Ständerat: Sommersession 2000

Standesinitiative Kt. ZH: Mehrwertsteuer für den öffentlichen Verkehr

Leuenberger Ernst (S, SO): Ich darf Ihnen im Namen einer kleinen, aber entschlossenen Minderheit beantragen, der Standesinitiative Zürich Folge zu geben. Vielleicht ist es hilfreich, wenn ich mir erlaube, ganz kurz das Verfahren bei der Behandlung von Standesinitiativen in Erinnerung zu rufen. Sie geschieht in zwei Phasen. 1. In der Phase der Vorprüfung, in welcher wir uns befinden, sind zwei Hauptfragen zu beantworten: Ist etwas in der Richtung des Vorstosses in der Verwaltung oder im Parlament im Gang? Zweitens: Ist das aufgeworfene Problem ein echtes Problem, besteht also Handlungsbedarf? 2. In der zweiten Phase ist nach unserer Satzung die dritte Frage - jene nach den zu ergreifenden Massnahmen, nach dem zu beschreitenden Weg - zu diskutieren, wiewohl sich die beiden Dinge nicht strikte trennen lassen, wie auch die Kommissionsberatung gezeigt hat. Zur ersten Frage: Im Bericht wird festgehalten - und ich opponiere dem nicht -, dass zurzeit weder im Parlament noch in der Verwaltung Anstrengungen in der Richtung dieses Vorstosses im Gange sind; es ist auch keine Volksinitiative unterwegs. Zu Recht wurde festgestellt, dass diese Frage in den vergangenen Jahren diskutiert worden und entsprechende Entscheide getroffen worden sind. Ich erlaube mir hier die Zwischenbemerkung, dass vor wenigen Viertelstunden in diesem Saal dargelegt worden ist, dass Gesetze gelegentlich nach zwei, drei Jahren bereits komplett überholt werden müssen. Ich möchte dieser "Revisionitis" zwar nicht das Wort reden, aber wenn neue Situationen eintreten, dann hat das zu geschehen. Die Frage des Handlungsbedarfes bejahe ich eindeutig. Dafür führe ich ein verkehrspolitisches Argument ins Feld: Der öffentliche Verkehr befindet sich in härtester und zunehmender Konkurrenz; die Erhöhung der Billettpreise im Personenverkehr anlässlich der Einführung der Mehrwertsteuer hat Auswirkungen gezeigt, die nicht im Sinne der vom Volk und vom Parlament getragenen Verkehrspolitik sind. Das hatte Auswirkungen auf die Kundschaft. Die Förderung des öffentlichen Verkehrs ist ein hohes verkehrspolitisches Ziel. Wenn heute gesagt wird, es sei ein Sündenfall, über fiskalische Massnahmen Verkehrsförderung betreiben zu wollen, darf ich in aller Bescheidenheit daran erinnern, dass wir seinerzeit in harten Kämpfen in beiden Kammern des Parlamentes beschlossen haben, die damaligen Treibstoffzölle - heute Mineralölsteuer genannt - den konzessionierten Transportunternehmungen zurückzuerstatten. Diese Massnahme haben beide Kammern des eidgenössischen Parlamentes gegen den erbitterten Widerstand des damaligen Finanzministers aufrechterhalten und durchgesetzt. Es gibt sodann ein finanzpolitisches Argument, das nicht gering zu schätzen ist und das in letzter Zeit noch verstärkte Bedeutung gewonnen hat: Die öffentliche Hand - Bund, Kantone, zum Teil auch die Gemeinden - fördert den öffentlichen Verkehr mit erheblichen Mitteln. Es wirkt paradox, wenn de facto ein Teil der Subventionen, der Unterstützungen, der Abgeltungen, die bezahlt werden, via Steuern wieder zurückgeholt werden. Diese Situation erhält neuerdings einen föderalistischen Finanzverteilungsaspekt. Sie erinnern sich: Am "runden Tisch" ist vereinbart worden, dass die Bundesmittel zur Förderung des regionalen Personenverkehrs, die ja Teil des öffentlichen Verkehrs sind, von durchschnittlich 75 Prozent auf 68 Prozent zurückgenommen wird. Damals hat man gesagt, dass die Kantone in die Bresche zu springen haben, und einige Kantone haben auch feierlich erklärt, dies tun zu wollen. Bisher gibt es keinen Grund zur Annahme, sie hätten das nicht getan. Eine gewisse Umverteilung der Lasten ist aber festzustellen. Nun geht diese Geschichte aber weiter, denn das Projekt des Neuen Finanzausgleichs (NFA) nimmt diese Thematik der Bundesbeiträge an den regionalen Personenverkehr wieder auf. Das sind derzeit immerhin rund 1,2 oder 1,3 Milliarden Franken pro Jahr, die aus der Bundeskasse fliessen. Der NFA nimmt dieses Projekt wieder auf und schlägt vor, die durchschnittliche Subventionierung bzw. Abgeltung sei von 68 bis gegen 50 Prozent - mittel- bis längerfristig sogar unter 50 Prozent - hinunterzufahren. Das heisst auch hier: Die Kantone hätten in die Bresche zu springen. Vermutlich haben auch Sie hier Stimmen gehört - ich habe die Stimme des solothurnischen Bau- und Verkehrsdirektors gehört, der auf eine entsprechende Frage klar geantwortet hat, unter diesen Bedingungen müsse er das Verkehrsangebot im Kanton Solothurn wesentlich ausdünnen. Heute steht das ja nicht zur Diskussion. Die Frage der Besteuerung der Fahrkarten in diesem öffentlichen Verkehr erhält durch diesen Prozess aber eine grundlegend neue, kantonalpolitische Bedeutung, die wir auch ins Auge fassen müssen. Wenn ich mich genau an die Begründung erinnere, die die Vertretung des Standes Zürich für diese Standesinitiative gegeben hat, spielte es eine wesentliche Rolle, dass die grundsätzliche Verlagerung der finanziellen Belastung von der Bundesebene zur Kantons- respektive Gemeindeebene durch die Besteuerung noch verschärft wird. Ich habe mir auch erlaubt, Ihnen einen internationalen Vergleich verteilen zu lassen. Die Eidgenössische Steuerverwaltung hat uns in verdankenswerter Weise eine Tabelle zur Verfügung gestellt, die zeigt, dass doch in einigen für die Personenbeförderung - vorher wurde der Güterverkehr herangezogen - wichtigen Ländern spezielle Sätze gelten. Bei diesem internationalen Vergleich darf ich vielleicht auch darauf hinweisen, dass eigenartigerweise - und offensichtlich aus Konkurrenzgründen - die Fahrkarten im Luftverkehr der Mehrwertsteuer bekanntlich nicht unterstehen. Obschon das in die zweite Phase gehört, muss ich doch noch ein Wort zum zu beschreitenden Weg sagen: Der Kommissionspräsident hat zu Recht Berechnungen dazu präsentiert, was die Übung kosten würde, wenn man den heutigen Mehrwertsteuersatz auf diesen oder jenen Satz reduzieren würde. Diese Berechnungen sind nicht anzuzweifeln, sondern schlicht und einfach korrekt. Hingegen will ich erklären, dass sich weder die entschlossene Minderheit noch der Vertreter des Kantons Zürich im Moment der Illusion hingeben, es könnte gelingen, vom heutigen Mehrwertsteuersatz von 7,6 Prozent .... (Zwischenruf Spoerry: 7,5 Prozent!) Gut, ich gehe der Zeit ein bisschen voraus; Sie werden sich dann zu den 0,1 Prozent noch äussern, und wir können dann noch darüber streiten. Ich erkläre hier aber, dass die Minderheit folgende Idee hat: Der Mehrwertsteuersatz, der heute beschlossen ist, könnte der Sondersatz für den öffentlichen Verkehr werden. Etwas anderes hat kein Mitglied der Minderheit in der Kommission geltend gemacht und, so weit ich mich erinnere, auch die Vertreter der Standesinitiative nicht. Es ginge aber darum, im Hinblick auf nicht auszuschliessende, künftige Erhöhungen des Mehrwertsteuersatzes ein Zeichen zugunsten des öffentlichen Verkehrs zu setzen. Wenn Sie die Euro-Tabelle ansehen, stellen Sie mit Leichtigkeit fest, dass wir mit 7,5 oder 7,6 Prozent gar nicht so weit entfernt sind von Sondersätzen, wie sie in einigen wichtigen Ländern angewendet werden. Damit entfällt, was den Sondersatz angeht, die ganze Diskussion um den Steuerausfall auf dem heutigen Satz. Was auch immer Sie heute entscheiden: Ich vermute, dass uns diese Frage in den nächsten Jahren weiter beschäftigen wird. Ich möchte Sie daher dringend bitten, dieser Standesinitiative Zürich Folge zu geben und damit anzuerkennen, dass im Zusammenhang mit der Möglichkeit zur Überwälzung kommender Mehrwertsteuererhöhungen auf die Fahrgäste ein Problem besteht. Wenn Sie diesen Handlungsbedarf bejahen, müsste sich dann in einer zweiten Phase die Kommission zusammenraufen und Lösungen suchen und Ihnen unterbreiten, die dann tatsächlich auch tragfähig sind. In diesem Sinne bitte ich Sie namens der Minderheit, der Standesinitiative Zürich Folge zu geben.

MedienKontaktGaestebuchArchivLinks