Ständerat: Herbstsession 2000; 26.09.00

Ja zu Europa
Volksinitiative

Ganze Dabatte zu diesem Geschäft

Leuenberger Ernst (S, SO): In der Debatte ist ein sehr bedenkenswerter Satz gefallen, der Satz von Herrn Kollege Pfisterer: "Wir müssen eine schleichende Anpassung an Europa vermeiden." Ich muss Ihnen offen gestehen: Der Satz an sich schockiert mich ein wenig, weil wir als Gesetz gebende Behörde während unserer Sessionen praktisch Tag für Tag Gesetzgebung in Angriff nehmen und die Klügsten, Wägsten und Brävsten dann immer sagen: "Aber bitte, dieses Gesetz muss europakompatibel sein"; sei das nun vorauseilender Gehorsam, sei das autonomer Nachvollzug von Recht, das da irgendwo in der weiten Europawelt ohne unsere Beteiligung eingeführt wird. Vermeiden wir, ist hier ausgeführt worden, die schleichende Anpassung. Sie ist längst im Gang. Ich habe kürzlich einen jungen Bauern getroffen, der mir erklärt hat, dass er nicht ganz sicher ist, ob er eine Zukunftschance hat. Er hat mir dann gesagt: "Wissen Sie, die EU, die zwingt uns halt, das und jenes und dieses zu machen." Diese schleichende Anpassung, wenn man es aus der Negativperspektive anschaut, die ist doch längstens im Gang, diese Anpassung ist ja längstens im Gang. Ich würde sagen, niemand in diesem Saal hat nicht in den letzten vier Wochen in einer öffentlichen Veranstaltung irgendeine politische Neuerung damit erklärt, dass es halt wegen der Europatauglichkeit nun mal so sein müsse. Ich kenne die Eisenbahnen ein klein wenig. Man hat Bahnreformen gemacht. Man hat in den bundesrätlichen Botschaften EU-Richtlinien zitiert, und die Wägsten und Brävsten und Klügsten haben immer diese Richtlinien vor Augen gehalten und gesagt: "Ja, das kann man nicht, denn die EU-Richtlinie sagt es anders." Einige von uns sind vor kurzem bei der Swisscom gewesen, wir sind vor kurzem bei der Elektrizitätswirtschaft gewesen, und man hat uns gesagt: "Wegen Europa müssen wir dies und jenes machen." Ich denke, bei dieser Darstellung der Faktenlage, die ich nicht beklagen will, ich beschreibe ja bloss, müssten sich die Damen und Herren, die Wirtschaftsanliegen zu Herzensanliegen gemacht haben - ich sage noch einmal, das ist legitim -, ernsthaft überlegen: Wäre es denn nicht letztlich im Interesse der Wirtschaft, auch in diesem Annäherungsprozess an Europa einmal klare Verhältnisse zu schaffen? Es könnte sein, dass die Wirtschaft sich eines Tages überlegen muss, ob es denn nicht mittel- und längerfristig sinnvoll sein könnte, sich mit den breiten Kreisen, die jetzt von diesem schleichenden Anpassungsprozess betroffen sind, sich mit der Jugend, die nun ein bisschen "europhorischer" ist als ich es zum Beispiel bin, ins Einvernehmen zu setzen. Mir pressiert es an sich gar nicht, aber wenn die Notwendigkeiten und die Einsicht in die Notwendigkeit vorhanden sind, dann kann man nicht mehr davon leben, das weltberühmte Zitat "der Ruhm der alten Eidgenossen, das ist unser Stolz" zu nennen. Das reicht nicht mehr. Das reichte vor 1848, aber inzwischen ist 1848 vorüber. Ich wundere mich ein bisschen, dass wir hier heute so tun, als könnten wir ein Gespenst verscheuchen. Das Gespenst ist für die einen die EU, für die anderen ist es diese Volksabstimmung, bei der eine grosse Landespartei dann eben Farbe bekennen muss, ob nun die Auffassungen, die am Europa-Kongress in Basel vertreten wurden oder eher die die Meinungen, die in der Innerschweiz dominieren, oder was auch immer gelten soll. Solche Konflikte gibt es in allen politischen Parteien, und die Stunde der Wahrheit kommt eben einmal, wenn man in einem verdunkelten Saal etwas euphorisch Beschlüsse gefasst hat, die man dann nicht umsetzen kann. Wenn Sie hier und heute beschliessen, mit Europa pressiere es überhaupt nicht, dann bitte ich Sie, in den nächsten Wochen genau zu überlegen, bevor Sie im "Rössli"-, "Bären"- und "Sternen"-Saal wieder sagen: "Wissen Sie, liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger, wir müssen jetzt dieses und jenes wegen Europa machen." Haben Sie dann den Mut dazu zu stehen und zu sagen: "Europa will es zwar so, aber wir haben im Ständerat gesagt, das interessiert uns nicht, wir gehen jetzt wieder mal unseren eigenen Weg." Die Stunde der Wahrheit wird dann vor allem für die Wirtschaft schlagen. Sie wird eines Tages zu uns kommen und sagen: "Hört mal, liebe Politikerinnen und Politiker, helft mit, dem Volk zu sagen, es sei langsam an der Zeit zu begreifen, dass wir ein kleines Land im Herzen von Europa sind." Ich kenne meine Wählerschaft, es fällt mir nicht sehr leicht, diese Haltung zu vertreten. Aber ich bin heute als Reformer in dieser Stunde der Wahrheit bereit, diesen Weg zu gehen und nicht den Leuten mit dem Drohhammer Europa zu drohen, sondern zu sagen: Es ergibt einen Sinn, dass wir an diesem Reformprojekt, das übrigens auch ein Friedensprojekt ist, mitmachen und dabei mitsprechen. Und heute könnten wir - in einer Deklamation, zugegeben - sagen: Jawohl, eigentlich wollen wir das; es fällt mir schwer, aber ich sage schweren Herzens zu einer guten Sache Ja.

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