählerpotential in ihren Reihen, welches weit über jenes seiner Partei hinausging. Vorerst einmal unterstützt die SVP die beiden Bürgerlichen. «Für einen eventuellen zweiten Wahlgang», so Parteipräsident Kurt Küng, «behalten wir uns aber sämtliche Optionen offen.» Mit wem sonst als Borer - der auf entsprechende Fragen stets verneint - sollte die SVP antreten wollen? Denn Küng selber hatte schon früh bekannt gegeben: «Aus Zeitgründen ist eine Kandidatur kein Thema für mich.» Dies trifft auch auf weitergehende Allianzen der SVP sowohl mit der FdP als auch mit der Freiheitspartei zu. Sie sind allesamt gescheitert.

Zwei krasse Aussenseiter
Zurück zum Wahlgang vom 24. Oktober. Da sind noch zwei Kandidaturen, die getrost als chancenlos tituliert werden dürfen: Der Grenchner FPS-Mann Patrick Eruimy und der ehemalige CVPler und heute Parteilose aus Kappel, Marcel W. Wyss. Sie erneuern den Kreis der fast schon traditionell antretenden «Polit-Exoten». Eruimy machte sich im Kanton Solothurn als Gründungspräsident der früheren Autopartei einen Namen. Er kandidierte bereits 1991 erfolglos für den Ständerat. Der Kappeler Finanzverwalter Wyss - er bezeichnet sich. als «Protestkandidat» - gehört ehemals den Reihen der CVP a und probt jetzt den Alleingang.

Wie schwer wiegen die Köpfe?
Fazit: Der Freisinn pocht auf die Tradition und den Leistungsausweis seines Kandidaten. Die SP tut Gleiches und erinnert daran, dass sie mit Blick auf die effektiven landesweiten Kräfteverhältnisse in der kleinen Kammer im selben krassen Masse unter- wie die CVP übervertreten sei. Letztere setzt auf den Frauenbonus. Und warnt mit der Form «1+1=0?» vor einer solothurnischen Standesvertretung, die sie bei einer Wahl Leuenbergers politisch ja eh gleich aufhebe. Entscheidend bei der zu befürchtenden tiefen Stimmbeteiligung wird letztlich sein, wie parteitreu jene Solothurnerinnen und Solothurner wählen, die überhaupt noch an die Urne gehen, beziehungsweise brieflich abstimmen. Denn mehr denn je werden Köpfe gewählt. Erst danach kommen Parteien und deren Programme.

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