Interview aus der Solothurner Zeitung vom 31.8.1999
«Ängste im Volk ernst nehmen»
Nationalrat Leuenberger (SP/SO) sieht Gefahren für «Bilaterale»
«Vor dem Volk haben die bilateralen Verträge mit der EU keine Chance, wenn die Abkommen zum Personen- und Landverkehr nicht durch grifrige flankierende Massnahmen abgefedert werden», meint Ernst Leuenberger, Solothurner SP-Nationalrat und Präsident der Eisenbahnergewerkschaft SEV.
MIT ERNST LEUENBERGER SPRACH GIOVANNI LEARDINI
Die bilateralen Abkommen mit der EU sollen in den Bereichen Personen- und Landverkehr durch flankierende Massahmen abgefedert werden. Wird das Parlament einen Kompromiss finden?
- Noch bis vor zehn Tagen war ich sehr zuversichtlich, denn die Vorschläge der vorberatenden Kommissionen des Nationarates sind geeignet, um mögliche negative Folgen der Abkommen zum Personen- und Landverkehr abzuwenden. Inzwischen haben sich aber auch die zuständigen Kommissionen des Ständerates geäussert mit zum Teil wesentlich anderen Beschlüssen als die Nationalrats-Kommissionen. Das macht mir Angst, denn wenn das Parlament den Ständerats-Kommissionen folgen sollte, dann wird es nicht nur Referenden und Nein-Stimmen von ganz rechts aussen geben, sondern dann wird plötzlich auch die links-grüne Seite in diesem Nein-Lager sein.
Gehen die Positionen der Kommissionen von National- und Ständerat wirklich so weit auseinander?
- Ja. Nehmen wir einmal das Dossier Landverkehr. Hier ist vorgesehen, dass gewisse Beträge zur Verfügung gestellt werden, um den Schienengüterverkehr in der Durstrecke zu unterstützen bis der erste Neat-Tunnel eröffnet ist. Zu diesem Zweck möchte die Ständeratskommission rund 450 Millionen Franken weniger einsetzen als die Kommission des Nationalrates. Das ist viel Geld. Weiter will die Ständeratskommission diese Überbrückungsmassnahmen weniger lang gelten lassen. Im Bereich der Personenfreizügigkeit will die Kommission des Ständerates die Hürde für die Einleitung von Massnahmen zur Abwehr von Lohndumping viel höher setzen als die Nationalratskommission.
Wie es im Parlament auch ausgeht: Die Schweizer Demokraten haben bereits angekündigt, dass sie das Referendum ergreifen werden. Es wird also so oder so zu einer Abstimmung über die «Bilateralen» kommen.
- Sicher, und es gibt auch Leute von der nationalen äusseren Rechten - also von der Auns oder der Zürcher SVP -, die ebenfalls offen mit einem Referendum liebäugeln. Wir haben in diesem Land schätzungsweise 30 bis 35 Prozent der Bevölkerung, die nichts wissen will von einer Annäherung an Europa. In der Bevölkerung sind grosse Ängste zu spüren: Einerseits vor einer massiven Einwanderung von ausländischen Arbeitskräften, verbunden mit Lohndumping, auf der anderen Seite vor einer enormen Lawine von ausländischen Lastwagen.
Sind die «Bilateralen» also wirklich in Gefahr?
- Wenn die flankierenden Massnahmen nicht befriedigend ausfallen, dann ist das Nein des Volkes zu den «Bilateralen» vorprogrammiert. Das Stimmvolk hat wiederholt klar gemacht, welche Verkehrspolitik es will: Bereits 1994 wurde der Alpenschutz-Artikel in der Verfassung verankert, und kürzlich hat das Schweizer Volk deutlich Ja gesagt zur Leistungsabhängigen Schwerverkehrsabgabe (LSVA) und zur Finanzierung des öffentlichen Verkehrs (Finöv). Bei der Personenfreizügigkeit kommen die Befürchtungen der Bevölkerung in der ganzen Asyldiskussion zum Ausdruck sowie in den Diskussionen um die Begrenzung der Zahl der Ausländer in der Schweiz.
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