Lohndruck und flankierende Massnahmen - Pressekonferenz des SGB vom 21.10.2004:

Sozialdumping bedroht Schweizer Arbeitsplätze und damit den Arbeitsfrieden

Bisher wehrte sich der Schweizerische Eisenbahn- und Verkehrspersonal-Verband SEV erfolgreich gegen Bestrebungen, Bahnpersonal zu ausländischen Anstellungsbedingungen auf dem Schweizer Schienennetz arbeiten zu lassen. Unser letzter Konflikt in dieser Sache, mit der BLS Lötschbergbahn, liegt rund 7 Wochen zurück. Die BLS wollte es der Güterbahn "Railion" ermöglichen, ab 1. September mit zu deutschen Anstellungsbedingungen arbeitendem Personal nach Erstfeld zu fahren.

Der SEV bereitete eine Zugblockade vor und kritisierte, das Eisenbahngesetz (EBG) werde verletzt. Im Artikel 9 Abs. 2 lit. e des EBG steht nämlich, dass nur Bahnen, welche die "Arbeitsbedingungen der Branche" gewährleisten, eine Netzzugangsbewilligung erhalten. In letzter Minute einigten sich SEV und BLS darauf, dass vorderhand Personal zu Schweizer Anstellungsbedingungen die fraglichen Zü-ge führt, und dass das Bundesamt für Verkehr (BAV) den Dumping-Vorwurf des SEV abklären soll. Somit muss das zuständige Amt - fünf Jahre nach dem Inkrafttreten des EBG - endlich damit begin-nen, eine authentische Interpretation des einschlägigen Artikels zum Schutz vor Sozialdumping zu liefern.

Eigentlich könnte der SEV der BAV-Antwort gelassen entgegen sehen: Denn der Bundesrat versicher-te bei der parlamentarischen Beratung des EBG stets, dass "die Liberalisierung nicht mit eigentlichen Dumpinglöhnen erkauft" werden soll. Und in der Antwort auf die Motion 99.3486 von Nationalrätin Liliane Maury Pasquier (SP/GE) vom 6. Dezember 1999 schreibt die Regierung: "Deshalb werden die GAV von Post, Swisscom und SBB bei der Beurteilung der branchenüblichen Arbeitsbedingungen einen wesentlichen Massstab darstellen."

Erste Äusserungen des BAV weisen aber in eine gänzlich andere Richtung als sie der Bundesrat vor-gab. Das BAV behauptet, die Schweiz habe sich im Landverkehrsabkommen (Bilaterale I) dazu ver-pflichtet, Bahnen aus den EU-Ländern, sofern diese in ihrem Herkunftsland Netzzugang haben, die-sen auch in der Schweiz zu gewähren. Das BAV prüfe vor der Netzzugangserteilung an EU-Bahnen allein noch Sicherheitsaspekte.

Das heisst: Jede EU-Bahn könnte mit ihrem Personal zu ihren Anstellungsbedingungen in der Schweiz Schienenverkehr betreiben. Ein eindeutiger Fall von Sozialdumping und Benachteiligung der einheimischen Bahnen, denn diese müssen branchenübliche Löhne bezahlen, damit sie eine Netzzu-gangsbewilligung erhalten - oder soll dieser Schutz vor Wettbewerb über Personalkosten auch noch kalt ausgeschaltet werden?

Trifft die BAV-Interpretation zu, dann wären bei den Bilateralen I mit einem Federstrich die Netzzu-gangskriterien des EBG ausgehebelt worden. Nationales Recht wäre kurze Zeit nach seinem Erlass durch einen Staatsvertrag aufgehoben worden. Und weder die Eisenbahner/-innen noch ihre Unter-nehmen oder das Parlament wären darüber informiert gewesen.

Es versteht sich von selbst, dass der SEV darauf pochen wird, dass das BAV bei der Bewilligung des Netzzugangs auch personalrechtliche Fragen einbezieht. Parallel dazu treibt er seine Bemühungen voran, endlich für den Bereich Normalspurbahnen einen flächendeckenden GAV abschliessen zu können, der allgemein verbindlich erklärt werden kann. Mit einem solchen GAV wäre die Branchenüb-lichkeit eindeutig definiert. Leider fehlt auf der anderen Seite noch stets ein Branchen-Arbeitgeberverband. Zudem wird der SEV seine Bemühungen fortsetzen, dass in die entsprechenden Gesetze der Bahnreform 2 personalrechtliche Kriterien für den Ausschreibungswettbewerb im Perso-nenverkehr aufgenommen werden.

Angesichts der problematischen Auswirkungen der Bilateralen I warnt der SEV eindringlich davor, den Arbeitsmarkt weiter zu öffnen, ohne griffige Absicherungen gegen Sozialdumping. Fehlen solche, ist der soziale Friede - eine der Stärken unseres Landes - höchst gefährdet.

21. Oktober 04
Ernst Leuenberger, Präsident SEV und Ständerat (SP/SO)

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