Ständerat: Herbstsession, 17. September 2003

Entlastungsprogramm 2003
für den Bundeshaushalt

Ganze Dabatte zu diesem Geschäft

Leuenberger Ernst (S, SO): Ich will mich in sechs kurzen Bemerkungen zu diesem Eintreten äussern:
1. Es würde mir sehr viel leichter fallen, hier etwas enthusiastischer an diesem nötigen Programm mitzuwirken, wenn dieses Haus das absolut überladene Steuerpaket nicht derart "durchgestiert" hätte. Das belastet unsere ganzen Debatten, das belastet diese Vorlage, bis hin zu einer nicht a priori auszuschliessenden Volksabstimmung.
2. Ich unterstütze vorbehaltlos den Rückweisungsantrag der Minderheit Gentil, der beinhaltet: Ja zum Eintreten; ja, es ist nötig, dass wir Ausgaben dämmen; es ist nötig, dass wir Massnahmen treffen; aber der Streit über Mass und Mitte dieser Ausgabendämmungsübung - und Sie beachten, dass ich nicht von Sparübung spreche, obschon ich diesen Begriff später auch verwenden werde - ist nicht ausgefochten. Die Grössenordnungen, die Herr Gentil angegeben hat, scheinen mir richtig. Ich sage hier ganz klar: Sparen, ja, aber Staats- und Sozialdemontage im Blutrausch der Sparhysteriker, nein!
3. Für mich sind Mehreinnahmen kein Tabu, sind wirklich kein Tabu. Ich gehöre einer politischen Richtung an - Herr Brändli hat das "gewisse Kreise" genannt -, die zwar sehr grosse Erwartungen an die öffentlichen Gemeinwesen hat, die aber immer auch bereit war, diese Leistungen der öffentlichen Gemeinwesen zu finanzieren und zwar auch vor die Leute hinzustehen und ihnen zu sagen, was staatliche Leistungen kosten. Ich bin nicht ganz sicher, ob alle übrigen Mitspieler in diesem Prozess das in ihren Milieus ebenso tun, wenn sie für Steuersenkungen einstehen und gleichzeitig höhere staatliche Leistungen fordern. Da sind einige gelegentlich etwas widerspruchsbedroht.
4. Ich bin ein bisschen enttäuscht: Ich habe eigentlich von dieser allgemeinen Aussprache erwartet, von all jenen - und sie sind zahlreich, auch in diesem Rat; sie waren auch in der Kommission zahlreich -, die heute schon sagen, dieses 3,3-Milliarden-Programm sei gut und recht, aber da müsse ein Anschlussprogramm hin, da müsse ein "Sparprogramm 2" hin, endlich zu hören, wo sie denn zusätzlich Ausgaben zurücknehmen wollen. Ich bin eigentlich nicht bereit, mich mit der banalen Antwort jenes unbedarften, oft zitierten Solothurner Kantonsrates zufrieden zu geben, der auf die Frage von Willy Ritschard, wo man denn sparen solle, geantwortet hat: "He dänk bi den Usgaabe!" Diese Antwort kenne ich, aber sie genügt mir nicht, und ich bitte insbesondere all jene, die so intensiv ein zweites Sparprogramm wollen, doch etwas zu skizzieren, in welche Richtung das geht. Die Redlichkeit gebietet nämlich - und das könnte auch referendumspolitisch wichtig werden -, dass wir heute schon den Leuten sagen oder dass Sie heute schon den Leuten sagen, wie diese ganze Geschichte sich fortsetzen soll.
5. Ich muss etwas über die Gefahr von Willkür sagen. Ich weiss, dass es Politiker gibt, die sagen, das Schönste an der Politik sei das Stückchen Willkür - niemand von uns ist davor gefeit. Aber ich muss hier feststellen: In der Kommission waren wir mindestens in zwei Fällen nicht ganz vor Willkür gefeit. Ich will es versöhnlich vorweg nehmen: Dank der Weisheit des Bundesrates, der auf einem umdatierten Blatt ohne Absender unsere grössten "Willkürböcke" wieder etwas zurechtgerückt hat, ist unsere Willkür etwas in die Schranken verwiesen worden. Ich sage es unumwunden: Aus dem Wallis ist mit den 15-Zentimeter-Kanonen von Saint Maurice auf die Wölfe geschossen worden und dabei beinahe das Buwal in Schutt und Asche gelegt worden. Ich neige dazu zu glauben, dass der Bundesrat diese Geschichte wieder etwas korrigiert hat. Aus anderen Kreisen ist in einer Art und Weise auf das Bundespersonal geschossen worden, die zwar historisch überliefert, aber nicht unbedingt zweckmässig ist. Ich gehe einmal davon aus, dass dem Bundesrat auch hier das Finden der mittleren Mitte wiederum gelungen ist.
Wo ich dem Bundesrat noch einmal eine ernsthaft Frage stellen muss, ist bei den Gesetzesrevisionen, die er uns, zum Teil im Dringlichkeitsverfahren - ich meine das Asyl- und Ausländerrecht - vorschlägt. Führen Sie uns da, Herr Bundesrat, nicht etwas aufs Glatteis? Ich habe in der Kommission keine Anträge dazu gestellt, aber ich habe meinem Unbehagen Ausdruck gegeben, weil ich nicht ganz sicher war, ob das, was wir da tun, zweckmässig ist. Ich gebe zu, dass ich inzwischen sehr erschrocken bin: Es gibt in diesem Land eine politische Partei, die seit Jahren mit der Ausländerfrage Wahlerfolge feiert. Es gibt sie, sie ist hier in diesem Rat nicht vertreten, das ist dem Nationalrat vorbehalten. Nun kommt plötzlich jemand, der zufälligerweise in einem Kanton Verantwortung trägt und zufälligerweise dieser politischen Partei angehört, und sagt, die Vorschläge im Ausländer- und Asylbereich führten zu schlimmen Auswirkungen. Ich muss Ihnen ganz offen gestehen: Ich verstehe da die Welt nicht mehr ganz, und ich bin nicht mehr ganz sicher, ob alle Player an diesem Spiel hier redlich spielen. Darum die sehr ernsthaft Frage, Herr Bundesrat: Führen Sie uns mit diesen im Schnellzugstempo gemachten Gesetzesrevisionen im Ausländer- und Asylbereich möglicherweise nicht aufs Glatteis? Ich habe in der Kommission dieser Geschichte schweren Herzens zugestimmt. Ich bin gerne bereit, Herr Bundesrat, Ihnen auch hier zu folgen, wenn Sie meine Unruhe da etwas beseitigen können.
6. Zur Sozialpolitik: In der Kommission war ich ein bisschen sehr einsam, als ich darauf hingewiesen habe, dass die Geschichte mit dem Mischindex in Bezug auf die AHV so, wie der Bundesrat das vorschlägt, wohl nicht gehen könne. Ich habe heute andere Töne gehört; da haben offenbar die grossen Lehrer ihren Schülern gesagt, es gehe so nicht. Ich habe heute Töne gehört, die etwas anders sind. Ich sage Ihnen unumwunden - ich werde ja dann bei der Begründung meines Antrages noch darauf zurückkommen -: Hüten wir uns vor einem "Mischindex-Morgarten"!
Hüten wir uns, denn eine solche Vorlage, die allein im Finanzplanbereich 37 Punkte berührt, hätte in der Volksabstimmung einige Mühe. Natürlich weiss ich, dass das ganze Volk fürs Sparen ist, aber selbstverständlich immer übers Kreuz, nämlich bei den anderen. Und wenn dann alle von diesen Sparübungen betroffen sind, könnte eine solche Vorlage in einer Volksabstimmung sehr grosse Mühe haben. Jedenfalls referendumspolitisch hielte ich das Festhalten an den Anträgen der Kommissionsmehrheit in den Fragen des Mischindexes für einen groben politischen Fehler.
Ich will Ihnen nicht verschweigen, dass ich mich im Zusammenhang mit einer anderen sozialpolitischen Massnahme nicht ganz enthalten kann, einen "Schäbigkeitsvorwurf" in die Runde zu werfen. Ich denke hier an die kollektiven Leistungen zur Invalidenversicherung. Wir müssen das noch ganz genau anschauen und vor allem dann auch die Frage prüfen, inwieweit wir hier allfällige NFA-Massnahmen vorwegnehmen.
Ich bin für Eintreten, bin allerdings für ein Sparpaket eigentlich im ganz ursprünglichen bundesrätlichen Rahmen gemäss Rückweisungsantrag der Minderheit Gentil. Ich behalte mir vor, bei einzelnen Punkten zu begründen, weshalb ich die vorgeschlagene Sparmassnahme für übertrieben halte.

 

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